Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.Tode zu endigen: Dies Leben war vollbracht; und der Kelch des Leidens ausgetrunken. Als die Sonne ihren Schein verlor; und das Licht seines Lebens zu verlöschen begann; und eine fey- erliche Stille auf die ganze Natur herabsank; und Erstaunen und Entsetzen die Umstehenden er- gr[i]ff; und das Hohngelächter schwieg, und der Spottgeist verstummte: -- hieng Jesus Chri- stus in der tiefsten Dunkelheit, schweigend am Creuze. Jn diesen stillen Augenblicken klagte er nicht, da fühlte er wohl schon im Vorschmack, mitten unter seinen Schmerzen, den seligsten Frieden, den hernach nur noch einige Augen- blicke der Todesangst unterbrachen. Frieden, da er das Ziel seines Gehorsams bis zum Tode am Creuz, herannahen sahe: Frieden, in der Hoff- nung daß doch nicht an jedem unter der großen versammelten Schaar, alle seine Ermunterun- gen verloren gewesen, daß manche edlere Seele noch seine Worte bewahrte, und Thränen der Dank- barkeit ihm nachweinte: Frieden, wenn er es vorhersahe, wie die kurzen Tage der Trauer sei- ner Freunde, am nahen Tage seiner Auferste- hung, sich in Frohlocken verwandeln, und ihr dann gestärktes Herz ihm bis zum Tode getreu seyn würde: Frieden, wenn er in die Zukunft sahe,
Tode zu endigen: Dies Leben war vollbracht; und der Kelch des Leidens ausgetrunken. Als die Sonne ihren Schein verlor; und das Licht ſeines Lebens zu verlöſchen begann; und eine fey- erliche Stille auf die ganze Natur herabſank; und Erſtaunen und Entſetzen die Umſtehenden er- gr[i]ff; und das Hohngelächter ſchwieg, und der Spottgeiſt verſtummte: — hieng Jeſus Chri- ſtus in der tiefſten Dunkelheit, ſchweigend am Creuze. Jn dieſen ſtillen Augenblicken klagte er nicht, da fühlte er wohl ſchon im Vorſchmack, mitten unter ſeinen Schmerzen, den ſeligſten Frieden, den hernach nur noch einige Augen- blicke der Todesangſt unterbrachen. Frieden, da er das Ziel ſeines Gehorſams bis zum Tode am Creuz, herannahen ſahe: Frieden, in der Hoff- nung daß doch nicht an jedem unter der großen verſammelten Schaar, alle ſeine Ermunterun- gen verloren geweſen, daß manche edlere Seele noch ſeine Worte bewahrte, und Thränen der Dank- barkeit ihm nachweinte: Frieden, wenn er es vorherſahe, wie die kurzen Tage der Trauer ſei- ner Freunde, am nahen Tage ſeiner Auferſte- hung, ſich in Frohlocken verwandeln, und ihr dann geſtärktes Herz ihm bis zum Tode getreu ſeyn würde: Frieden, wenn er in die Zukunft ſahe,
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Tode zu endigen: Dies Leben war vollbracht;
und der Kelch des Leidens ausgetrunken. Als
die Sonne ihren Schein verlor; und das Licht
ſeines Lebens zu verlöſchen begann; und eine fey-
erliche Stille auf die ganze Natur herabſank;
und Erſtaunen und Entſetzen die Umſtehenden er-
griff; und das Hohngelächter ſchwieg, und der
Spottgeiſt verſtummte: — hieng Jeſus Chri-
ſtus in der tiefſten Dunkelheit, ſchweigend am
Creuze. Jn dieſen ſtillen Augenblicken klagte
er nicht, da fühlte er wohl ſchon im Vorſchmack,
mitten unter ſeinen Schmerzen, den ſeligſten
Frieden, den hernach nur noch einige Augen-
blicke der Todesangſt unterbrachen. Frieden, da
er das Ziel ſeines Gehorſams bis zum Tode am
Creuz, herannahen ſahe: Frieden, in der Hoff-
nung daß doch nicht an jedem unter der großen
verſammelten Schaar, alle ſeine Ermunterun-
gen verloren geweſen, daß manche edlere Seele noch
ſeine Worte bewahrte, und Thränen der Dank-
barkeit ihm nachweinte: Frieden, wenn er es
vorherſahe, wie die kurzen Tage der Trauer ſei-
ner Freunde, am nahen Tage ſeiner Auferſte-
hung, ſich in Frohlocken verwandeln, und ihr
dann geſtärktes Herz ihm bis zum Tode getreu
ſeyn würde: Frieden, wenn er in die Zukunft
ſahe,
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Zitationshilfe: | Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/330>, abgerufen am 16.02.2025. |