Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Immer bin ich für ihn nur der Spiegel gewesen, in welchem er sein vergöttertes Bild betrachtete, um dadurch mit erneuter Zuversicht andern Erfolgen entgegen zu eilen. Seine reuevolle Rückkehr hat mich oft entschädigt, beglückt, aber Heil und Segen über die Liebe, welcher solche Erfahrungen ferne liegen! Wunderbar bin ich aus meinem Charakter und ganzen Sein herausgerissen. In mir ist so viel festes, ruhiges Wollen, und jetzt, seit ich ihm angehöre, erscheine ich als das Spielwerk des Zufalls. Oft tadle ich mich deßhalb, denn, o Emmy, sollten Menschen, in denen wahrer, echter Gehalt ist, sich durch eine Laune beglücken und betrüben, sich durch einen finstern Blick beherrschen und leiten lassen? -- Wie dem aber auch sein möge, mein Loos ist geworfen, mein Herz, mein Glück, mein Leben gehören ihm an.

Bald nach R.'s Abreise machte sich, wenigstens mir, die wohlthätige Ruhe bemerkbar, welche dadurch hergestellt war. In mancher Beziehung fehlte jene Erheiterung und Belebung, die er um sich her zu verbreiten versteht; das Gewöhnliche erschien wieder gewöhnlich, wie dies während seiner Anwesenheit nicht immer der Fall gewesen, denn er besitzt die Kunst, was ihm gefällt, im zauberischen Lichtglanze erscheinen zu lassen. Und nicht allein immer was ihm gefällt, sondern auch was er durch augenblickliche Laune begünstigt. In den ersten Tagen nach seiner Abreise befand ich mich einmal allein mit Sternheim, welcher lächelnd

Immer bin ich für ihn nur der Spiegel gewesen, in welchem er sein vergöttertes Bild betrachtete, um dadurch mit erneuter Zuversicht andern Erfolgen entgegen zu eilen. Seine reuevolle Rückkehr hat mich oft entschädigt, beglückt, aber Heil und Segen über die Liebe, welcher solche Erfahrungen ferne liegen! Wunderbar bin ich aus meinem Charakter und ganzen Sein herausgerissen. In mir ist so viel festes, ruhiges Wollen, und jetzt, seit ich ihm angehöre, erscheine ich als das Spielwerk des Zufalls. Oft tadle ich mich deßhalb, denn, o Emmy, sollten Menschen, in denen wahrer, echter Gehalt ist, sich durch eine Laune beglücken und betrüben, sich durch einen finstern Blick beherrschen und leiten lassen? — Wie dem aber auch sein möge, mein Loos ist geworfen, mein Herz, mein Glück, mein Leben gehören ihm an.

Bald nach R.'s Abreise machte sich, wenigstens mir, die wohlthätige Ruhe bemerkbar, welche dadurch hergestellt war. In mancher Beziehung fehlte jene Erheiterung und Belebung, die er um sich her zu verbreiten versteht; das Gewöhnliche erschien wieder gewöhnlich, wie dies während seiner Anwesenheit nicht immer der Fall gewesen, denn er besitzt die Kunst, was ihm gefällt, im zauberischen Lichtglanze erscheinen zu lassen. Und nicht allein immer was ihm gefällt, sondern auch was er durch augenblickliche Laune begünstigt. In den ersten Tagen nach seiner Abreise befand ich mich einmal allein mit Sternheim, welcher lächelnd

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter">
        <p><pb facs="#f0054"/>
Immer bin ich für ihn nur der Spiegel gewesen, in welchem      er sein vergöttertes Bild betrachtete, um dadurch mit erneuter Zuversicht andern Erfolgen      entgegen zu eilen. Seine reuevolle Rückkehr hat mich oft entschädigt, beglückt, aber Heil und      Segen über die Liebe, welcher solche Erfahrungen ferne liegen! Wunderbar bin ich aus meinem      Charakter und ganzen Sein herausgerissen. In mir ist so viel festes, ruhiges Wollen, und jetzt,      seit ich ihm angehöre, erscheine ich als das Spielwerk des Zufalls. Oft tadle ich mich deßhalb,      denn, o Emmy, sollten Menschen, in denen wahrer, echter Gehalt ist, sich durch eine Laune      beglücken und betrüben, sich durch einen finstern Blick beherrschen und leiten lassen? &#x2014; Wie      dem aber auch sein möge, mein Loos ist geworfen, mein Herz, mein Glück, mein Leben gehören ihm      an.</p><lb/>
        <p>Bald nach R.'s Abreise machte sich, wenigstens mir, die wohlthätige Ruhe bemerkbar, welche      dadurch hergestellt war. In mancher Beziehung fehlte jene Erheiterung und Belebung, die er um      sich her zu verbreiten versteht; das Gewöhnliche erschien wieder gewöhnlich, wie dies während      seiner Anwesenheit nicht immer der Fall gewesen, denn er besitzt die Kunst, was ihm gefällt, im      zauberischen Lichtglanze erscheinen zu lassen. Und nicht allein immer was ihm gefällt, sondern      auch was er durch augenblickliche Laune begünstigt. In den ersten Tagen nach seiner Abreise      befand ich mich einmal allein mit Sternheim, welcher lächelnd<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0054] Immer bin ich für ihn nur der Spiegel gewesen, in welchem er sein vergöttertes Bild betrachtete, um dadurch mit erneuter Zuversicht andern Erfolgen entgegen zu eilen. Seine reuevolle Rückkehr hat mich oft entschädigt, beglückt, aber Heil und Segen über die Liebe, welcher solche Erfahrungen ferne liegen! Wunderbar bin ich aus meinem Charakter und ganzen Sein herausgerissen. In mir ist so viel festes, ruhiges Wollen, und jetzt, seit ich ihm angehöre, erscheine ich als das Spielwerk des Zufalls. Oft tadle ich mich deßhalb, denn, o Emmy, sollten Menschen, in denen wahrer, echter Gehalt ist, sich durch eine Laune beglücken und betrüben, sich durch einen finstern Blick beherrschen und leiten lassen? — Wie dem aber auch sein möge, mein Loos ist geworfen, mein Herz, mein Glück, mein Leben gehören ihm an. Bald nach R.'s Abreise machte sich, wenigstens mir, die wohlthätige Ruhe bemerkbar, welche dadurch hergestellt war. In mancher Beziehung fehlte jene Erheiterung und Belebung, die er um sich her zu verbreiten versteht; das Gewöhnliche erschien wieder gewöhnlich, wie dies während seiner Anwesenheit nicht immer der Fall gewesen, denn er besitzt die Kunst, was ihm gefällt, im zauberischen Lichtglanze erscheinen zu lassen. Und nicht allein immer was ihm gefällt, sondern auch was er durch augenblickliche Laune begünstigt. In den ersten Tagen nach seiner Abreise befand ich mich einmal allein mit Sternheim, welcher lächelnd

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:52:17Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/54
Zitationshilfe: F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/54>, abgerufen am 05.05.2024.