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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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II. Die psychischen Gebilde.
in dem Vierklang c e g c' die Klänge c und c' eine nahezu
vollkommene, die Klänge c und g, c und e aber unvoll-
kommene Verschmelzungen; noch unvollkommener als bei
diesen ist endlich die Verschmelzung der Klänge c und es.
Ein Maß für den Grad der Verschmelzung erhält man in
allen diesen Fällen, wenn man während einer gegebenen
sehr kurzen Zeit einen Zusammenklang einwirken und den
Beobachter entscheiden lässt, ob er bloß einen Klang oder
mehrere Klänge wahrgenommen hat. Wird dieser Versuch
öfter wiederholt, so ergibt die relative Anzahl der für die
Einheit des Klangs abgegebenen Urtheile ein Maß für den
Grad der Verschmelzung.

6. Zu den in den Einzelklängen enthaltenen Elementen
kommen in jedem Zusammenklang noch weitere hinzu, die
aus der Superposition der Schwingungen innerhalb des Gehör-
apparates entstehen und zu neuen, für die verschiedenen
Arten der Zusammenklänge charakteristischen Tonempfin-
dungen Anlass geben, welche ebenfalls bald vollkommene,
bald unvollkommene Verschmelzungen mit der ursprüng-
lichen Klangmasse bilden können. Diese Empfindungen
sind die der Differenztöne. Sie entsprechen, wie ihr
Name andeutet, der Differenz der Schwingungszahlen zweier
primärer Töne. Ihr Ursprung kann ein doppelter sein:
entweder entstehen sie nämlich durch die Interferenz der
Schwingungen im äußern Gehörapparat, namentlich im
Trommelfell und in den Gehörknöchelchen (Helmholtz'sche
Combinationstöne), oder sie entstehen durch die Interferenz
der Schwingungen in den Gehörnervenfasern (Koenig'sche
Stoßtöne). Die ersteren sind gemäß ihrer Entstehung
schwache Töne, und namentlich bleiben sie stets relativ viel
schwächer als ihre Ursprungstöne. Die letzteren sind da-
gegen im allgemeinen stärkere Töne, und sie können sogar
ihre Ursprungstöne an Intensität übertreffen. Wahrscheinlich

II. Die psychischen Gebilde.
in dem Vierklang c e g c′ die Klänge c und c′ eine nahezu
vollkommene, die Klänge c und g, c und e aber unvoll-
kommene Verschmelzungen; noch unvollkommener als bei
diesen ist endlich die Verschmelzung der Klänge c und es.
Ein Maß für den Grad der Verschmelzung erhält man in
allen diesen Fällen, wenn man während einer gegebenen
sehr kurzen Zeit einen Zusammenklang einwirken und den
Beobachter entscheiden lässt, ob er bloß einen Klang oder
mehrere Klänge wahrgenommen hat. Wird dieser Versuch
öfter wiederholt, so ergibt die relative Anzahl der für die
Einheit des Klangs abgegebenen Urtheile ein Maß für den
Grad der Verschmelzung.

6. Zu den in den Einzelklängen enthaltenen Elementen
kommen in jedem Zusammenklang noch weitere hinzu, die
aus der Superposition der Schwingungen innerhalb des Gehör-
apparates entstehen und zu neuen, für die verschiedenen
Arten der Zusammenklänge charakteristischen Tonempfin-
dungen Anlass geben, welche ebenfalls bald vollkommene,
bald unvollkommene Verschmelzungen mit der ursprüng-
lichen Klangmasse bilden können. Diese Empfindungen
sind die der Differenztöne. Sie entsprechen, wie ihr
Name andeutet, der Differenz der Schwingungszahlen zweier
primärer Töne. Ihr Ursprung kann ein doppelter sein:
entweder entstehen sie nämlich durch die Interferenz der
Schwingungen im äußern Gehörapparat, namentlich im
Trommelfell und in den Gehörknöchelchen (Helmholtz’sche
Combinationstöne), oder sie entstehen durch die Interferenz
der Schwingungen in den Gehörnervenfasern (Koenig’sche
Stoßtöne). Die ersteren sind gemäß ihrer Entstehung
schwache Töne, und namentlich bleiben sie stets relativ viel
schwächer als ihre Ursprungstöne. Die letzteren sind da-
gegen im allgemeinen stärkere Töne, und sie können sogar
ihre Ursprungstöne an Intensität übertreffen. Wahrscheinlich

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[116/0132] II. Die psychischen Gebilde. in dem Vierklang c e g c′ die Klänge c und c′ eine nahezu vollkommene, die Klänge c und g, c und e aber unvoll- kommene Verschmelzungen; noch unvollkommener als bei diesen ist endlich die Verschmelzung der Klänge c und es. Ein Maß für den Grad der Verschmelzung erhält man in allen diesen Fällen, wenn man während einer gegebenen sehr kurzen Zeit einen Zusammenklang einwirken und den Beobachter entscheiden lässt, ob er bloß einen Klang oder mehrere Klänge wahrgenommen hat. Wird dieser Versuch öfter wiederholt, so ergibt die relative Anzahl der für die Einheit des Klangs abgegebenen Urtheile ein Maß für den Grad der Verschmelzung. 6. Zu den in den Einzelklängen enthaltenen Elementen kommen in jedem Zusammenklang noch weitere hinzu, die aus der Superposition der Schwingungen innerhalb des Gehör- apparates entstehen und zu neuen, für die verschiedenen Arten der Zusammenklänge charakteristischen Tonempfin- dungen Anlass geben, welche ebenfalls bald vollkommene, bald unvollkommene Verschmelzungen mit der ursprüng- lichen Klangmasse bilden können. Diese Empfindungen sind die der Differenztöne. Sie entsprechen, wie ihr Name andeutet, der Differenz der Schwingungszahlen zweier primärer Töne. Ihr Ursprung kann ein doppelter sein: entweder entstehen sie nämlich durch die Interferenz der Schwingungen im äußern Gehörapparat, namentlich im Trommelfell und in den Gehörknöchelchen (Helmholtz’sche Combinationstöne), oder sie entstehen durch die Interferenz der Schwingungen in den Gehörnervenfasern (Koenig’sche Stoßtöne). Die ersteren sind gemäß ihrer Entstehung schwache Töne, und namentlich bleiben sie stets relativ viel schwächer als ihre Ursprungstöne. Die letzteren sind da- gegen im allgemeinen stärkere Töne, und sie können sogar ihre Ursprungstöne an Intensität übertreffen. Wahrscheinlich

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/132>, abgerufen am 24.11.2024.