Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_080.001 § 49. pwo_080.002 pwo_080.003Die litterarische Epopöe. Mit planmäßiger Aufzeichnung der nationalen Erzählungen bahnt pwo_080.004 Die ersten derartigen Versuche aller Völker verharren dabei noch pwo_080.013 "Der Tag brach an; die strahlende Sonne verscheuchte die Schatten der dunklen pwo_080.017 pwo_080.031Nacht. pwo_080.018 Jn beiden Lagern erschollen die Hörner, der Ruf der Kampfbegierigen, pwo_080.019 Und wieder standen gegeneinander die beiden Heere todeskühn. pwo_080.020 Die Helden mit ihren Zeichen und Fahnen auf Wagen, Rossen, Jlfen (Elefanten) pwo_080.021 hoch, pwo_080.022 Von seinem Gefolge jeder umgeben, sie blickten trotzig einander an. pwo_080.023 Vor allen aber strahlten hervor Waikartana und Ardschuna pwo_080.024 An ihrer Heere Spitze, bereit zu fechten den Entscheidungskampf, pwo_080.025 Mit himmlischen Bögen beide bewaffnet, an Heldenruhm sich beide gleich, pwo_080.026 Mit Löwenschultern, breit von Brust, mit langen Armen und Trotz im Blick, pwo_080.027 Ein jeder den andren zu töten bedacht, zwei wutentbrannten Jlfen gleich, pwo_080.028 Auf goldenen Wagen beide gestellt, auf hohem, unzerbrechlichem, pwo_080.029 Mit Tigerfellen prächtig bedecktem, von weißen Rossen gezogenem, pwo_080.030 Der mit dem schrecklichen Affen im Banner, der mit dem Elefantengurt." Hier sehen wir noch den alten Parallelismus, die Zeichnung in pwo_080.032 Viel blumenreicher, viel weniger erhaben als lieblich halten sich pwo_080.037 pwo_080.001 § 49. pwo_080.002 pwo_080.003Die litterarische Epopöe. Mit planmäßiger Aufzeichnung der nationalen Erzählungen bahnt pwo_080.004 Die ersten derartigen Versuche aller Völker verharren dabei noch pwo_080.013 „Der Tag brach an; die strahlende Sonne verscheuchte die Schatten der dunklen pwo_080.017 pwo_080.031Nacht. pwo_080.018 Jn beiden Lagern erschollen die Hörner, der Ruf der Kampfbegierigen, pwo_080.019 Und wieder standen gegeneinander die beiden Heere todeskühn. pwo_080.020 Die Helden mit ihren Zeichen und Fahnen auf Wagen, Rossen, Jlfen (Elefanten) pwo_080.021 hoch, pwo_080.022 Von seinem Gefolge jeder umgeben, sie blickten trotzig einander an. pwo_080.023 Vor allen aber strahlten hervor Waikartana und Ardschuna pwo_080.024 An ihrer Heere Spitze, bereit zu fechten den Entscheidungskampf, pwo_080.025 Mit himmlischen Bögen beide bewaffnet, an Heldenruhm sich beide gleich, pwo_080.026 Mit Löwenschultern, breit von Brust, mit langen Armen und Trotz im Blick, pwo_080.027 Ein jeder den andren zu töten bedacht, zwei wutentbrannten Jlfen gleich, pwo_080.028 Auf goldenen Wagen beide gestellt, auf hohem, unzerbrechlichem, pwo_080.029 Mit Tigerfellen prächtig bedecktem, von weißen Rossen gezogenem, pwo_080.030 Der mit dem schrecklichen Affen im Banner, der mit dem Elefantengurt.“ Hier sehen wir noch den alten Parallelismus, die Zeichnung in pwo_080.032 Viel blumenreicher, viel weniger erhaben als lieblich halten sich pwo_080.037 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0094" n="80"/> </div> <div n="3"> <lb n="pwo_080.001"/> <head> <hi rendition="#c">§ 49. <lb n="pwo_080.002"/> Die litterarische Epopöe.</hi> </head> <lb n="pwo_080.003"/> <p> Mit planmäßiger Aufzeichnung der nationalen Erzählungen bahnt <lb n="pwo_080.004"/> sich naturgemäß in zweierlei Hinsicht ein Umschwung des Stils an: <lb n="pwo_080.005"/> zu den liedartigen Elementen treten mehr und mehr überwuchernd <lb n="pwo_080.006"/> Kennzeichen des litterarischen d. i. <hi rendition="#g">schriftgemäßen</hi> Stils; ebenso <lb n="pwo_080.007"/> wird die kurze, springende Darstellungsweise des räumlich begrenzten <lb n="pwo_080.008"/> Heldensangs von einer <hi rendition="#g">breiteren</hi> Ausführung und vollständigen <lb n="pwo_080.009"/> Rundung der Erzählung abgelöst. So ist die Möglichkeit gegeben, <lb n="pwo_080.010"/> die gesamten Sagen eines oder mehrerer Stämme, ganze Sagenkreise <lb n="pwo_080.011"/> zu einer großen, einheitlich komponierten <hi rendition="#g">Epopöe</hi> zusammenzufassen.</p> <lb n="pwo_080.012"/> <p> Die ersten derartigen Versuche aller Völker verharren dabei noch <lb n="pwo_080.013"/> immer tief in der alten Objektivität und gedrungenen Kraft, auch wo <lb n="pwo_080.014"/> sie sich bereits ausgedehnt in Episoden ergehen. So in den ältesten <lb n="pwo_080.015"/> Teilen des indischen <hi rendition="#g">Mahabharata:</hi></p> <lb n="pwo_080.016"/> <lg> <l>„Der Tag brach an; die strahlende Sonne verscheuchte die Schatten der dunklen <lb n="pwo_080.017"/> Nacht.</l> <lb n="pwo_080.018"/> <l>Jn beiden Lagern erschollen die Hörner, der Ruf der Kampfbegierigen,</l> <lb n="pwo_080.019"/> <l>Und wieder standen gegeneinander die beiden Heere todeskühn.</l> <lb n="pwo_080.020"/> <l>Die Helden mit ihren Zeichen und Fahnen auf Wagen, Rossen, Jlfen (Elefanten) <lb n="pwo_080.021"/> hoch,</l> <lb n="pwo_080.022"/> <l>Von seinem Gefolge jeder umgeben, sie blickten trotzig einander an.</l> <lb n="pwo_080.023"/> <l>Vor allen aber strahlten hervor Waikartana und Ardschuna</l> <lb n="pwo_080.024"/> <l>An ihrer Heere Spitze, bereit zu fechten den Entscheidungskampf,</l> <lb n="pwo_080.025"/> <l>Mit himmlischen Bögen beide bewaffnet, an Heldenruhm sich beide gleich,</l> <lb n="pwo_080.026"/> <l>Mit Löwenschultern, breit von Brust, mit langen Armen und Trotz im Blick,</l> <lb n="pwo_080.027"/> <l>Ein jeder den andren zu töten bedacht, zwei wutentbrannten Jlfen gleich,</l> <lb n="pwo_080.028"/> <l>Auf goldenen Wagen beide gestellt, auf hohem, unzerbrechlichem,</l> <lb n="pwo_080.029"/> <l>Mit Tigerfellen prächtig bedecktem, von weißen Rossen gezogenem,</l> <lb n="pwo_080.030"/> <l>Der mit dem schrecklichen Affen im Banner, der mit dem Elefantengurt.“</l> </lg> <lb n="pwo_080.031"/> <p> Hier sehen wir noch den alten Parallelismus, die Zeichnung in <lb n="pwo_080.032"/> kräftigen Einzelstrichen mit immer neuen Ansätzen; aber diese Striche <lb n="pwo_080.033"/> sind gehäuft und runden sich zu einem <hi rendition="#g">breit ausgeführten Gesamtbild.</hi> <lb n="pwo_080.034"/> Die Gegenstände werden rein thatsächlich bezeichnet; schon <lb n="pwo_080.035"/> greifen Bilder aus dem Tierreich ein, doch in knapper Ausführung.</p> <lb n="pwo_080.036"/> <p> Viel blumenreicher, viel weniger erhaben als lieblich halten sich <lb n="pwo_080.037"/> spätere Aufschwemmungen dieser Nationalepopöe; Nal trat uns bereits <lb n="pwo_080.038"/> als</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [80/0094]
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§ 49. pwo_080.002
Die litterarische Epopöe. pwo_080.003
Mit planmäßiger Aufzeichnung der nationalen Erzählungen bahnt pwo_080.004
sich naturgemäß in zweierlei Hinsicht ein Umschwung des Stils an: pwo_080.005
zu den liedartigen Elementen treten mehr und mehr überwuchernd pwo_080.006
Kennzeichen des litterarischen d. i. schriftgemäßen Stils; ebenso pwo_080.007
wird die kurze, springende Darstellungsweise des räumlich begrenzten pwo_080.008
Heldensangs von einer breiteren Ausführung und vollständigen pwo_080.009
Rundung der Erzählung abgelöst. So ist die Möglichkeit gegeben, pwo_080.010
die gesamten Sagen eines oder mehrerer Stämme, ganze Sagenkreise pwo_080.011
zu einer großen, einheitlich komponierten Epopöe zusammenzufassen.
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Die ersten derartigen Versuche aller Völker verharren dabei noch pwo_080.013
immer tief in der alten Objektivität und gedrungenen Kraft, auch wo pwo_080.014
sie sich bereits ausgedehnt in Episoden ergehen. So in den ältesten pwo_080.015
Teilen des indischen Mahabharata:
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„Der Tag brach an; die strahlende Sonne verscheuchte die Schatten der dunklen pwo_080.017
Nacht. pwo_080.018
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Der mit dem schrecklichen Affen im Banner, der mit dem Elefantengurt.“
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Hier sehen wir noch den alten Parallelismus, die Zeichnung in pwo_080.032
kräftigen Einzelstrichen mit immer neuen Ansätzen; aber diese Striche pwo_080.033
sind gehäuft und runden sich zu einem breit ausgeführten Gesamtbild. pwo_080.034
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spätere Aufschwemmungen dieser Nationalepopöe; Nal trat uns bereits pwo_080.038
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