Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

Hypothesen von der Generation.
men, er wird aus allen diesen Theilen, als ein
ihnen überflüßiger Nahrungssaft wieder zurück-
geführt, ohne Unterscheid, aus welchen Theilen
er gekommen ist, in eine Masse vermischt, und
in den Saamenbläschen zum künftigen Gebrauch
niedergelegt. Das ist die schönste Hypothese, die
jemahls der menschliche Verstand erdacht hat, die
nicht nur mit der Art, wie sich die Alten die For-
mation der Thiere vorstellten, nemlich durch die
so genannte Aneinandersetzung der Theile (forma-
tio per adpositionem particularum
) vollkommen
und sehr schön übereinstimmt, sondern die man
sich auch, wenn diese Art der formation richtig
wäre, auf keine andere Art vorstellen könnte, die
ein Philosoph nicht ohne Vergnügen lesen kann,
wenn er gleich weiß daß sie falsch ist. 2.) Die-
ser Saamen ist die würkende Ursache, von wel-
cher alle Bewegung bey der Formation des Kör-
pers herkommt, und eben derselbe ist auch, nach-
dem er mit dem weiblichen Saamen im Utero
vermischt ist, die Materie, aus welcher der Körper
formirt wird. 3.) Der Grund, warum die Thei-
le in dieser vielmehr als in einer andern Ordnung
zusammen gesetzt werden, also der Grund der
Strucktur und der Zusammensetzung der Theile
(dieses, bemercken Sie es sich, wäre die Sache die
wir erwarten) liegt in der Seele, die von der Seele
des Vaters getrennt, in dem Saamen eingewickelt
(in semine tanquam vehiculo) zugleich mit dem-
selben in den zu formirenden Körper übergeht.
Das ist es alles, was die Alten von der Genera-

tion

Hypotheſen von der Generation.
men, er wird aus allen dieſen Theilen, als ein
ihnen uͤberfluͤßiger Nahrungsſaft wieder zuruͤck-
gefuͤhrt, ohne Unterſcheid, aus welchen Theilen
er gekommen iſt, in eine Maſſe vermiſcht, und
in den Saamenblaͤschen zum kuͤnftigen Gebrauch
niedergelegt. Das iſt die ſchoͤnſte Hypotheſe, die
jemahls der menſchliche Verſtand erdacht hat, die
nicht nur mit der Art, wie ſich die Alten die For-
mation der Thiere vorſtellten, nemlich durch die
ſo genannte Aneinanderſetzung der Theile (forma-
tio per adpoſitionem particularum
) vollkommen
und ſehr ſchoͤn uͤbereinſtimmt, ſondern die man
ſich auch, wenn dieſe Art der formation richtig
waͤre, auf keine andere Art vorſtellen koͤnnte, die
ein Philoſoph nicht ohne Vergnuͤgen leſen kann,
wenn er gleich weiß daß ſie falſch iſt. 2.) Die-
ſer Saamen iſt die wuͤrkende Urſache, von wel-
cher alle Bewegung bey der Formation des Koͤr-
pers herkommt, und eben derſelbe iſt auch, nach-
dem er mit dem weiblichen Saamen im Utero
vermiſcht iſt, die Materie, aus welcher der Koͤrper
formirt wird. 3.) Der Grund, warum die Thei-
le in dieſer vielmehr als in einer andern Ordnung
zuſammen geſetzt werden, alſo der Grund der
Strucktur und der Zuſammenſetzung der Theile
(dieſes, bemercken Sie es ſich, waͤre die Sache die
wir erwarten) liegt in der Seele, die von der Seele
des Vaters getrennt, in dem Saamen eingewickelt
(in ſemine tanquam vehiculo) zugleich mit dem-
ſelben in den zu formirenden Koͤrper uͤbergeht.
Das iſt es alles, was die Alten von der Genera-

tion
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0037" n="15"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Hypothe&#x017F;en von der Generation.</hi></fw><lb/>
men, er wird aus allen die&#x017F;en Theilen, als ein<lb/>
ihnen u&#x0364;berflu&#x0364;ßiger Nahrungs&#x017F;aft wieder zuru&#x0364;ck-<lb/>
gefu&#x0364;hrt, ohne Unter&#x017F;cheid, aus welchen Theilen<lb/>
er gekommen i&#x017F;t, in eine Ma&#x017F;&#x017F;e vermi&#x017F;cht, und<lb/>
in den Saamenbla&#x0364;schen zum ku&#x0364;nftigen Gebrauch<lb/>
niedergelegt. Das i&#x017F;t die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Hypothe&#x017F;e, die<lb/>
jemahls der men&#x017F;chliche Ver&#x017F;tand erdacht hat, die<lb/>
nicht nur mit der Art, wie &#x017F;ich die Alten die For-<lb/>
mation der Thiere vor&#x017F;tellten, nemlich durch die<lb/>
&#x017F;o genannte Aneinander&#x017F;etzung der Theile (<hi rendition="#aq">forma-<lb/>
tio per adpo&#x017F;itionem particularum</hi>) vollkommen<lb/>
und &#x017F;ehr &#x017F;cho&#x0364;n u&#x0364;berein&#x017F;timmt, &#x017F;ondern die man<lb/>
&#x017F;ich auch, wenn die&#x017F;e Art der <hi rendition="#aq">formation</hi> richtig<lb/>
wa&#x0364;re, auf keine andere Art vor&#x017F;tellen ko&#x0364;nnte, die<lb/>
ein Philo&#x017F;oph nicht ohne Vergnu&#x0364;gen le&#x017F;en kann,<lb/>
wenn er gleich weiß daß &#x017F;ie fal&#x017F;ch i&#x017F;t. 2.) Die-<lb/>
&#x017F;er Saamen i&#x017F;t die wu&#x0364;rkende Ur&#x017F;ache, von wel-<lb/>
cher alle Bewegung bey der Formation des Ko&#x0364;r-<lb/>
pers herkommt, und eben der&#x017F;elbe i&#x017F;t auch, nach-<lb/>
dem er mit dem weiblichen Saamen im <hi rendition="#aq">Utero</hi><lb/>
vermi&#x017F;cht i&#x017F;t, die Materie, aus welcher der Ko&#x0364;rper<lb/>
formirt wird. 3.) Der Grund, warum die Thei-<lb/>
le in die&#x017F;er vielmehr als in einer andern Ordnung<lb/>
zu&#x017F;ammen ge&#x017F;etzt werden, al&#x017F;o der Grund der<lb/>
Strucktur und der Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung der Theile<lb/>
(die&#x017F;es, bemercken Sie es &#x017F;ich, wa&#x0364;re die Sache die<lb/>
wir erwarten) liegt in der Seele, die von der Seele<lb/>
des Vaters getrennt, in dem Saamen eingewickelt<lb/>
(<hi rendition="#aq">in &#x017F;emine tanquam vehiculo</hi>) zugleich mit dem-<lb/>
&#x017F;elben in den zu formirenden Ko&#x0364;rper u&#x0364;bergeht.<lb/>
Das i&#x017F;t es alles, was die Alten von der Genera-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">tion</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0037] Hypotheſen von der Generation. men, er wird aus allen dieſen Theilen, als ein ihnen uͤberfluͤßiger Nahrungsſaft wieder zuruͤck- gefuͤhrt, ohne Unterſcheid, aus welchen Theilen er gekommen iſt, in eine Maſſe vermiſcht, und in den Saamenblaͤschen zum kuͤnftigen Gebrauch niedergelegt. Das iſt die ſchoͤnſte Hypotheſe, die jemahls der menſchliche Verſtand erdacht hat, die nicht nur mit der Art, wie ſich die Alten die For- mation der Thiere vorſtellten, nemlich durch die ſo genannte Aneinanderſetzung der Theile (forma- tio per adpoſitionem particularum) vollkommen und ſehr ſchoͤn uͤbereinſtimmt, ſondern die man ſich auch, wenn dieſe Art der formation richtig waͤre, auf keine andere Art vorſtellen koͤnnte, die ein Philoſoph nicht ohne Vergnuͤgen leſen kann, wenn er gleich weiß daß ſie falſch iſt. 2.) Die- ſer Saamen iſt die wuͤrkende Urſache, von wel- cher alle Bewegung bey der Formation des Koͤr- pers herkommt, und eben derſelbe iſt auch, nach- dem er mit dem weiblichen Saamen im Utero vermiſcht iſt, die Materie, aus welcher der Koͤrper formirt wird. 3.) Der Grund, warum die Thei- le in dieſer vielmehr als in einer andern Ordnung zuſammen geſetzt werden, alſo der Grund der Strucktur und der Zuſammenſetzung der Theile (dieſes, bemercken Sie es ſich, waͤre die Sache die wir erwarten) liegt in der Seele, die von der Seele des Vaters getrennt, in dem Saamen eingewickelt (in ſemine tanquam vehiculo) zugleich mit dem- ſelben in den zu formirenden Koͤrper uͤbergeht. Das iſt es alles, was die Alten von der Genera- tion

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764/37
Zitationshilfe: Wolff, Caspar Friedrich: Theorie von der Generation. Berlin, 1764, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_theorie_1764/37>, abgerufen am 03.12.2024.