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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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II. Die psychischen Gebilde.

Nun kann eine Vorstellung von der Größe und Richtung
dieser Bewegungen wiederum nur dadurch entstehen, dass
jede Bewegung von einer inneren Tastempfindung (S. 54, 6)
begleitet ist. Die Annahme, dass diese innere Tastempfin-
dung unmittelbar schon mit einer Vorstellung von dem bei
der Bewegung zurückgelegten Raume verbunden sei, würde
aber im äußersten Grade unwahrscheinlich sein; denn nicht
nur würde das die Existenz einer dem Subject angeborenen
Anschauung von dem umgebenden Raume und seiner eigenen
Lage in demselben voraussetzen (S. 122), sondern es würde
auch noch die besondere Annahme in sich schließen, die
inneren Tastempfindungen, obgleich sonst in ihrer qualita-
tiven Beschaffenheit und in den physiologischen Substraten
ihrer Entstehung den äußeren gleichartig, unterschieden sich
doch dadurch von diesen, dass bei ihnen mit der Empfindung
stets auch ein Bild der Lage des Subjects und der räum-
lichen Ordnung seiner unmittelbaren Umgebung entstehe,
eine Annahme, die eigentlich nöthigen würde zu der Plato-
nischen Lehre von der Wiedererinnerung an angeborene
Ideen zurückzukehren. Denn die beim Tasten entstehende
Bewegungsempfindung wird hier als eine äußere Gelegen-
heitsursache gedacht, welche die uns angeborene, also über-
sinnliche Idee des Raumes wiedererwecke.

7. Mit der zuletzt erwähnten Hypothese würde aber,
abgesehen von ihrer psychologischen Unwahrscheinlichkeit,
der Einfluss, den die Uebung in der Unterscheidung der
Localzeichen und der Bewegungsunterschiede ausübt, nicht
zu vereinigen sein. Es bleibt demnach nichts anderes übrig,
als dass man auch hier, ähnlich wie beim Sehenden (S. 125),
in die empirisch gegebenen Verbindungen der
Empfindungen selbst
die Entstehung der räumlichen
Vorstellungen verlegt. Diese Verbindungen bestehen nun
darin, dass beim Durchlaufen äußerer Tasteindrücke je zwei

II. Die psychischen Gebilde.

Nun kann eine Vorstellung von der Größe und Richtung
dieser Bewegungen wiederum nur dadurch entstehen, dass
jede Bewegung von einer inneren Tastempfindung (S. 54, 6)
begleitet ist. Die Annahme, dass diese innere Tastempfin-
dung unmittelbar schon mit einer Vorstellung von dem bei
der Bewegung zurückgelegten Raume verbunden sei, würde
aber im äußersten Grade unwahrscheinlich sein; denn nicht
nur würde das die Existenz einer dem Subject angeborenen
Anschauung von dem umgebenden Raume und seiner eigenen
Lage in demselben voraussetzen (S. 122), sondern es würde
auch noch die besondere Annahme in sich schließen, die
inneren Tastempfindungen, obgleich sonst in ihrer qualita-
tiven Beschaffenheit und in den physiologischen Substraten
ihrer Entstehung den äußeren gleichartig, unterschieden sich
doch dadurch von diesen, dass bei ihnen mit der Empfindung
stets auch ein Bild der Lage des Subjects und der räum-
lichen Ordnung seiner unmittelbaren Umgebung entstehe,
eine Annahme, die eigentlich nöthigen würde zu der Plato-
nischen Lehre von der Wiedererinnerung an angeborene
Ideen zurückzukehren. Denn die beim Tasten entstehende
Bewegungsempfindung wird hier als eine äußere Gelegen-
heitsursache gedacht, welche die uns angeborene, also über-
sinnliche Idee des Raumes wiedererwecke.

7. Mit der zuletzt erwähnten Hypothese würde aber,
abgesehen von ihrer psychologischen Unwahrscheinlichkeit,
der Einfluss, den die Uebung in der Unterscheidung der
Localzeichen und der Bewegungsunterschiede ausübt, nicht
zu vereinigen sein. Es bleibt demnach nichts anderes übrig,
als dass man auch hier, ähnlich wie beim Sehenden (S. 125),
in die empirisch gegebenen Verbindungen der
Empfindungen selbst
die Entstehung der räumlichen
Vorstellungen verlegt. Diese Verbindungen bestehen nun
darin, dass beim Durchlaufen äußerer Tasteindrücke je zwei

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[128/0144] II. Die psychischen Gebilde. Nun kann eine Vorstellung von der Größe und Richtung dieser Bewegungen wiederum nur dadurch entstehen, dass jede Bewegung von einer inneren Tastempfindung (S. 54, 6) begleitet ist. Die Annahme, dass diese innere Tastempfin- dung unmittelbar schon mit einer Vorstellung von dem bei der Bewegung zurückgelegten Raume verbunden sei, würde aber im äußersten Grade unwahrscheinlich sein; denn nicht nur würde das die Existenz einer dem Subject angeborenen Anschauung von dem umgebenden Raume und seiner eigenen Lage in demselben voraussetzen (S. 122), sondern es würde auch noch die besondere Annahme in sich schließen, die inneren Tastempfindungen, obgleich sonst in ihrer qualita- tiven Beschaffenheit und in den physiologischen Substraten ihrer Entstehung den äußeren gleichartig, unterschieden sich doch dadurch von diesen, dass bei ihnen mit der Empfindung stets auch ein Bild der Lage des Subjects und der räum- lichen Ordnung seiner unmittelbaren Umgebung entstehe, eine Annahme, die eigentlich nöthigen würde zu der Plato- nischen Lehre von der Wiedererinnerung an angeborene Ideen zurückzukehren. Denn die beim Tasten entstehende Bewegungsempfindung wird hier als eine äußere Gelegen- heitsursache gedacht, welche die uns angeborene, also über- sinnliche Idee des Raumes wiedererwecke. 7. Mit der zuletzt erwähnten Hypothese würde aber, abgesehen von ihrer psychologischen Unwahrscheinlichkeit, der Einfluss, den die Uebung in der Unterscheidung der Localzeichen und der Bewegungsunterschiede ausübt, nicht zu vereinigen sein. Es bleibt demnach nichts anderes übrig, als dass man auch hier, ähnlich wie beim Sehenden (S. 125), in die empirisch gegebenen Verbindungen der Empfindungen selbst die Entstehung der räumlichen Vorstellungen verlegt. Diese Verbindungen bestehen nun darin, dass beim Durchlaufen äußerer Tasteindrücke je zwei

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/144>, abgerufen am 25.11.2024.