Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754.

Bild:
<< vorherige Seite

und den Verträgen überhaupt.
Handlung selbst vornimmt, damit nichts ge-
schehe was den Pflichten gegen sich, oder ge-
gen andere zuwieder ist. Jm Gegentheil
nennt man einen unüberlegten Vorsatz
(animum indeliberatum), wenn man dasje-
nige, was man will, nicht gnug erwogen
hat. Derowegen da sich von der natürlichen
Verbindlichkeit, die wir zu allen Pflichten
haben (§. 57.), niemand befreyen kann (§.
42.), insonderheit auch ein jeder allen Scha-
den von sich abwenden soll (§. 269.); so muß
niemand etwas thun, noch auch etwas
versprechen, ohne es zuvor wohl über-
legt zu haben.
Uebrigens ist aus der Na-
tur des Versprechens leicht klar, daß der
Versprechende wohl erwegen müsse, ob
er die Sache, welche er zu geben ver-
spricht, selbst nöthig habe; und wenn
er etwas zu thun verspricht, ob er Zeit
dazu habe; wie auch ob er dadurch,
daß er einem etwas zu geben oder zu
thun verspricht, einer Pflicht entwe-
der gegen sich selbst, oder gegen ande-
re zuwieder handelt.
Ja aus dem eben
angeführten Grunde, warum man nichts
ohne Ueberlegung thun soll, erhellet, daß
man auch kein Versprechen ohne Ue-
berlegung annehmen soll.
Und man ver-
stehet leicht, daß der, dem etwas ver-
sprochen wird, erwegen müsse, ob er
das was ihm versprochen wird, nöthig
habe, und ob nicht der andere dasselbe

nöthi-
P 5

und den Vertraͤgen uͤberhaupt.
Handlung ſelbſt vornimmt, damit nichts ge-
ſchehe was den Pflichten gegen ſich, oder ge-
gen andere zuwieder iſt. Jm Gegentheil
nennt man einen unuͤberlegten Vorſatz
(animum indeliberatum), wenn man dasje-
nige, was man will, nicht gnug erwogen
hat. Derowegen da ſich von der natuͤrlichen
Verbindlichkeit, die wir zu allen Pflichten
haben (§. 57.), niemand befreyen kann (§.
42.), inſonderheit auch ein jeder allen Scha-
den von ſich abwenden ſoll (§. 269.); ſo muß
niemand etwas thun, noch auch etwas
verſprechen, ohne es zuvor wohl uͤber-
legt zu haben.
Uebrigens iſt aus der Na-
tur des Verſprechens leicht klar, daß der
Verſprechende wohl erwegen muͤſſe, ob
er die Sache, welche er zu geben ver-
ſpricht, ſelbſt noͤthig habe; und wenn
er etwas zu thun verſpricht, ob er Zeit
dazu habe; wie auch ob er dadurch,
daß er einem etwas zu geben oder zu
thun verſpricht, einer Pflicht entwe-
der gegen ſich ſelbſt, oder gegen ande-
re zuwieder handelt.
Ja aus dem eben
angefuͤhrten Grunde, warum man nichts
ohne Ueberlegung thun ſoll, erhellet, daß
man auch kein Verſprechen ohne Ue-
berlegung annehmen ſoll.
Und man ver-
ſtehet leicht, daß der, dem etwas ver-
ſprochen wird, erwegen muͤſſe, ob er
das was ihm verſprochen wird, noͤthig
habe, und ob nicht der andere daſſelbe

noͤthi-
P 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0269" n="233"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und den Vertra&#x0364;gen u&#x0364;berhaupt.</hi></fw><lb/>
Handlung &#x017F;elb&#x017F;t vornimmt, damit nichts ge-<lb/>
&#x017F;chehe was den Pflichten gegen &#x017F;ich, oder ge-<lb/>
gen andere zuwieder i&#x017F;t. Jm Gegentheil<lb/>
nennt man <hi rendition="#fr">einen unu&#x0364;berlegten Vor&#x017F;atz</hi><lb/><hi rendition="#aq">(animum indeliberatum),</hi> wenn man dasje-<lb/>
nige, was man will, nicht gnug erwogen<lb/>
hat. Derowegen da &#x017F;ich von der natu&#x0364;rlichen<lb/>
Verbindlichkeit, die wir zu allen Pflichten<lb/>
haben (§. 57.), niemand befreyen kann (§.<lb/>
42.), in&#x017F;onderheit auch ein jeder allen Scha-<lb/>
den von &#x017F;ich abwenden &#x017F;oll (§. 269.); &#x017F;o <hi rendition="#fr">muß<lb/>
niemand etwas thun, noch auch etwas<lb/>
ver&#x017F;prechen, ohne es zuvor wohl u&#x0364;ber-<lb/>
legt zu haben.</hi> Uebrigens i&#x017F;t aus der Na-<lb/>
tur des Ver&#x017F;prechens leicht klar, <hi rendition="#fr">daß der<lb/>
Ver&#x017F;prechende wohl erwegen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, ob<lb/>
er die Sache, welche er zu geben ver-<lb/>
&#x017F;pricht, &#x017F;elb&#x017F;t no&#x0364;thig habe; und wenn<lb/>
er etwas zu thun ver&#x017F;pricht, ob er Zeit<lb/>
dazu habe; wie auch ob er dadurch,<lb/>
daß er einem etwas zu geben oder zu<lb/>
thun ver&#x017F;pricht, einer Pflicht entwe-<lb/>
der gegen &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, oder gegen ande-<lb/>
re zuwieder handelt.</hi> Ja aus dem eben<lb/>
angefu&#x0364;hrten Grunde, warum man nichts<lb/>
ohne Ueberlegung thun &#x017F;oll, erhellet, <hi rendition="#fr">daß<lb/>
man auch kein Ver&#x017F;prechen ohne Ue-<lb/>
berlegung annehmen &#x017F;oll.</hi> Und man ver-<lb/>
&#x017F;tehet leicht, <hi rendition="#fr">daß der, dem etwas ver-<lb/>
&#x017F;prochen wird, erwegen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, ob er<lb/>
das was ihm ver&#x017F;prochen wird, no&#x0364;thig<lb/>
habe, und ob nicht der andere da&#x017F;&#x017F;elbe</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P 5</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">no&#x0364;thi-</hi></fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[233/0269] und den Vertraͤgen uͤberhaupt. Handlung ſelbſt vornimmt, damit nichts ge- ſchehe was den Pflichten gegen ſich, oder ge- gen andere zuwieder iſt. Jm Gegentheil nennt man einen unuͤberlegten Vorſatz (animum indeliberatum), wenn man dasje- nige, was man will, nicht gnug erwogen hat. Derowegen da ſich von der natuͤrlichen Verbindlichkeit, die wir zu allen Pflichten haben (§. 57.), niemand befreyen kann (§. 42.), inſonderheit auch ein jeder allen Scha- den von ſich abwenden ſoll (§. 269.); ſo muß niemand etwas thun, noch auch etwas verſprechen, ohne es zuvor wohl uͤber- legt zu haben. Uebrigens iſt aus der Na- tur des Verſprechens leicht klar, daß der Verſprechende wohl erwegen muͤſſe, ob er die Sache, welche er zu geben ver- ſpricht, ſelbſt noͤthig habe; und wenn er etwas zu thun verſpricht, ob er Zeit dazu habe; wie auch ob er dadurch, daß er einem etwas zu geben oder zu thun verſpricht, einer Pflicht entwe- der gegen ſich ſelbſt, oder gegen ande- re zuwieder handelt. Ja aus dem eben angefuͤhrten Grunde, warum man nichts ohne Ueberlegung thun ſoll, erhellet, daß man auch kein Verſprechen ohne Ue- berlegung annehmen ſoll. Und man ver- ſtehet leicht, daß der, dem etwas ver- ſprochen wird, erwegen muͤſſe, ob er das was ihm verſprochen wird, noͤthig habe, und ob nicht der andere daſſelbe noͤthi- P 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/269
Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Grundsätze des Natur- und Völckerrechts. Halle (Saale), 1754, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_voelckerrecht_1754/269>, abgerufen am 22.11.2024.