Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_055.001 Zur Potenzierung drängt denn alle poetische Darstellung hin. pwo_055.008 "dringen Blüten pwo_055.012 pwo_055.015Aus jedem Zweig, pwo_055.013 Und tausend Stimmen pwo_055.014 Aus dem Gesträuch." Ewig, unendlich, all überschwemmen die Poesie. Von Verben sind pwo_055.016 "Und so lang du das nicht hast, pwo_055.020 pwo_055.023Dieses: Stirb und werde! pwo_055.021 Bist du nur ein trüber Gast pwo_055.022 Auf der dunklen Erde." Aehnlich genügt seinem dichterischen Ausdruck nicht die Feststellung: pwo_055.024"Befindet sich einer heiter und gut, pwo_055.025 pwo_055.026Gleich will ihn der Nachbar peinigen;" er potenziert sie in dem Reim: pwo_055.027"So lang der Tüchtige lebt und thut, pwo_055.028 pwo_055.029Möchten sie ihn gerne steinigen." Daß Goethe in seinem Alter vielen seiner Volksgenossen unbequem pwo_055.030 "Mit der Deutschen Freundschaft pwo_055.032
Hat's keine Not ..... pwo_055.033 Sie lassen mich alle grüßen, pwo_055.034 Und hassen mich bis in Tod." pwo_055.001 Zur Potenzierung drängt denn alle poetische Darstellung hin. pwo_055.008 „dringen Blüten pwo_055.012 pwo_055.015Aus jedem Zweig, pwo_055.013 Und tausend Stimmen pwo_055.014 Aus dem Gesträuch.“ Ewig, unendlich, all überschwemmen die Poesie. Von Verben sind pwo_055.016 „Und so lang du das nicht hast, pwo_055.020 pwo_055.023Dieses: Stirb und werde! pwo_055.021 Bist du nur ein trüber Gast pwo_055.022 Auf der dunklen Erde.“ Aehnlich genügt seinem dichterischen Ausdruck nicht die Feststellung: pwo_055.024„Befindet sich einer heiter und gut, pwo_055.025 pwo_055.026Gleich will ihn der Nachbar peinigen;“ er potenziert sie in dem Reim: pwo_055.027„So lang der Tüchtige lebt und thut, pwo_055.028 pwo_055.029Möchten sie ihn gerne steinigen.“ Daß Goethe in seinem Alter vielen seiner Volksgenossen unbequem pwo_055.030 „Mit der Deutschen Freundschaft pwo_055.032
Hat's keine Not ..... pwo_055.033 Sie lassen mich alle grüßen, pwo_055.034 Und hassen mich bis in Tod.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0069" n="55"/><lb n="pwo_055.001"/> – man vergleiche auch den Gebrauch der so rhetorischen lateininischen <lb n="pwo_055.002"/> Sprache. Auf dasselbe notwendig wirkende Gesetz werden <lb n="pwo_055.003"/> wir es nun zurückführen, daß im mittelhochdeutschen Epos jeder Held <lb n="pwo_055.004"/> als der kühnste Degen, jede Heldin als die minniglichste Maid übereinstimmend <lb n="pwo_055.005"/> vorgestellt wird, beide Teile aber als so reich, daß niemand <lb n="pwo_055.006"/> reicher könnte sein, u. ä. m.</p> <lb n="pwo_055.007"/> <p> Zur Potenzierung drängt denn alle poetische Darstellung hin. <lb n="pwo_055.008"/> Darum muß in Goethes „Willkommen und Abschied“ „Finsternis aus <lb n="pwo_055.009"/> dem Gesträuche mit <hi rendition="#g">hundert</hi> schwarzen Augen“ sehen, darum ebenda <lb n="pwo_055.010"/> „die Nacht <hi rendition="#g">tausend</hi> Ungeheuer“ schaffen; im „Mailied“</p> <lb n="pwo_055.011"/> <lg> <l> „dringen Blüten</l> <lb n="pwo_055.012"/> <l>Aus <hi rendition="#g">jedem</hi> Zweig,</l> <lb n="pwo_055.013"/> <l>Und <hi rendition="#g">tausend</hi> Stimmen</l> <lb n="pwo_055.014"/> <l>Aus dem Gesträuch.“</l> </lg> <lb n="pwo_055.015"/> <p>Ewig, unendlich, all überschwemmen die Poesie. Von Verben sind <lb n="pwo_055.016"/> die sinnlich ergiebigsten, die Handlung am schärfsten ausdrückenden <lb n="pwo_055.017"/> gewählt. So kleidet Goethes „West-östlicher Divan“ den Gedanken <lb n="pwo_055.018"/> der Umbildung und Entwicklung in die Wendungen:</p> <lb n="pwo_055.019"/> <lg> <l>„Und so lang du das nicht hast,</l> <lb n="pwo_055.020"/> <l>Dieses: <hi rendition="#g">Stirb</hi> und <hi rendition="#g">werde!</hi></l> <lb n="pwo_055.021"/> <l>Bist du nur ein trüber Gast</l> <lb n="pwo_055.022"/> <l>Auf der dunklen Erde.“</l> </lg> <lb n="pwo_055.023"/> <p>Aehnlich genügt seinem dichterischen Ausdruck nicht die Feststellung:</p> <lb n="pwo_055.024"/> <lg> <l>„Befindet sich einer heiter und gut,</l> <lb n="pwo_055.025"/> <l>Gleich will ihn der Nachbar peinigen;“</l> </lg> <lb n="pwo_055.026"/> <p>er potenziert sie in dem Reim:</p> <lb n="pwo_055.027"/> <lg> <l>„So lang der Tüchtige lebt und thut,</l> <lb n="pwo_055.028"/> <l>Möchten sie ihn gerne <hi rendition="#g">steinigen</hi>.“</l> </lg> <lb n="pwo_055.029"/> <p>Daß Goethe in seinem Alter vielen seiner Volksgenossen unbequem <lb n="pwo_055.030"/> geworden, spitzt sich in derselben Sammlung ähnlich zu:</p> <lb n="pwo_055.031"/> <lg> <l>„Mit der Deutschen Freundschaft</l> <lb n="pwo_055.032"/> <l>Hat's keine Not .....</l> <lb n="pwo_055.033"/> <l>Sie lassen mich alle grüßen,</l> <lb n="pwo_055.034"/> <l>Und <hi rendition="#g">hassen mich bis in Tod</hi>.“</l> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [55/0069]
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– man vergleiche auch den Gebrauch der so rhetorischen lateininischen pwo_055.002
Sprache. Auf dasselbe notwendig wirkende Gesetz werden pwo_055.003
wir es nun zurückführen, daß im mittelhochdeutschen Epos jeder Held pwo_055.004
als der kühnste Degen, jede Heldin als die minniglichste Maid übereinstimmend pwo_055.005
vorgestellt wird, beide Teile aber als so reich, daß niemand pwo_055.006
reicher könnte sein, u. ä. m.
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Zur Potenzierung drängt denn alle poetische Darstellung hin. pwo_055.008
Darum muß in Goethes „Willkommen und Abschied“ „Finsternis aus pwo_055.009
dem Gesträuche mit hundert schwarzen Augen“ sehen, darum ebenda pwo_055.010
„die Nacht tausend Ungeheuer“ schaffen; im „Mailied“
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„dringen Blüten pwo_055.012
Aus jedem Zweig, pwo_055.013
Und tausend Stimmen pwo_055.014
Aus dem Gesträuch.“
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Ewig, unendlich, all überschwemmen die Poesie. Von Verben sind pwo_055.016
die sinnlich ergiebigsten, die Handlung am schärfsten ausdrückenden pwo_055.017
gewählt. So kleidet Goethes „West-östlicher Divan“ den Gedanken pwo_055.018
der Umbildung und Entwicklung in die Wendungen:
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„Und so lang du das nicht hast, pwo_055.020
Dieses: Stirb und werde! pwo_055.021
Bist du nur ein trüber Gast pwo_055.022
Auf der dunklen Erde.“
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Aehnlich genügt seinem dichterischen Ausdruck nicht die Feststellung:
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„Befindet sich einer heiter und gut, pwo_055.025
Gleich will ihn der Nachbar peinigen;“
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er potenziert sie in dem Reim:
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„So lang der Tüchtige lebt und thut, pwo_055.028
Möchten sie ihn gerne steinigen.“
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Daß Goethe in seinem Alter vielen seiner Volksgenossen unbequem pwo_055.030
geworden, spitzt sich in derselben Sammlung ähnlich zu:
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„Mit der Deutschen Freundschaft pwo_055.032
Hat's keine Not ..... pwo_055.033
Sie lassen mich alle grüßen, pwo_055.034
Und hassen mich bis in Tod.“
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