F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.huldigt verschiedenen hübschen Mädchen und Frauen auf eine Weise, welche Sophie tief zu schmerzen scheint. Zuweilen kehrt er, wie von Reue ergriffen, von Ueberdruß gesättigt, in unsern Kreis zurück, doch aber nur, um ihn bald wieder zu verlassen. Herr Steffano sieht dem Allen bekümmert zu, er scheint seinen Neffen nicht sehr zu lieben, wenigstens nicht hinreichend, um ihn sich zum Schwiegersohn zu wünschen. In solcher Beziehung würde Sternheim ihn ganz beglücken, den er liebt und dem er vollkommen vertraut. Er sagte mir vor einigen Tagen: Danken Sie Gott, mein liebes Kind, daß sie Braut sind, R. würde sonst nicht ruhen, bis er Ihnen gefiele, und dabei ist leider wenig Glück! Ich erröthete und schlug die Augen so eilfertig nieder, als ob die ganze Vergangenheit darin lesbar sei. Dieser Brief ist zu einem Buche angewachsen, und so schließe ich für heute, ganz ermüdet, aber dich in Gedanken aufs Zärtlichste begrüßend. Emmy an Charlotte. Seit ich dir zuletzt schrieb, ist Alles hier im Hause verändert. R. hat uns verlassen, nach seiner eigenen Aeußerung für ein paar Jahre, welche er auf Reisen hinbringen will. Die erste Erklärung seines Vorsatzes verbreitete so viel Kummer, Mißvergnügen und Erstaunen, daß ich die Tage, welche darauf folgten, für Vieles nicht noch einmal erleben möchte. Er selbst war kalt huldigt verschiedenen hübschen Mädchen und Frauen auf eine Weise, welche Sophie tief zu schmerzen scheint. Zuweilen kehrt er, wie von Reue ergriffen, von Ueberdruß gesättigt, in unsern Kreis zurück, doch aber nur, um ihn bald wieder zu verlassen. Herr Steffano sieht dem Allen bekümmert zu, er scheint seinen Neffen nicht sehr zu lieben, wenigstens nicht hinreichend, um ihn sich zum Schwiegersohn zu wünschen. In solcher Beziehung würde Sternheim ihn ganz beglücken, den er liebt und dem er vollkommen vertraut. Er sagte mir vor einigen Tagen: Danken Sie Gott, mein liebes Kind, daß sie Braut sind, R. würde sonst nicht ruhen, bis er Ihnen gefiele, und dabei ist leider wenig Glück! Ich erröthete und schlug die Augen so eilfertig nieder, als ob die ganze Vergangenheit darin lesbar sei. Dieser Brief ist zu einem Buche angewachsen, und so schließe ich für heute, ganz ermüdet, aber dich in Gedanken aufs Zärtlichste begrüßend. Emmy an Charlotte. Seit ich dir zuletzt schrieb, ist Alles hier im Hause verändert. R. hat uns verlassen, nach seiner eigenen Aeußerung für ein paar Jahre, welche er auf Reisen hinbringen will. Die erste Erklärung seines Vorsatzes verbreitete so viel Kummer, Mißvergnügen und Erstaunen, daß ich die Tage, welche darauf folgten, für Vieles nicht noch einmal erleben möchte. Er selbst war kalt <TEI> <text> <body> <div type="letter"> <p><pb facs="#f0043"/> huldigt verschiedenen hübschen Mädchen und Frauen auf eine Weise, welche Sophie tief zu schmerzen scheint. Zuweilen kehrt er, wie von Reue ergriffen, von Ueberdruß gesättigt, in unsern Kreis zurück, doch aber nur, um ihn bald wieder zu verlassen. Herr Steffano sieht dem Allen bekümmert zu, er scheint seinen Neffen nicht sehr zu lieben, wenigstens nicht hinreichend, um ihn sich zum Schwiegersohn zu wünschen. In solcher Beziehung würde Sternheim ihn ganz beglücken, den er liebt und dem er vollkommen vertraut. Er sagte mir vor einigen Tagen: Danken Sie Gott, mein liebes Kind, daß sie Braut sind, R. würde sonst nicht ruhen, bis er Ihnen gefiele, und dabei ist leider wenig Glück! Ich erröthete und schlug die Augen so eilfertig nieder, als ob die ganze Vergangenheit darin lesbar sei. Dieser Brief ist zu einem Buche angewachsen, und so schließe ich für heute, ganz ermüdet, aber dich in Gedanken aufs Zärtlichste begrüßend.</p><lb/> </div> <div type="letter"> <head>Emmy an Charlotte.</head> <p>Seit ich dir zuletzt schrieb, ist Alles hier im Hause verändert. R. hat uns verlassen, nach seiner eigenen Aeußerung für ein paar Jahre, welche er auf Reisen hinbringen will. Die erste Erklärung seines Vorsatzes verbreitete so viel Kummer, Mißvergnügen und Erstaunen, daß ich die Tage, welche darauf folgten, für Vieles nicht noch einmal erleben möchte. Er selbst war kalt<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0043]
huldigt verschiedenen hübschen Mädchen und Frauen auf eine Weise, welche Sophie tief zu schmerzen scheint. Zuweilen kehrt er, wie von Reue ergriffen, von Ueberdruß gesättigt, in unsern Kreis zurück, doch aber nur, um ihn bald wieder zu verlassen. Herr Steffano sieht dem Allen bekümmert zu, er scheint seinen Neffen nicht sehr zu lieben, wenigstens nicht hinreichend, um ihn sich zum Schwiegersohn zu wünschen. In solcher Beziehung würde Sternheim ihn ganz beglücken, den er liebt und dem er vollkommen vertraut. Er sagte mir vor einigen Tagen: Danken Sie Gott, mein liebes Kind, daß sie Braut sind, R. würde sonst nicht ruhen, bis er Ihnen gefiele, und dabei ist leider wenig Glück! Ich erröthete und schlug die Augen so eilfertig nieder, als ob die ganze Vergangenheit darin lesbar sei. Dieser Brief ist zu einem Buche angewachsen, und so schließe ich für heute, ganz ermüdet, aber dich in Gedanken aufs Zärtlichste begrüßend.
Emmy an Charlotte. Seit ich dir zuletzt schrieb, ist Alles hier im Hause verändert. R. hat uns verlassen, nach seiner eigenen Aeußerung für ein paar Jahre, welche er auf Reisen hinbringen will. Die erste Erklärung seines Vorsatzes verbreitete so viel Kummer, Mißvergnügen und Erstaunen, daß ich die Tage, welche darauf folgten, für Vieles nicht noch einmal erleben möchte. Er selbst war kalt
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Zitationshilfe: | F. v. W. [Margarethe von Wolff]: Gemüth und Selbstsucht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_selbstsucht_1910/43>, abgerufen am 16.02.2025. |