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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

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des Atems zu immer höherer Steigerung der Sprache d. i. pwo_061.002
des Gefühlsausdrucks, der in den älteren Epochen ja zum Erhabenen pwo_061.003
emporstrebt.

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Die Einheit dieses Langverses finden wir von der Allitteration pwo_061.005
oder von der Assonanz durchbrochen; er fällt in zwei Vershälften pwo_061.006
auseinander, deren Hauptbegriffe durch Stabreime - wie pwo_061.007
man allgemein sagen kann - gebunden werden. Wiederum ist diese pwo_061.008
Versart in ihrer Entstehung durch die Vortragsweise aufs natürlichste pwo_061.009
erklärt: das Rezitativ, der Sprechgesang, ließ die Saiten des begleitenden pwo_061.010
Jnstrumentes nur bei den Hauptbegriffen zu deren stärkerer pwo_061.011
Hervorhebung erklingen.

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Die Bindung der Vershälften nun geschah durch Gleichklang der pwo_061.013
Hauptbegriffe, sei es in den Konsonanten oder in den Vokalen, entsprechend pwo_061.014
dem Charakter der Sprachen: so daß die knochigen, robust pwo_061.015
abgestuften germanischen auf die Konsonanten, die fleischigen, üppigen pwo_061.016
romanischen auf die Vokale das entscheidende Gewicht legen. Da die pwo_061.017
Sprache ursprünglich onomatopöetisch ist, so malte der Stabreim den pwo_061.018
Eindruck nach, welchen die zur Aussprache kommenden Gegenstände pwo_061.019
erweckten. Das Wehen und Wallen, das Sausen und Sieden hat pwo_061.020
tonmalende Gewalt, nicht minder das Sausen und Brausen, Gischt pwo_061.021
und Zischen u. ä. Wirkte der Stabreim zur Gefühlserregung mit, pwo_061.022
so mußte abermals der Wiederklang dieser Hauptbegriffe zur stärkeren pwo_061.023
Hervorhebung der Grundempfindung dienen.

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Die Wiederholung derselben Wendungen sowie der Parallelismus pwo_061.025
des Satzbaus, die gliedweise Beschreibung durch Wiederaufnahme eines pwo_061.026
Satzteiles des vorhergehenden Verses behufs nachträglich genauerer pwo_061.027
Bestimmung, diese höchst verbreiteten sogenannten Eigentümlichkeiten pwo_061.028
der Stabreimpoesie, beruhen auf demselben Gesetz der Aufstellung und pwo_061.029
des Weiterspinnens eines Grundmotivs.

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Diese Periode schwindet dahin, um eine neue Art poetischer pwo_061.031
Formbindung sich ausbilden zu lassen. Mit Auflösung der metrischen pwo_061.032
Strenge und begünstigt durch die vollen Flexionsendungen des Kirchenlateins pwo_061.033
entwickelt sich ein anderes, eigenartiges Bindemittel in dem pwo_061.034
Endreim.

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Er bietet zwar eine Uebereinstimmung von Konsonanten und pwo_061.036
Vokalen zugleich; doch hat die Sprache inzwischen an tonmalerischer

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des Atems zu immer höherer Steigerung der Sprache d. i. pwo_061.002
des Gefühlsausdrucks, der in den älteren Epochen ja zum Erhabenen pwo_061.003
emporstrebt.

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  Die Einheit dieses Langverses finden wir von der Allitteration pwo_061.005
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auseinander, deren Hauptbegriffe durch Stabreime – wie pwo_061.007
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Jnstrumentes nur bei den Hauptbegriffen zu deren stärkerer pwo_061.011
Hervorhebung erklingen.

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  Die Bindung der Vershälften nun geschah durch Gleichklang der pwo_061.013
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Hervorhebung der Grundempfindung dienen.

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der Stabreimpoesie, beruhen auf demselben Gesetz der Aufstellung und pwo_061.029
des Weiterspinnens eines Grundmotivs.

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  Diese Periode schwindet dahin, um eine neue Art poetischer pwo_061.031
Formbindung sich ausbilden zu lassen. Mit Auflösung der metrischen pwo_061.032
Strenge und begünstigt durch die vollen Flexionsendungen des Kirchenlateins pwo_061.033
entwickelt sich ein anderes, eigenartiges Bindemittel in dem pwo_061.034
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  Er bietet zwar eine Uebereinstimmung von Konsonanten und pwo_061.036
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Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/75>, abgerufen am 04.05.2024.