Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_241.001 Welche objektiven Maßstäbe bieten sich nun zur Erkenntnis der pwo_241.002 pwo_241.016 § 94. pwo_241.017 pwo_241.018Die Voraussetzungen des dichterischen Schaffens. Treten wir an die älteste Stätte heran, die uns einen Dichter pwo_241.019 Tausende um den Dichter herum gehen in dumpfem Sinnentrieb pwo_241.024 Aber nicht nur das Auge und die andern äußern Sinne erfahren pwo_241.029 pwo_241.001 Welche objektiven Maßstäbe bieten sich nun zur Erkenntnis der pwo_241.002 pwo_241.016 § 94. pwo_241.017 pwo_241.018Die Voraussetzungen des dichterischen Schaffens. Treten wir an die älteste Stätte heran, die uns einen Dichter pwo_241.019 Tausende um den Dichter herum gehen in dumpfem Sinnentrieb pwo_241.024 Aber nicht nur das Auge und die andern äußern Sinne erfahren pwo_241.029 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0255" n="241"/> <lb n="pwo_241.001"/> <p> Welche objektiven Maßstäbe bieten sich nun zur Erkenntnis der <lb n="pwo_241.002"/> Dichterseele dar? Keine andern, als wiederum die dichterischen <lb n="pwo_241.003"/> <hi rendition="#g">Werke.</hi> Jhre Eigenschaften postulieren bestimmte Anlagen und Fähigkeiten <lb n="pwo_241.004"/> ihres Schöpfers; ihr Abstand von den andern Formen menschlicher <lb n="pwo_241.005"/> Rede läßt die charakteristischen Elemente der Dichterseele im <lb n="pwo_241.006"/> Unterschied von dem gewöhnlichen Menschengeist als Voraussetzung <lb n="pwo_241.007"/> erkennen. Auch gestatten diese dichterischen Werke in ihrer umfangreichen <lb n="pwo_241.008"/> Entwicklung ein zusammenhängendes geschichtliches Jneinandergreifen <lb n="pwo_241.009"/> des Erfahrungsmaterials. Nicht länger sind wir auf Erfahrungen <lb n="pwo_241.010"/> aus den vorgeschrittenen letzten Jahrhunderten eingeschränkt: <lb n="pwo_241.011"/> an der Hand ihrer Aeußerungen können wir die allmähliche Ausbildung <lb n="pwo_241.012"/> und Vervollkommnung der dichterischen Funktion belauschen. <lb n="pwo_241.013"/> Jst diese Untersuchung in mancher Hinsicht rekapitulierend, so gilt es <lb n="pwo_241.014"/> nunmehr die <hi rendition="#g">Anwendung</hi> unserer Erkenntnis der Schöpfungen auf <lb n="pwo_241.015"/> die Beschaffenheit des Schöpfers.</p> </div> <div n="3"> <lb n="pwo_241.016"/> <head> <hi rendition="#c">§ 94. <lb n="pwo_241.017"/> Die Voraussetzungen des dichterischen Schaffens.</hi> </head> <lb n="pwo_241.018"/> <p> Treten wir an die älteste Stätte heran, die uns einen Dichter <lb n="pwo_241.019"/> darbietet, so treffen wir den Menschen gegenüber der Gottheit, genauer <lb n="pwo_241.020"/> <hi rendition="#g">gegenüber der vergöttlichten Natur,</hi> durch deren überragende <lb n="pwo_241.021"/> Größe sein Gemüt getroffen, zu Furcht, Ehrfurcht, Bewunderung, <lb n="pwo_241.022"/> Anbetung hingerissen wird.</p> <lb n="pwo_241.023"/> <p> Tausende um den Dichter herum gehen in dumpfem Sinnentrieb <lb n="pwo_241.024"/> stumpf vorüber: der Dichter fühlt sich von dem gewaltigen Schauspiel <lb n="pwo_241.025"/> der Natur zum Schauen herausgefordert, von dem Geschauten gefesselt. <lb n="pwo_241.026"/> <hi rendition="#g">Stark ausgeprägtes Anschauungsvermögen</hi> lernen wir damit <lb n="pwo_241.027"/> als erste Grundlage dichterischer Thätigkeit kennen.</p> <lb n="pwo_241.028"/> <p> Aber nicht nur das Auge und die andern äußern Sinne erfahren <lb n="pwo_241.029"/> starke Eindrücke: des Dichters Seele fühlt sich ergriffen, in ihren <lb n="pwo_241.030"/> Grundfesten aufgewühlt, aufs tiefste erschüttert. Mag sich schon die <lb n="pwo_241.031"/> niedrigste Stufe des Gefühlseindrucks, die Furcht, auch in dem Durchschnittsmenschen <lb n="pwo_241.032"/> leise regen – sie wird ihn zu scheuem Beiseiteschleichen <lb n="pwo_241.033"/> veranlassen, zu geflissentlichem Abwenden von der Anschauung: <lb n="pwo_241.034"/> nur der Dichter, der immer weiter, immer tiefer schaut, wird von immer <lb n="pwo_241.035"/> weiteren, immer tieferen Empfindungen bestürmt. Mit dem stark ausgeprägten </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [241/0255]
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Welche objektiven Maßstäbe bieten sich nun zur Erkenntnis der pwo_241.002
Dichterseele dar? Keine andern, als wiederum die dichterischen pwo_241.003
Werke. Jhre Eigenschaften postulieren bestimmte Anlagen und Fähigkeiten pwo_241.004
ihres Schöpfers; ihr Abstand von den andern Formen menschlicher pwo_241.005
Rede läßt die charakteristischen Elemente der Dichterseele im pwo_241.006
Unterschied von dem gewöhnlichen Menschengeist als Voraussetzung pwo_241.007
erkennen. Auch gestatten diese dichterischen Werke in ihrer umfangreichen pwo_241.008
Entwicklung ein zusammenhängendes geschichtliches Jneinandergreifen pwo_241.009
des Erfahrungsmaterials. Nicht länger sind wir auf Erfahrungen pwo_241.010
aus den vorgeschrittenen letzten Jahrhunderten eingeschränkt: pwo_241.011
an der Hand ihrer Aeußerungen können wir die allmähliche Ausbildung pwo_241.012
und Vervollkommnung der dichterischen Funktion belauschen. pwo_241.013
Jst diese Untersuchung in mancher Hinsicht rekapitulierend, so gilt es pwo_241.014
nunmehr die Anwendung unserer Erkenntnis der Schöpfungen auf pwo_241.015
die Beschaffenheit des Schöpfers.
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§ 94. pwo_241.017
Die Voraussetzungen des dichterischen Schaffens. pwo_241.018
Treten wir an die älteste Stätte heran, die uns einen Dichter pwo_241.019
darbietet, so treffen wir den Menschen gegenüber der Gottheit, genauer pwo_241.020
gegenüber der vergöttlichten Natur, durch deren überragende pwo_241.021
Größe sein Gemüt getroffen, zu Furcht, Ehrfurcht, Bewunderung, pwo_241.022
Anbetung hingerissen wird.
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Tausende um den Dichter herum gehen in dumpfem Sinnentrieb pwo_241.024
stumpf vorüber: der Dichter fühlt sich von dem gewaltigen Schauspiel pwo_241.025
der Natur zum Schauen herausgefordert, von dem Geschauten gefesselt. pwo_241.026
Stark ausgeprägtes Anschauungsvermögen lernen wir damit pwo_241.027
als erste Grundlage dichterischer Thätigkeit kennen.
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Aber nicht nur das Auge und die andern äußern Sinne erfahren pwo_241.029
starke Eindrücke: des Dichters Seele fühlt sich ergriffen, in ihren pwo_241.030
Grundfesten aufgewühlt, aufs tiefste erschüttert. Mag sich schon die pwo_241.031
niedrigste Stufe des Gefühlseindrucks, die Furcht, auch in dem Durchschnittsmenschen pwo_241.032
leise regen – sie wird ihn zu scheuem Beiseiteschleichen pwo_241.033
veranlassen, zu geflissentlichem Abwenden von der Anschauung: pwo_241.034
nur der Dichter, der immer weiter, immer tiefer schaut, wird von immer pwo_241.035
weiteren, immer tieferen Empfindungen bestürmt. Mit dem stark ausgeprägten
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