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F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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an R., und ich schließe jetzt, um an Victor zu schreiben. Dem Himmel sei Dank, daß es glücklichere Bräute giebt, als wir eben alle Beide sind! -- Der Eine mit dem besten Verstande verkehrt aus Uebermuth, aus Stolz, aus Indolenz; der Andere -- beruhige dich, ich sage kein Wort mehr, als nur das liebevollste dir. --

R. an Sophie.

Halb beschämt bekenne ich den Empfang deiner Briefe und nehme, gewohnt von dir übertroffen zu werden, dankbar das Gute entgegen, ohne an eine genügende Nacheiferung zu denken. -- Die Zeit ist mir hier gleich einem Traume vergangen, aber wie ein Traum, dessen Eindrücke bewußt in meiner Seele ruhen. Was man sieht und hört, fast möchte ich sagen, was man denkt, ist großartig. Gewiß, daß es einen äußern Maßstab giebt, der seinen Einfluß auf die Reden und Handlungen, selbst auf die Denkkraft geltend macht! Die Verhältnisse bilden den Menschen, gleich wie sie ihn beherrschen. Mir sind hier, in dem nebelumhüllten London, Gedanken gekommen, die ich daheim auf den Rebenhügeln meines Vaterlandes nie gefaßt haben würde. Hier sind alle Betrachtungen mehr auf das reelle Interesse des Lebens und einer geistvollen Industrie gerichtet, dort lebt man der Gegenwart, die man nimmt und genießt, wie sie sich darbietet. An dauernde Bevortheilung durch zweckgemäße

an R., und ich schließe jetzt, um an Victor zu schreiben. Dem Himmel sei Dank, daß es glücklichere Bräute giebt, als wir eben alle Beide sind! — Der Eine mit dem besten Verstande verkehrt aus Uebermuth, aus Stolz, aus Indolenz; der Andere — beruhige dich, ich sage kein Wort mehr, als nur das liebevollste dir. —

R. an Sophie.

Halb beschämt bekenne ich den Empfang deiner Briefe und nehme, gewohnt von dir übertroffen zu werden, dankbar das Gute entgegen, ohne an eine genügende Nacheiferung zu denken. — Die Zeit ist mir hier gleich einem Traume vergangen, aber wie ein Traum, dessen Eindrücke bewußt in meiner Seele ruhen. Was man sieht und hört, fast möchte ich sagen, was man denkt, ist großartig. Gewiß, daß es einen äußern Maßstab giebt, der seinen Einfluß auf die Reden und Handlungen, selbst auf die Denkkraft geltend macht! Die Verhältnisse bilden den Menschen, gleich wie sie ihn beherrschen. Mir sind hier, in dem nebelumhüllten London, Gedanken gekommen, die ich daheim auf den Rebenhügeln meines Vaterlandes nie gefaßt haben würde. Hier sind alle Betrachtungen mehr auf das reelle Interesse des Lebens und einer geistvollen Industrie gerichtet, dort lebt man der Gegenwart, die man nimmt und genießt, wie sie sich darbietet. An dauernde Bevortheilung durch zweckgemäße

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[0065] an R., und ich schließe jetzt, um an Victor zu schreiben. Dem Himmel sei Dank, daß es glücklichere Bräute giebt, als wir eben alle Beide sind! — Der Eine mit dem besten Verstande verkehrt aus Uebermuth, aus Stolz, aus Indolenz; der Andere — beruhige dich, ich sage kein Wort mehr, als nur das liebevollste dir. — R. an Sophie. Halb beschämt bekenne ich den Empfang deiner Briefe und nehme, gewohnt von dir übertroffen zu werden, dankbar das Gute entgegen, ohne an eine genügende Nacheiferung zu denken. — Die Zeit ist mir hier gleich einem Traume vergangen, aber wie ein Traum, dessen Eindrücke bewußt in meiner Seele ruhen. Was man sieht und hört, fast möchte ich sagen, was man denkt, ist großartig. Gewiß, daß es einen äußern Maßstab giebt, der seinen Einfluß auf die Reden und Handlungen, selbst auf die Denkkraft geltend macht! Die Verhältnisse bilden den Menschen, gleich wie sie ihn beherrschen. Mir sind hier, in dem nebelumhüllten London, Gedanken gekommen, die ich daheim auf den Rebenhügeln meines Vaterlandes nie gefaßt haben würde. Hier sind alle Betrachtungen mehr auf das reelle Interesse des Lebens und einer geistvollen Industrie gerichtet, dort lebt man der Gegenwart, die man nimmt und genießt, wie sie sich darbietet. An dauernde Bevortheilung durch zweckgemäße

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/65>, abgerufen am 05.05.2024.