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Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.

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eine organische Fortentwicklung. Schon Otfried selbst faßt in einer pwo_270.002
Reihe von Stellen mehrere seiner Gebände von je zwei Langzeilen pwo_270.003
zu einer weiteren Einheit zusammen - durch ein Mittel, das er pwo_270.004
nicht nur gerade in der lateinischen Poesie bemerkte, das uns abermals pwo_270.005
zugleich als durchgehendes Ferment in der Entwicklung des pwo_270.006
epischen Langverses zur lyrischen Strophe bekannt geworden. Eine pwo_270.007
Art von Refrän ist es, wodurch sich in Otfrieds Evangelienbuch pwo_270.008
größere Versgruppen zusammenschließen. Die einfachste Form ist die, pwo_270.009
daß auf je zwei Langzeilen wiederholt hintereinander zwei identische pwo_270.010
Langzeilen folgen; doch sind auch umfassendere Gruppen und in größerer pwo_270.011
Mannigfaltigkeit durch Refrän zusammengeschlossen, aufs neue pwo_270.012
gebunden.

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Ein Durchgangsstadium der Strophenbildung erkennen wir alsdann pwo_270.014
bald im Ludwigslied, das zweizeilige Strophen mit dreizeiligen pwo_270.015
durchmischt. Diese Form ungleichzeiliger Versgebände findet inzwischen pwo_270.016
in dem der kirchenlateinischen Sequenz nachgebildeten Leich eine pwo_270.017
eigene poetische Gattung. Die Sequenz trägt ihren Namen, weil sie pwo_270.018
ursprünglich aus einer Reihe musikalischer Töne herausgewachsen ist, pwo_270.019
die auf den Hallelujah-Refrän des zwischen Epistel und Evangelium pwo_270.020
fallenden Graduale folgten. Zu diesen für die lyrische Accentuierung pwo_270.021
epischer Ueberlieferungen wieder höchst charakteristischen Tönen dichtete pwo_270.022
man später Texte, und da die Melodie mit jeder Strophe wechselte, pwo_270.023
ergaben sich eben ungleichstrophige Gesänge.

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Eine neue entscheidende Wendung in der deutschen Versentwicklung pwo_270.025
erfolgt mit der Reimbrechung, d. h. mit dem Auseinanderbrechen pwo_270.026
der beiden reimenden Halbzeilen durch Einfall einer Satzpause pwo_270.027
auf das Ende der ersten Halbzeile. Mit dieser im 12. Jahrhundert pwo_270.028
durchdringenden Notwendigkeit ist die Einheit der Langzeile gesprengt, pwo_270.029
und es beginnt die selbständige Entwicklung der Kurzzeile. Die pwo_270.030
beiden reimenden Halbzeilen treten nun als kurze Reimpaare auf.

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Die Langzeile schwindet naturgemäß nicht mit einem Schlage, pwo_270.032
erscheint vielmehr zunächst noch in denselben Dichtungen, welche bereits pwo_270.033
die Kurzzeilen überwiegend durchführen; und zwar bald mit, pwo_270.034
bald ohne Cäsurreim.

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Jm Laufe der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts geschieht pwo_270.036
die Fortbildung der aus diesen ungeordneten Elementen angebahnten

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  Die Langzeile schwindet naturgemäß nicht mit einem Schlage, pwo_270.032
erscheint vielmehr zunächst noch in denselben Dichtungen, welche bereits pwo_270.033
die Kurzzeilen überwiegend durchführen; und zwar bald mit, pwo_270.034
bald ohne Cäsurreim.

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Zitationshilfe: Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899/284>, abgerufen am 24.11.2024.