Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite



der Besitzer und Geber aller Wonne und Glück-
seligkeit, Gott hat auch uns zur Freude geschaf-
fen. Lebt denn aber auch, unter so unzähligen
Arten der Geschöpfe, irgend eins auf der Erde,
dessen Durst nach Freude schwerer zu beftiedigen
wäre, als der unsrige? Wir sehn tief herab auf
den Wurm, den unsre Füsse im Staube zertre-
ten, herab auf jedes unvernünftige Geschöpf,
das keine Freuden kennt, als sinnlich angenehme
Gefühle, und keine Pein, als die Leiden des
Hungers, der Kälte, der Schmerzen und des
Todes. Und dennoch gerade deswegen, weil
wir uns zu höhern Freuden erheben, fallen wir
auch in tiefere Traurigkeit und peinlichere
Schmerzen; weil wir unendlich mehr verlangen,
finden wir seltner was wir suchen, und verfeh-
len unsrer Hoffnungen öftrer als sie. Freuden der
sinnlichen Empfindungen; Freuden der schönen
Natur; Freuden der Freundschaft und Liebe;
Freuden der Andacht und Tugend: -- welch
ein weites Feld sehn wir vor uns; wie viel Ar-
ten des Genußes bieten sich uns dar; wie viel
Früchte können wir von unsrer Arbeit einerndten!
aber nun auch auf der andern Seite, wie viele
und bittere Quellen der Traurigkeit für uns, wenn
eine oder mehrere derselben uns fehlen? und wel-

che



der Beſitzer und Geber aller Wonne und Glück-
ſeligkeit, Gott hat auch uns zur Freude geſchaf-
fen. Lebt denn aber auch, unter ſo unzähligen
Arten der Geſchöpfe, irgend eins auf der Erde,
deſſen Durſt nach Freude ſchwerer zu beftiedigen
wäre, als der unſrige? Wir ſehn tief herab auf
den Wurm, den unſre Füſſe im Staube zertre-
ten, herab auf jedes unvernünftige Geſchöpf,
das keine Freuden kennt, als ſinnlich angenehme
Gefühle, und keine Pein, als die Leiden des
Hungers, der Kälte, der Schmerzen und des
Todes. Und dennoch gerade deswegen, weil
wir uns zu höhern Freuden erheben, fallen wir
auch in tiefere Traurigkeit und peinlichere
Schmerzen; weil wir unendlich mehr verlangen,
finden wir ſeltner was wir ſuchen, und verfeh-
len unſrer Hoffnungen öftrer als ſie. Freuden der
ſinnlichen Empfindungen; Freuden der ſchönen
Natur; Freuden der Freundſchaft und Liebe;
Freuden der Andacht und Tugend: — welch
ein weites Feld ſehn wir vor uns; wie viel Ar-
ten des Genußes bieten ſich uns dar; wie viel
Früchte können wir von unſrer Arbeit einerndten!
aber nun auch auf der andern Seite, wie viele
und bittere Quellen der Traurigkeit für uns, wenn
eine oder mehrere derſelben uns fehlen? und wel-

che
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0111" n="59"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
der Be&#x017F;itzer und Geber aller Wonne und Glück-<lb/>
&#x017F;eligkeit, Gott hat auch uns zur Freude ge&#x017F;chaf-<lb/>
fen. Lebt denn aber auch, unter &#x017F;o unzähligen<lb/>
Arten der Ge&#x017F;chöpfe, irgend eins auf der Erde,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Dur&#x017F;t nach Freude &#x017F;chwerer zu beftiedigen<lb/>
wäre, als der un&#x017F;rige? Wir &#x017F;ehn tief herab auf<lb/>
den Wurm, den un&#x017F;re Fü&#x017F;&#x017F;e im Staube zertre-<lb/>
ten, herab auf jedes unvernünftige Ge&#x017F;chöpf,<lb/>
das keine Freuden kennt, als &#x017F;innlich angenehme<lb/>
Gefühle, und keine Pein, als die Leiden des<lb/>
Hungers, der Kälte, der Schmerzen und des<lb/>
Todes. Und dennoch gerade deswegen, weil<lb/>
wir uns zu höhern Freuden erheben, fallen wir<lb/>
auch in tiefere Traurigkeit und peinlichere<lb/>
Schmerzen; weil wir unendlich mehr verlangen,<lb/>
finden wir &#x017F;eltner was wir &#x017F;uchen, und verfeh-<lb/>
len un&#x017F;rer Hoffnungen öftrer als &#x017F;ie. Freuden der<lb/>
&#x017F;innlichen Empfindungen; Freuden der &#x017F;chönen<lb/>
Natur; Freuden der Freund&#x017F;chaft und Liebe;<lb/>
Freuden der Andacht und Tugend: &#x2014; welch<lb/>
ein weites Feld &#x017F;ehn wir vor uns; wie viel Ar-<lb/>
ten des Genußes bieten &#x017F;ich uns dar; wie viel<lb/>
Früchte können wir von un&#x017F;rer Arbeit einerndten!<lb/>
aber nun auch auf der andern Seite, wie viele<lb/>
und bittere Quellen der Traurigkeit für uns, wenn<lb/>
eine oder mehrere der&#x017F;elben uns fehlen? und wel-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">che</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0111] der Beſitzer und Geber aller Wonne und Glück- ſeligkeit, Gott hat auch uns zur Freude geſchaf- fen. Lebt denn aber auch, unter ſo unzähligen Arten der Geſchöpfe, irgend eins auf der Erde, deſſen Durſt nach Freude ſchwerer zu beftiedigen wäre, als der unſrige? Wir ſehn tief herab auf den Wurm, den unſre Füſſe im Staube zertre- ten, herab auf jedes unvernünftige Geſchöpf, das keine Freuden kennt, als ſinnlich angenehme Gefühle, und keine Pein, als die Leiden des Hungers, der Kälte, der Schmerzen und des Todes. Und dennoch gerade deswegen, weil wir uns zu höhern Freuden erheben, fallen wir auch in tiefere Traurigkeit und peinlichere Schmerzen; weil wir unendlich mehr verlangen, finden wir ſeltner was wir ſuchen, und verfeh- len unſrer Hoffnungen öftrer als ſie. Freuden der ſinnlichen Empfindungen; Freuden der ſchönen Natur; Freuden der Freundſchaft und Liebe; Freuden der Andacht und Tugend: — welch ein weites Feld ſehn wir vor uns; wie viel Ar- ten des Genußes bieten ſich uns dar; wie viel Früchte können wir von unſrer Arbeit einerndten! aber nun auch auf der andern Seite, wie viele und bittere Quellen der Traurigkeit für uns, wenn eine oder mehrere derſelben uns fehlen? und wel- che

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/111
Zitationshilfe: Wolfrath, Friedrich Wilhelm: Freuden der einsamen Andacht für denkende Christen. Hamburg/Kiel, 1784, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolfrath_freuden_1784/111>, abgerufen am 25.11.2024.