Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite



serdem noch, so viel verborgne Tieffen deines Her-
zens, die dir deine Eigenliebe verhüllt; -- ach,
die alle sind vor den untrüglichen Augen des All-
wißenden aufgedeckt! -- o, denn spricht unser
Glaube uns tröstend zu: Gott weiß alle Din-
ge.
Er weiß, wer du, ganz nach seinem Eben-
bilde erneuert, seyn könntest und solltest: aber
er bedenkt auch, mit der gütigsten Nachsicht,
welch ein schwaches, leicht erschüttertes, hinfäl-
liges Geschöpfe, du noch im Leben des Stau-
bes und der Sünde bleibst: Er weiß deinen
Fall; aber er wiegt auch dagegen, auf der Wa-
ge seiner Allwißenheit, die Heftigkeit der Ver-
suchung ab, die dich stürzte: Er weiß den Leicht-
sinn, die Unvorsichtigkeit, die dich verführte;
aber er sieht und zählt auch deine Thränen der
Reue: Er weiß deinen Mangel der Liebe; aber
er vergißt auch nicht die inbrünstige Sehnsucht,
mit der du ganz an ihm zu hangen wünschest, ver-
gißt nicht manches schwere Opfer, manche red-
liche uneigennützige edle That deiner Liebe. --
Der Glaube zeigt uns Gott den Allerheiligsten
und Allgerechten: furchtbar nur, Jesu Chri-
sto unserm Mittler, in Gethsemane, wo er den
bittern Kelch der Todesangst trank, und auf
Golgatha, wo er für unsre Sünde sich zum Op-

fer



ſerdem noch, ſo viel verborgne Tieffen deines Her-
zens, die dir deine Eigenliebe verhüllt; — ach,
die alle ſind vor den untrüglichen Augen des All-
wißenden aufgedeckt! — o, denn ſpricht unſer
Glaube uns tröſtend zu: Gott weiß alle Din-
ge.
Er weiß, wer du, ganz nach ſeinem Eben-
bilde erneuert, ſeyn könnteſt und ſollteſt: aber
er bedenkt auch, mit der gütigſten Nachſicht,
welch ein ſchwaches, leicht erſchüttertes, hinfäl-
liges Geſchöpfe, du noch im Leben des Stau-
bes und der Sünde bleibſt: Er weiß deinen
Fall; aber er wiegt auch dagegen, auf der Wa-
ge ſeiner Allwißenheit, die Heftigkeit der Ver-
ſuchung ab, die dich ſtürzte: Er weiß den Leicht-
ſinn, die Unvorſichtigkeit, die dich verführte;
aber er ſieht und zählt auch deine Thränen der
Reue: Er weiß deinen Mangel der Liebe; aber
er vergißt auch nicht die inbrünſtige Sehnſucht,
mit der du ganz an ihm zu hangen wünſcheſt, ver-
gißt nicht manches ſchwere Opfer, manche red-
liche uneigennützige edle That deiner Liebe. —
Der Glaube zeigt uns Gott den Allerheiligſten
und Allgerechten: furchtbar nur, Jeſu Chri-
ſto unſerm Mittler, in Gethſemane, wo er den
bittern Kelch der Todesangſt trank, und auf
Golgatha, wo er für unſre Sünde ſich zum Op-

fer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0154" n="102"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;erdem noch, &#x017F;o viel verborgne Tieffen deines Her-<lb/>
zens, die dir deine Eigenliebe verhüllt; &#x2014; ach,<lb/>
die alle &#x017F;ind vor den untrüglichen Augen des All-<lb/>
wißenden aufgedeckt! &#x2014; o, denn &#x017F;pricht un&#x017F;er<lb/><hi rendition="#fr">Glaube</hi> uns trö&#x017F;tend zu: <hi rendition="#fr">Gott weiß alle Din-<lb/>
ge.</hi> Er weiß, wer du, ganz nach &#x017F;einem Eben-<lb/>
bilde erneuert, &#x017F;eyn könnte&#x017F;t und &#x017F;ollte&#x017F;t: aber<lb/>
er bedenkt auch, mit der gütig&#x017F;ten Nach&#x017F;icht,<lb/>
welch ein &#x017F;chwaches, leicht er&#x017F;chüttertes, hinfäl-<lb/>
liges Ge&#x017F;chöpfe, du noch im Leben des Stau-<lb/>
bes und der Sünde bleib&#x017F;t: Er weiß deinen<lb/>
Fall; aber er wiegt auch dagegen, auf der Wa-<lb/>
ge &#x017F;einer Allwißenheit, die Heftigkeit der Ver-<lb/>
&#x017F;uchung ab, die dich &#x017F;türzte: Er weiß den Leicht-<lb/>
&#x017F;inn, die Unvor&#x017F;ichtigkeit, die dich verführte;<lb/>
aber er &#x017F;ieht und zählt auch deine Thränen der<lb/>
Reue: Er weiß deinen Mangel der Liebe; aber<lb/>
er vergißt auch nicht die inbrün&#x017F;tige Sehn&#x017F;ucht,<lb/>
mit der du ganz an ihm zu hangen wün&#x017F;che&#x017F;t, ver-<lb/>
gißt nicht manches &#x017F;chwere Opfer, manche red-<lb/>
liche uneigennützige edle That deiner Liebe. &#x2014;<lb/>
Der <hi rendition="#fr">Glaube</hi> zeigt uns Gott den <hi rendition="#fr">Allerheilig&#x017F;ten</hi><lb/>
und <hi rendition="#fr">Allgerechten: furchtbar</hi> nur, Je&#x017F;u Chri-<lb/>
&#x017F;to un&#x017F;erm Mittler, in Geth&#x017F;emane, wo er den<lb/>
bittern Kelch der Todesang&#x017F;t trank, und auf<lb/>
Golgatha, wo er für un&#x017F;re Sünde &#x017F;ich zum Op-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fer</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0154] ſerdem noch, ſo viel verborgne Tieffen deines Her- zens, die dir deine Eigenliebe verhüllt; — ach, die alle ſind vor den untrüglichen Augen des All- wißenden aufgedeckt! — o, denn ſpricht unſer Glaube uns tröſtend zu: Gott weiß alle Din- ge. Er weiß, wer du, ganz nach ſeinem Eben- bilde erneuert, ſeyn könnteſt und ſollteſt: aber er bedenkt auch, mit der gütigſten Nachſicht, welch ein ſchwaches, leicht erſchüttertes, hinfäl- liges Geſchöpfe, du noch im Leben des Stau- bes und der Sünde bleibſt: Er weiß deinen Fall; aber er wiegt auch dagegen, auf der Wa- ge ſeiner Allwißenheit, die Heftigkeit der Ver- ſuchung ab, die dich ſtürzte: Er weiß den Leicht- ſinn, die Unvorſichtigkeit, die dich verführte; aber er ſieht und zählt auch deine Thränen der Reue: Er weiß deinen Mangel der Liebe; aber er vergißt auch nicht die inbrünſtige Sehnſucht, mit der du ganz an ihm zu hangen wünſcheſt, ver- gißt nicht manches ſchwere Opfer, manche red- liche uneigennützige edle That deiner Liebe. — Der Glaube zeigt uns Gott den Allerheiligſten und Allgerechten: furchtbar nur, Jeſu Chri- ſto unſerm Mittler, in Gethſemane, wo er den bittern Kelch der Todesangſt trank, und auf Golgatha, wo er für unſre Sünde ſich zum Op- fer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/154
Zitationshilfe: Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/154>, abgerufen am 25.07.2024.