Bist du der Juden König? das war die erste Frage des heidnischen Richters an den gefangnen Erlöser, der ihm von dem jüdischen Rathe als ein Aufrührer zur Verurtheilung übergeben war. Er wollte durch diese Frage, nicht sowohl seinen Verdacht gegen Jesum, als vielmehr sein Erstau- nen, ihn für ein solches Staatsverbrechen an- geklagt zu sehn, an den Tag legen. Ein Mann, der ihm durch das öffentliche weitverbreitete Ge- rücht, immer nur unter dem Character eines Lehrers und Wunderthäters bekannt worden war; ein Mann, dessen stilles, friedfertiges, menschen- freundliches Leben, auch den scharfsichtigsten Nachsorschungen nie eine Gelegenheit zum Ver- dacht aufrührerischer Gesinnungen gegeben hatte; ein Mann, während dessen Leben, das fast im- mer zu Unruhen so geneigte jüdische Volk, sich ruhiger und unterwürfiger als jemals bewiesen hatte; ein Mann, dessen ganze Partey in ei- nigen wenigen Begleitern aus der geringsten Clas- se des Volks bestand; ein Mann, der auf der ei- nen Seite, bei den ungestümsten Anklagen sei-
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XVIII. Mein Reich iſt nicht von dieſer Welt.
Biſt du der Juden König? das war die erſte Frage des heidniſchen Richters an den gefangnen Erlöſer, der ihm von dem jüdiſchen Rathe als ein Aufrührer zur Verurtheilung übergeben war. Er wollte durch dieſe Frage, nicht ſowohl ſeinen Verdacht gegen Jeſum, als vielmehr ſein Erſtau- nen, ihn für ein ſolches Staatsverbrechen an- geklagt zu ſehn, an den Tag legen. Ein Mann, der ihm durch das öffentliche weitverbreitete Ge- rücht, immer nur unter dem Character eines Lehrers und Wunderthäters bekannt worden war; ein Mann, deſſen ſtilles, friedfertiges, menſchen- freundliches Leben, auch den ſcharfſichtigſten Nachſorſchungen nie eine Gelegenheit zum Ver- dacht aufrühreriſcher Geſinnungen gegeben hatte; ein Mann, während deſſen Leben, das faſt im- mer zu Unruhen ſo geneigte jüdiſche Volk, ſich ruhiger und unterwürfiger als jemals bewieſen hatte; ein Mann, deſſen ganze Partey in ei- nigen wenigen Begleitern aus der geringſten Claſ- ſe des Volks beſtand; ein Mann, der auf der ei- nen Seite, bei den ungeſtümſten Anklagen ſei-
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XVIII.
Mein Reich iſt nicht von dieſer Welt.
Biſt du der Juden König? das war die erſte
Frage des heidniſchen Richters an den gefangnen
Erlöſer, der ihm von dem jüdiſchen Rathe als
ein Aufrührer zur Verurtheilung übergeben war.
Er wollte durch dieſe Frage, nicht ſowohl ſeinen
Verdacht gegen Jeſum, als vielmehr ſein Erſtau-
nen, ihn für ein ſolches Staatsverbrechen an-
geklagt zu ſehn, an den Tag legen. Ein Mann,
der ihm durch das öffentliche weitverbreitete Ge-
rücht, immer nur unter dem Character eines
Lehrers und Wunderthäters bekannt worden war;
ein Mann, deſſen ſtilles, friedfertiges, menſchen-
freundliches Leben, auch den ſcharfſichtigſten
Nachſorſchungen nie eine Gelegenheit zum Ver-
dacht aufrühreriſcher Geſinnungen gegeben hatte;
ein Mann, während deſſen Leben, das faſt im-
mer zu Unruhen ſo geneigte jüdiſche Volk, ſich
ruhiger und unterwürfiger als jemals bewieſen
hatte; ein Mann, deſſen ganze Partey in ei-
nigen wenigen Begleitern aus der geringſten Claſ-
ſe des Volks beſtand; ein Mann, der auf der ei-
nen Seite, bei den ungeſtümſten Anklagen ſei-
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Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/287>, abgerufen am 22.11.2024.
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