Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Th. 18. H. Von der natürlichen Art
verbunden (§. 134.); folglich ist ein fal-
sches Zeugniß eine Lügen
(§. 351.). Und
damit man dem Zeugnisse desto sicherer trauen
könne; so muß der Zeuge versprechen,
daß er die Wahrheit sagen wolle
(§.
380.). Um nun destoweniger einen Arg-
wohn zu schöpfen, daß der Zeuge die Wahr-
heit nicht gesagt; so muß er, weil der Eid
alle stillschweigende Ausflüchte und Bedin-
gungen und Vorbehaltungen im Sinne weg-
räumet (§. 369.), schwören, daß er die
Wahrheit sagen wolle, oder sein ab-
gelegtes Zeugniß beschwören.
Da aber
dasjenige, was in der That falsch ist, moralisch
wahr seyn kann (§. 347.), zum Beweiß des
geschehenen aber, wie es an und vor sich selbst
erhellet, erfordert wird, daß es sich so ver-
halte, wie gesagt wird; so beweiset ein
Zeuge, wenn er gleich geschworen hat
und gar nicht verdächtig ist, nichts
hinlänglich;
und folglich ist der Beweiß
durch einen Zeugen ein unvollständiger
Beweiß;
indem man einen unvollständi-
gen Beweiß
(probationem semiplenam),
oder einen halben Beweiß nennt, wodurch
das geschehene nicht hinlänglich bewiesen wird;
gleichwie im Gegentheil ein vollständiger,
oder völliger Beweiß (probatio plena)
heißt, wodurch das geschehene hinlänglich be-
wiesen wird. Weil nur eines in der That
wahr seyn kann (§. 347.); so wird, was
zwey, oder mehrere beschworene Zeu-

gen,

II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art
verbunden (§. 134.); folglich iſt ein fal-
ſches Zeugniß eine Luͤgen
(§. 351.). Und
damit man dem Zeugniſſe deſto ſicherer trauen
koͤnne; ſo muß der Zeuge verſprechen,
daß er die Wahrheit ſagen wolle
(§.
380.). Um nun deſtoweniger einen Arg-
wohn zu ſchoͤpfen, daß der Zeuge die Wahr-
heit nicht geſagt; ſo muß er, weil der Eid
alle ſtillſchweigende Ausfluͤchte und Bedin-
gungen und Vorbehaltungen im Sinne weg-
raͤumet (§. 369.), ſchwoͤren, daß er die
Wahrheit ſagen wolle, oder ſein ab-
gelegtes Zeugniß beſchwoͤren.
Da aber
dasjenige, was in der That falſch iſt, moraliſch
wahr ſeyn kann (§. 347.), zum Beweiß des
geſchehenen aber, wie es an und vor ſich ſelbſt
erhellet, erfordert wird, daß es ſich ſo ver-
halte, wie geſagt wird; ſo beweiſet ein
Zeuge, wenn er gleich geſchworen hat
und gar nicht verdaͤchtig iſt, nichts
hinlaͤnglich;
und folglich iſt der Beweiß
durch einen Zeugen ein unvollſtaͤndiger
Beweiß;
indem man einen unvollſtaͤndi-
gen Beweiß
(probationem ſemiplenam),
oder einen halben Beweiß nennt, wodurch
das geſchehene nicht hinlaͤnglich bewieſen wird;
gleichwie im Gegentheil ein vollſtaͤndiger,
oder voͤlliger Beweiß (probatio plena)
heißt, wodurch das geſchehene hinlaͤnglich be-
wieſen wird. Weil nur eines in der That
wahr ſeyn kann (§. 347.); ſo wird, was
zwey, oder mehrere beſchworene Zeu-

gen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0608" n="572"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Th. 18. H. Von der natu&#x0364;rlichen Art</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">verbunden</hi> (§. 134.); folglich <hi rendition="#fr">i&#x017F;t ein fal-<lb/>
&#x017F;ches Zeugniß eine Lu&#x0364;gen</hi> (§. 351.). Und<lb/>
damit man dem Zeugni&#x017F;&#x017F;e de&#x017F;to &#x017F;icherer trauen<lb/>
ko&#x0364;nne; <hi rendition="#fr">&#x017F;o muß der Zeuge ver&#x017F;prechen,<lb/>
daß er die Wahrheit &#x017F;agen wolle</hi> (§.<lb/>
380.). Um nun de&#x017F;toweniger einen Arg-<lb/>
wohn zu &#x017F;cho&#x0364;pfen, daß der Zeuge die Wahr-<lb/>
heit nicht ge&#x017F;agt; <hi rendition="#fr">&#x017F;o muß er,</hi> weil der Eid<lb/>
alle &#x017F;till&#x017F;chweigende Ausflu&#x0364;chte und Bedin-<lb/>
gungen und Vorbehaltungen im Sinne weg-<lb/>
ra&#x0364;umet (§. 369.), <hi rendition="#fr">&#x017F;chwo&#x0364;ren, daß er die<lb/>
Wahrheit &#x017F;agen wolle, oder &#x017F;ein ab-<lb/>
gelegtes Zeugniß be&#x017F;chwo&#x0364;ren.</hi> Da aber<lb/>
dasjenige, was in der That fal&#x017F;ch i&#x017F;t, morali&#x017F;ch<lb/>
wahr &#x017F;eyn kann (§. 347.), zum Beweiß des<lb/>
ge&#x017F;chehenen aber, wie es an und vor &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
erhellet, erfordert wird, daß es &#x017F;ich &#x017F;o ver-<lb/>
halte, wie ge&#x017F;agt wird; <hi rendition="#fr">&#x017F;o bewei&#x017F;et ein<lb/>
Zeuge, wenn er gleich ge&#x017F;chworen hat<lb/>
und gar nicht verda&#x0364;chtig i&#x017F;t, nichts<lb/>
hinla&#x0364;nglich;</hi> und folglich <hi rendition="#fr">i&#x017F;t der Beweiß<lb/>
durch einen Zeugen ein unvoll&#x017F;ta&#x0364;ndiger<lb/>
Beweiß;</hi> indem man einen <hi rendition="#fr">unvoll&#x017F;ta&#x0364;ndi-<lb/>
gen Beweiß</hi> <hi rendition="#aq">(probationem &#x017F;emiplenam),</hi><lb/>
oder <hi rendition="#fr">einen halben Beweiß</hi> nennt, wodurch<lb/>
das ge&#x017F;chehene nicht hinla&#x0364;nglich bewie&#x017F;en wird;<lb/>
gleichwie im Gegentheil ein <hi rendition="#fr">voll&#x017F;ta&#x0364;ndiger,</hi><lb/>
oder <hi rendition="#fr">vo&#x0364;lliger Beweiß</hi> <hi rendition="#aq">(probatio plena)</hi><lb/>
heißt, wodurch das ge&#x017F;chehene hinla&#x0364;nglich be-<lb/>
wie&#x017F;en wird. Weil nur eines in der That<lb/>
wahr &#x017F;eyn kann (§. 347.); <hi rendition="#fr">&#x017F;o wird, was<lb/>
zwey, oder mehrere be&#x017F;chworene Zeu-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">gen,</hi></fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[572/0608] II. Th. 18. H. Von der natuͤrlichen Art verbunden (§. 134.); folglich iſt ein fal- ſches Zeugniß eine Luͤgen (§. 351.). Und damit man dem Zeugniſſe deſto ſicherer trauen koͤnne; ſo muß der Zeuge verſprechen, daß er die Wahrheit ſagen wolle (§. 380.). Um nun deſtoweniger einen Arg- wohn zu ſchoͤpfen, daß der Zeuge die Wahr- heit nicht geſagt; ſo muß er, weil der Eid alle ſtillſchweigende Ausfluͤchte und Bedin- gungen und Vorbehaltungen im Sinne weg- raͤumet (§. 369.), ſchwoͤren, daß er die Wahrheit ſagen wolle, oder ſein ab- gelegtes Zeugniß beſchwoͤren. Da aber dasjenige, was in der That falſch iſt, moraliſch wahr ſeyn kann (§. 347.), zum Beweiß des geſchehenen aber, wie es an und vor ſich ſelbſt erhellet, erfordert wird, daß es ſich ſo ver- halte, wie geſagt wird; ſo beweiſet ein Zeuge, wenn er gleich geſchworen hat und gar nicht verdaͤchtig iſt, nichts hinlaͤnglich; und folglich iſt der Beweiß durch einen Zeugen ein unvollſtaͤndiger Beweiß; indem man einen unvollſtaͤndi- gen Beweiß (probationem ſemiplenam), oder einen halben Beweiß nennt, wodurch das geſchehene nicht hinlaͤnglich bewieſen wird; gleichwie im Gegentheil ein vollſtaͤndiger, oder voͤlliger Beweiß (probatio plena) heißt, wodurch das geſchehene hinlaͤnglich be- wieſen wird. Weil nur eines in der That wahr ſeyn kann (§. 347.); ſo wird, was zwey, oder mehrere beſchworene Zeu- gen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/608
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/608>, abgerufen am 22.11.2024.