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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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gebe. Leb wohl, leb wohl, fügte sie hastig hinzu. R. stand regungslos, da sahen sie einander an und hielten gleich darauf sich, fest umschlungen. Endlich versuchte Sophie zu sprechen, verstummte aber wieder und deutete matt mit der Hand nach der Thür, als ob sie ihn beschwöre zu gehn. Da endlich brach dieses kalte, trotzige Herz: Nein, niemals will ich gehn, sagte er mit Innigkeit und ergriff die ausgestreckte Hand, wie ist so viel Liebe zu vergelten! Bergieb mir, um der Qualen willen, die ich erduldete. Meine Sophie! fügte er weich und herzlich hinzu. -- Herr Steffano näherte sich seiner Tochter: Entscheide frei über das Glück deines Lebens, geliebtes Kind; wie du auch wählst, mein Segen ist mit dir. -- Auf seinen Wink verließ ich mit ihm das Zimmer. Jetzt steht Sophiens Geschick zur Frage, waren seine Worte, liebste Emmy, bitte mit mir den Himmel, daß es ihr wohl gehen möge! -- R. hat ein sehr gutes Herz, vertrauen Sie darauf, entgegnete ich. -- Er hatte es, sagte er mit Bedeutung: Eitelkeit, Welt und Leben haben zerstörend darauf eingewirkt; die Trümmer des Guten werden einer Frau zu Theil, deren edles, reines Gemüth ein besseres Geschick verdient hätte. Aufwallung ist nicht Herzensgüte, augenblickliche Weichheit nicht milder Sinn. Wer würde heute an seiner Stelle nicht gerührt worden sein! Darin kann für mich keine Gewähr einer besseren Zukunft liegen. R. gehört zu den Menschen, welche sich Jegliches gestatten, weil sie, in unermeßlicher

gebe. Leb wohl, leb wohl, fügte sie hastig hinzu. R. stand regungslos, da sahen sie einander an und hielten gleich darauf sich, fest umschlungen. Endlich versuchte Sophie zu sprechen, verstummte aber wieder und deutete matt mit der Hand nach der Thür, als ob sie ihn beschwöre zu gehn. Da endlich brach dieses kalte, trotzige Herz: Nein, niemals will ich gehn, sagte er mit Innigkeit und ergriff die ausgestreckte Hand, wie ist so viel Liebe zu vergelten! Bergieb mir, um der Qualen willen, die ich erduldete. Meine Sophie! fügte er weich und herzlich hinzu. — Herr Steffano näherte sich seiner Tochter: Entscheide frei über das Glück deines Lebens, geliebtes Kind; wie du auch wählst, mein Segen ist mit dir. — Auf seinen Wink verließ ich mit ihm das Zimmer. Jetzt steht Sophiens Geschick zur Frage, waren seine Worte, liebste Emmy, bitte mit mir den Himmel, daß es ihr wohl gehen möge! — R. hat ein sehr gutes Herz, vertrauen Sie darauf, entgegnete ich. — Er hatte es, sagte er mit Bedeutung: Eitelkeit, Welt und Leben haben zerstörend darauf eingewirkt; die Trümmer des Guten werden einer Frau zu Theil, deren edles, reines Gemüth ein besseres Geschick verdient hätte. Aufwallung ist nicht Herzensgüte, augenblickliche Weichheit nicht milder Sinn. Wer würde heute an seiner Stelle nicht gerührt worden sein! Darin kann für mich keine Gewähr einer besseren Zukunft liegen. R. gehört zu den Menschen, welche sich Jegliches gestatten, weil sie, in unermeßlicher

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[0083] gebe. Leb wohl, leb wohl, fügte sie hastig hinzu. R. stand regungslos, da sahen sie einander an und hielten gleich darauf sich, fest umschlungen. Endlich versuchte Sophie zu sprechen, verstummte aber wieder und deutete matt mit der Hand nach der Thür, als ob sie ihn beschwöre zu gehn. Da endlich brach dieses kalte, trotzige Herz: Nein, niemals will ich gehn, sagte er mit Innigkeit und ergriff die ausgestreckte Hand, wie ist so viel Liebe zu vergelten! Bergieb mir, um der Qualen willen, die ich erduldete. Meine Sophie! fügte er weich und herzlich hinzu. — Herr Steffano näherte sich seiner Tochter: Entscheide frei über das Glück deines Lebens, geliebtes Kind; wie du auch wählst, mein Segen ist mit dir. — Auf seinen Wink verließ ich mit ihm das Zimmer. Jetzt steht Sophiens Geschick zur Frage, waren seine Worte, liebste Emmy, bitte mit mir den Himmel, daß es ihr wohl gehen möge! — R. hat ein sehr gutes Herz, vertrauen Sie darauf, entgegnete ich. — Er hatte es, sagte er mit Bedeutung: Eitelkeit, Welt und Leben haben zerstörend darauf eingewirkt; die Trümmer des Guten werden einer Frau zu Theil, deren edles, reines Gemüth ein besseres Geschick verdient hätte. Aufwallung ist nicht Herzensgüte, augenblickliche Weichheit nicht milder Sinn. Wer würde heute an seiner Stelle nicht gerührt worden sein! Darin kann für mich keine Gewähr einer besseren Zukunft liegen. R. gehört zu den Menschen, welche sich Jegliches gestatten, weil sie, in unermeßlicher

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/83>, abgerufen am 05.05.2024.