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Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896.

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I. Die psychischen Elemente.
elementen, die unter verschiedenen Bedingungen mit einer
bestimmten Empfindung verbunden sein können, dasjenige
zurückbehalten, das am constantesten und unter möglichster
Abwesenheit von Einflüssen, die die einfache Empfindungs-
wirkung stören oder compliciren könnten, mit ihr ver-
bunden ist.

Unter diesen Bedingungen ist die erste, wenn man die
psychologische Bedeutung der Begriffe Empfindung und Gefühl
im Auge behält, verhältnissmäßig leicht, die zweite aber sehr
schwer zu erfüllen, und besonders bei den zwei ausgebil-
detsten Empfindungssystemen, denen der Ton- und der Licht-
empfindungen, ist es in Wirklichkeit niemals möglich, solche
indirecte Einflüsse völlig fernzuhalten. Man kann darum
auf den reinen Gefühlston der Empfindung nur mittelst der-
selben Methode zurückschließen, die bereits zur Abstraction
der reinen Empfindung gedient hat (§ 5, S. 33): auch hier
wird man nämlich annehmen dürfen, dass nur derjenige
Gefühlston, der bei allem Wechsel sonstiger Bedingungen
constant bleibt, der Empfindung als solcher zukommt. So
leicht anwendbar aber diese Regel bei den Empfindungen
ist, so schwer ist sie es bei den Gefühlen, weil meist mit
der Empfindung selbst jene secundären Einflüsse ebenso fest
verbunden sind, wie der primäre des Gefühlstones. So er-
weckt z. B. die Empfindung Grün fast unvermeidlich die
Vorstellung der grünen Vegetation, und da an diese Vor-
stellung zusammengesetzte Gefühle geknüpft sind, deren
Beschaffenheit möglicher Weise ganz unabhängig ist von
dem Gefühlston der grünen Farbe, so lässt sich nicht ohne
weiteres bestimmen, ob das bei der Einwirkung eines grünen
Eindrucks beobachtete Gefühl ein reiner Gefühlston oder ein
durch begleitende Vorstellungen erwecktes Gefühl oder aber
eine Mischung aus beiden sei.

I. Die psychischen Elemente.
elementen, die unter verschiedenen Bedingungen mit einer
bestimmten Empfindung verbunden sein können, dasjenige
zurückbehalten, das am constantesten und unter möglichster
Abwesenheit von Einflüssen, die die einfache Empfindungs-
wirkung stören oder compliciren könnten, mit ihr ver-
bunden ist.

Unter diesen Bedingungen ist die erste, wenn man die
psychologische Bedeutung der Begriffe Empfindung und Gefühl
im Auge behält, verhältnissmäßig leicht, die zweite aber sehr
schwer zu erfüllen, und besonders bei den zwei ausgebil-
detsten Empfindungssystemen, denen der Ton- und der Licht-
empfindungen, ist es in Wirklichkeit niemals möglich, solche
indirecte Einflüsse völlig fernzuhalten. Man kann darum
auf den reinen Gefühlston der Empfindung nur mittelst der-
selben Methode zurückschließen, die bereits zur Abstraction
der reinen Empfindung gedient hat (§ 5, S. 33): auch hier
wird man nämlich annehmen dürfen, dass nur derjenige
Gefühlston, der bei allem Wechsel sonstiger Bedingungen
constant bleibt, der Empfindung als solcher zukommt. So
leicht anwendbar aber diese Regel bei den Empfindungen
ist, so schwer ist sie es bei den Gefühlen, weil meist mit
der Empfindung selbst jene secundären Einflüsse ebenso fest
verbunden sind, wie der primäre des Gefühlstones. So er-
weckt z. B. die Empfindung Grün fast unvermeidlich die
Vorstellung der grünen Vegetation, und da an diese Vor-
stellung zusammengesetzte Gefühle geknüpft sind, deren
Beschaffenheit möglicher Weise ganz unabhängig ist von
dem Gefühlston der grünen Farbe, so lässt sich nicht ohne
weiteres bestimmen, ob das bei der Einwirkung eines grünen
Eindrucks beobachtete Gefühl ein reiner Gefühlston oder ein
durch begleitende Vorstellungen erwecktes Gefühl oder aber
eine Mischung aus beiden sei.

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[90/0106] I. Die psychischen Elemente. elementen, die unter verschiedenen Bedingungen mit einer bestimmten Empfindung verbunden sein können, dasjenige zurückbehalten, das am constantesten und unter möglichster Abwesenheit von Einflüssen, die die einfache Empfindungs- wirkung stören oder compliciren könnten, mit ihr ver- bunden ist. Unter diesen Bedingungen ist die erste, wenn man die psychologische Bedeutung der Begriffe Empfindung und Gefühl im Auge behält, verhältnissmäßig leicht, die zweite aber sehr schwer zu erfüllen, und besonders bei den zwei ausgebil- detsten Empfindungssystemen, denen der Ton- und der Licht- empfindungen, ist es in Wirklichkeit niemals möglich, solche indirecte Einflüsse völlig fernzuhalten. Man kann darum auf den reinen Gefühlston der Empfindung nur mittelst der- selben Methode zurückschließen, die bereits zur Abstraction der reinen Empfindung gedient hat (§ 5, S. 33): auch hier wird man nämlich annehmen dürfen, dass nur derjenige Gefühlston, der bei allem Wechsel sonstiger Bedingungen constant bleibt, der Empfindung als solcher zukommt. So leicht anwendbar aber diese Regel bei den Empfindungen ist, so schwer ist sie es bei den Gefühlen, weil meist mit der Empfindung selbst jene secundären Einflüsse ebenso fest verbunden sind, wie der primäre des Gefühlstones. So er- weckt z. B. die Empfindung Grün fast unvermeidlich die Vorstellung der grünen Vegetation, und da an diese Vor- stellung zusammengesetzte Gefühle geknüpft sind, deren Beschaffenheit möglicher Weise ganz unabhängig ist von dem Gefühlston der grünen Farbe, so lässt sich nicht ohne weiteres bestimmen, ob das bei der Einwirkung eines grünen Eindrucks beobachtete Gefühl ein reiner Gefühlston oder ein durch begleitende Vorstellungen erwecktes Gefühl oder aber eine Mischung aus beiden sei.

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Zitationshilfe: Wundt, Wilhelm: Grundriss der Psychologie. Leipzig, 1896, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wundt_grundriss_1896/106>, abgerufen am 03.05.2024.