scheinlicher Weise gedacht hat (§. 810.); so muß man, wenn es die Sache, wovon gehandelt wird, nicht wohl leidet, daß die Worte in einer so weiten Bedeu- tung genommen werden, als es scheint, daß sie genommen werden sollten, die- selbe durch die einschränckende Ausle- gung der Sache gemäß einschräncken; massen allerdings der Grund dasselbe zu wol- len, oder nicht zu wollen, nicht vorhanden. Und weil man nicht vermuthen kann, daß je- mand etwas ungereimtes wolle; folglich in einem sich ereignenden Falle, da man solches annehmen müste, kein hinreichender Grund es zu wollen vorhanden; so muß man in dem Falle, da was ungereimtes daraus er- folgen würde, wenn man einem die Meynung beylegen wollte, welche die allgemeinen Worte anzeigen, dieselben so einschräncken, daß nichts ungereim- tes daraus folget. Allein wenn die Sa- chen, welche der Grund in sich be- greift, nicht nach ihrer Würcklichkeit, sondern bloß nach ihrer Möglichkeit angesehen werden; so muß man, wenn es nicht gewiß ist, daß sie sich nicht würcklich zutragen können, auch die all- gemeinen Worte nicht einschräncken; denn es ist offenbahr, daß die Einschrän- ckung dem Sinne dessen, der geredet, zuwi- der seyn würde.
§. 814.
P p 4
Von der Auslegung.
ſcheinlicher Weiſe gedacht hat (§. 810.); ſo muß man, wenn es die Sache, wovon gehandelt wird, nicht wohl leidet, daß die Worte in einer ſo weiten Bedeu- tung genommen werden, als es ſcheint, daß ſie genommen werden ſollten, die- ſelbe durch die einſchraͤnckende Ausle- gung der Sache gemaͤß einſchraͤncken; maſſen allerdings der Grund daſſelbe zu wol- len, oder nicht zu wollen, nicht vorhanden. Und weil man nicht vermuthen kann, daß je- mand etwas ungereimtes wolle; folglich in einem ſich ereignenden Falle, da man ſolches annehmen muͤſte, kein hinreichender Grund es zu wollen vorhanden; ſo muß man in dem Falle, da was ungereimtes daraus er- folgen wuͤrde, wenn man einem die Meynung beylegen wollte, welche die allgemeinen Worte anzeigen, dieſelben ſo einſchraͤncken, daß nichts ungereim- tes daraus folget. Allein wenn die Sa- chen, welche der Grund in ſich be- greift, nicht nach ihrer Wuͤrcklichkeit, ſondern bloß nach ihrer Moͤglichkeit angeſehen werden; ſo muß man, wenn es nicht gewiß iſt, daß ſie ſich nicht wuͤrcklich zutragen koͤnnen, auch die all- gemeinen Worte nicht einſchraͤncken; denn es iſt offenbahr, daß die Einſchraͤn- ckung dem Sinne deſſen, der geredet, zuwi- der ſeyn wuͤrde.
§. 814.
P p 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0635"n="599"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Von der Auslegung.</hi></fw><lb/>ſcheinlicher Weiſe gedacht hat (§. 810.); <hirendition="#fr">ſo<lb/>
muß man, wenn es die Sache, wovon<lb/>
gehandelt wird, nicht wohl leidet, daß<lb/>
die Worte in einer ſo weiten Bedeu-<lb/>
tung genommen werden, als es ſcheint,<lb/>
daß ſie genommen werden ſollten, die-<lb/>ſelbe durch die einſchraͤnckende Ausle-<lb/>
gung der Sache gemaͤß einſchraͤncken;</hi><lb/>
maſſen allerdings der Grund daſſelbe zu wol-<lb/>
len, oder nicht zu wollen, nicht vorhanden.<lb/>
Und weil man nicht vermuthen kann, daß je-<lb/>
mand etwas ungereimtes wolle; folglich in<lb/>
einem ſich ereignenden Falle, da man ſolches<lb/>
annehmen muͤſte, kein hinreichender Grund es<lb/>
zu wollen vorhanden; <hirendition="#fr">ſo muß man in dem<lb/>
Falle, da was ungereimtes daraus er-<lb/>
folgen wuͤrde, wenn man einem die<lb/>
Meynung beylegen wollte, welche die<lb/>
allgemeinen Worte anzeigen, dieſelben<lb/>ſo einſchraͤncken, daß nichts ungereim-<lb/>
tes daraus folget.</hi> Allein <hirendition="#fr">wenn die Sa-<lb/>
chen, welche der Grund in ſich be-<lb/>
greift, nicht nach ihrer Wuͤrcklichkeit,<lb/>ſondern bloß nach ihrer Moͤglichkeit<lb/>
angeſehen werden; ſo muß man, wenn<lb/>
es nicht gewiß iſt, daß ſie ſich nicht<lb/>
wuͤrcklich zutragen koͤnnen, auch die all-<lb/>
gemeinen Worte nicht einſchraͤncken;</hi><lb/>
denn es iſt offenbahr, daß die Einſchraͤn-<lb/>
ckung dem Sinne deſſen, der geredet, zuwi-<lb/>
der ſeyn wuͤrde.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">P p 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">§. 814.</fw><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[599/0635]
Von der Auslegung.
ſcheinlicher Weiſe gedacht hat (§. 810.); ſo
muß man, wenn es die Sache, wovon
gehandelt wird, nicht wohl leidet, daß
die Worte in einer ſo weiten Bedeu-
tung genommen werden, als es ſcheint,
daß ſie genommen werden ſollten, die-
ſelbe durch die einſchraͤnckende Ausle-
gung der Sache gemaͤß einſchraͤncken;
maſſen allerdings der Grund daſſelbe zu wol-
len, oder nicht zu wollen, nicht vorhanden.
Und weil man nicht vermuthen kann, daß je-
mand etwas ungereimtes wolle; folglich in
einem ſich ereignenden Falle, da man ſolches
annehmen muͤſte, kein hinreichender Grund es
zu wollen vorhanden; ſo muß man in dem
Falle, da was ungereimtes daraus er-
folgen wuͤrde, wenn man einem die
Meynung beylegen wollte, welche die
allgemeinen Worte anzeigen, dieſelben
ſo einſchraͤncken, daß nichts ungereim-
tes daraus folget. Allein wenn die Sa-
chen, welche der Grund in ſich be-
greift, nicht nach ihrer Wuͤrcklichkeit,
ſondern bloß nach ihrer Moͤglichkeit
angeſehen werden; ſo muß man, wenn
es nicht gewiß iſt, daß ſie ſich nicht
wuͤrcklich zutragen koͤnnen, auch die all-
gemeinen Worte nicht einſchraͤncken;
denn es iſt offenbahr, daß die Einſchraͤn-
ckung dem Sinne deſſen, der geredet, zuwi-
der ſeyn wuͤrde.
§. 814.
P p 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/635>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.