Erst Klopstock, dessen sprachschöpferische Kraft unserer neuen pwo_273.002 klassischen Litteratur die Bahn bricht, sprengt die Fessel, mit welcher pwo_273.003 die gleich regelrechte Geltung von Hebung und Senkung die Freiheit pwo_273.004 des deutschen Sprachgeistes beengte. Erleichterte doch auch die Loslösung pwo_273.005 von der Musik die vollere Geltung des Wortaccentes. Schon pwo_273.006 der Züricher Kunstrichter Breitinger hatte theoretisch Bedenken gegen pwo_273.007 die beständige Abwechselung von hohen und tiefen Accenten geäußert. pwo_273.008 Schon Gottsched andererseits hatte Hexameter nach deutschem, nicht pwo_273.009 mehr der phonetischen Wortbetonung widerstreitendem Accent empfohlen pwo_273.010 und gebaut. Aber erst Klopstocks souveräne Handhabung der pwo_273.011 freien Rhythmen wie speziell des Hexameters stellt die deutsche Verskunst pwo_273.012 von neuem auf den beweglichen germanischen Tonfall. Jm pwo_273.013 Gegensatz zu der schematischen Regelmäßigkeit des Jambus und pwo_273.014 Trochäus durchherrschte nun die Nachbildung der beweglicheren Maße pwo_273.015 gerade aus der Antike der deutsche, nach der Lautbetonung abstufende pwo_273.016 Sprachgenius. Noch heute haben wir nicht die letzten Konsequenzen pwo_273.017 dieser Wiederbesinnung auf den Grundzug der deutschen Versentwicklung pwo_273.018 gezogen; aber die vorherrschende Verwendung der gleichmäßig pwo_273.019 wechselnden Metren läßt überall den Durchbruch deutscher Wortbetonung: pwo_273.020 Abstufung nach Haupt- und Nebenhebungen, Gleichgültigkeit pwo_273.021 gegen die Senkungen erkennen. Der fünffüßige Jambus, der sich pwo_273.022 nach englischem Muster als dramatischer Vers eingebürgert hatte, pwo_273.023 weicht sogar meist rhythmisch bewegter Prosa oder stellenweise, wie pwo_273.024 bei Wildenbruch, direkt dem Knüttelvers in rechter Wertung desselben pwo_273.025 als "deutscher Vers". Und Richard Wagner überträgt die germanische pwo_273.026 Accentuierungskunst auf die Musik.
pwo_273.027
§ 111. pwo_273.028 Die künstlerische Prosaform.
pwo_273.029
Wenn nach alledem über die treibenden Kräfte der Versentwicklung pwo_273.030 noch Zweifel obwalten könnten, würde selbst von der dichterischen pwo_273.031 Verwendungsart der Prosasprache ein Streiflicht auf das Wesen der pwo_273.032 ursprünglich dichterischen Form fallen. Durchgängig bekundet sich das pwo_273.033 Streben nach gesetzmäßiger Bindung, wie sie schon die antike pwo_273.034 Bezeichnung Nomos andeutet.
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Erst Klopstock, dessen sprachschöpferische Kraft unserer neuen pwo_273.002 klassischen Litteratur die Bahn bricht, sprengt die Fessel, mit welcher pwo_273.003 die gleich regelrechte Geltung von Hebung und Senkung die Freiheit pwo_273.004 des deutschen Sprachgeistes beengte. Erleichterte doch auch die Loslösung pwo_273.005 von der Musik die vollere Geltung des Wortaccentes. Schon pwo_273.006 der Züricher Kunstrichter Breitinger hatte theoretisch Bedenken gegen pwo_273.007 die beständige Abwechselung von hohen und tiefen Accenten geäußert. pwo_273.008 Schon Gottsched andererseits hatte Hexameter nach deutschem, nicht pwo_273.009 mehr der phonetischen Wortbetonung widerstreitendem Accent empfohlen pwo_273.010 und gebaut. Aber erst Klopstocks souveräne Handhabung der pwo_273.011 freien Rhythmen wie speziell des Hexameters stellt die deutsche Verskunst pwo_273.012 von neuem auf den beweglichen germanischen Tonfall. Jm pwo_273.013 Gegensatz zu der schematischen Regelmäßigkeit des Jambus und pwo_273.014 Trochäus durchherrschte nun die Nachbildung der beweglicheren Maße pwo_273.015 gerade aus der Antike der deutsche, nach der Lautbetonung abstufende pwo_273.016 Sprachgenius. Noch heute haben wir nicht die letzten Konsequenzen pwo_273.017 dieser Wiederbesinnung auf den Grundzug der deutschen Versentwicklung pwo_273.018 gezogen; aber die vorherrschende Verwendung der gleichmäßig pwo_273.019 wechselnden Metren läßt überall den Durchbruch deutscher Wortbetonung: pwo_273.020 Abstufung nach Haupt- und Nebenhebungen, Gleichgültigkeit pwo_273.021 gegen die Senkungen erkennen. Der fünffüßige Jambus, der sich pwo_273.022 nach englischem Muster als dramatischer Vers eingebürgert hatte, pwo_273.023 weicht sogar meist rhythmisch bewegter Prosa oder stellenweise, wie pwo_273.024 bei Wildenbruch, direkt dem Knüttelvers in rechter Wertung desselben pwo_273.025 als „deutscher Vers“. Und Richard Wagner überträgt die germanische pwo_273.026 Accentuierungskunst auf die Musik.
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§ 111. pwo_273.028 Die künstlerische Prosaform.
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Wenn nach alledem über die treibenden Kräfte der Versentwicklung pwo_273.030 noch Zweifel obwalten könnten, würde selbst von der dichterischen pwo_273.031 Verwendungsart der Prosasprache ein Streiflicht auf das Wesen der pwo_273.032 ursprünglich dichterischen Form fallen. Durchgängig bekundet sich das pwo_273.033 Streben nach gesetzmäßiger Bindung, wie sie schon die antike pwo_273.034 Bezeichnung Nomos andeutet.
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die gleich regelrechte Geltung von Hebung und Senkung die Freiheit pwo_273.004
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Schon Gottsched andererseits hatte Hexameter nach deutschem, nicht pwo_273.009
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Accentuierungskunst auf die Musik.
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Die künstlerische Prosaform. pwo_273.029
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Streben nach gesetzmäßiger Bindung, wie sie schon die antike pwo_273.034
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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/287>, abgerufen am 28.07.2024.
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