Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_207.001 Während die eben erst begründete Volksbühne der Wandertruppen pwo_207.009 Die Zeit Gottscheds gehört dem französischen Stil in seiner pwo_207.032 pwo_207.001 Während die eben erst begründete Volksbühne der Wandertruppen pwo_207.009 Die Zeit Gottscheds gehört dem französischen Stil in seiner pwo_207.032 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0221" n="207"/><lb n="pwo_207.001"/> die Darstellung vergröberte ihre Texte noch – hebt damit eine neue <lb n="pwo_207.002"/> lebensfähige Entwicklung an, deren Keime indes schon der dreißigjährige <lb n="pwo_207.003"/> Krieg erstickt. Jakob Ayrer und der außerordentlich begabte <lb n="pwo_207.004"/> Herzog Heinrich Julius von Braunschweig schwelgen einstweilen unter <lb n="pwo_207.005"/> englischem Einfluß in blutiger Gräßlichkeit, und wie sie durchgehends <lb n="pwo_207.006"/> auf starken Effekt hinarbeiten, suchen sie eine besonders furchtbare <lb n="pwo_207.007"/> Endwirkung.</p> <lb n="pwo_207.008"/> <p> Während die eben erst begründete Volksbühne der Wandertruppen <lb n="pwo_207.009"/> in niederem Ungeschmack stecken blieb – irrig ist, von einer Entartung <lb n="pwo_207.010"/> zu reden –, züchtet die Gelehrtendichtung des 17. Jahrhunderts <lb n="pwo_207.011"/> abermals eine neue Entwicklung durch Anschluß an das Altertum und <lb n="pwo_207.012"/> die fremden Renaissance-Völker. Opitzens Buch von der deutschen <lb n="pwo_207.013"/> Poeterei läßt die Tragödie „von Göttern, Helden, Königen, Fürsten, <lb n="pwo_207.014"/> Städten u. dgl.“ handeln, und verlangt deshalb von ihr ansehnliche <lb n="pwo_207.015"/> Reden, prächtige hohe Umschreibungen. Ein heroischer Zug kommt <lb n="pwo_207.016"/> damit nun fortdauernd im deutschen Trauerspiel zur Geltung; der <lb n="pwo_207.017"/> hohe Ton bleibt wesentlich. Das tritt aufs schroffste bei dem bedeutendsten <lb n="pwo_207.018"/> Dramatiker des Jahrhunderts, bei Andreas Gryph, hervor. <lb n="pwo_207.019"/> Die holländische Renaissance, die ihrerseits auf die italienische zurückgeht, <lb n="pwo_207.020"/> hat ihn vor allem befruchtet. Doch greift er auch unmittelbar <lb n="pwo_207.021"/> auf das Altertum, d. h. hier immer in erster Linie auf Seneca, zurück <lb n="pwo_207.022"/> und kennt das zeitgenössische französische Drama, ebenso jedoch <lb n="pwo_207.023"/> englische Stücke. Die Hauptsache bleibt noch immer der Dialog, der <lb n="pwo_207.024"/> von Längen und Schwulst starrt. Zu dieser hochtrabend erhabenen <lb n="pwo_207.025"/> Rhetorik tritt doch aber auch Kühnheit der Leidenschaft in marinistischer <lb n="pwo_207.026"/> Ausartung. Die Tragik wird in Häufung des Scheußlichen und <lb n="pwo_207.027"/> Schaurigen gesucht, leidet mithin vorerst immer nicht sowohl an <lb n="pwo_207.028"/> Schwäche als an Ueberladung. Gryph will aber ausdrücklich die Vergänglichkeit <lb n="pwo_207.029"/> des Jrdischen illustrieren und predigt ganz aus christlichem <lb n="pwo_207.030"/> Geist heraus: „Denk' jede Stund' ans Sterben!“</p> <lb n="pwo_207.031"/> <p> Die Zeit Gottscheds gehört dem französischen Stil in seiner <lb n="pwo_207.032"/> regelrechten Korrektheit und steifen rhetorischen Würde. Der bedeutendste <lb n="pwo_207.033"/> Dramatiker der Gottschedschen Schule, Johann Elias Schlegel, <lb n="pwo_207.034"/> strebt mit höherem Erfolg als sein Meister dem Großen, Ueberragenden <lb n="pwo_207.035"/> zu, findet aber an der Einförmigkeit der Franzosen nicht mehr volle Befriedigung <lb n="pwo_207.036"/> und wagt deshalb schon schüchtern, von Shakespeare zu lernen.</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [207/0221]
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die Darstellung vergröberte ihre Texte noch – hebt damit eine neue pwo_207.002
lebensfähige Entwicklung an, deren Keime indes schon der dreißigjährige pwo_207.003
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Herzog Heinrich Julius von Braunschweig schwelgen einstweilen unter pwo_207.005
englischem Einfluß in blutiger Gräßlichkeit, und wie sie durchgehends pwo_207.006
auf starken Effekt hinarbeiten, suchen sie eine besonders furchtbare pwo_207.007
Endwirkung.
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Während die eben erst begründete Volksbühne der Wandertruppen pwo_207.009
in niederem Ungeschmack stecken blieb – irrig ist, von einer Entartung pwo_207.010
zu reden –, züchtet die Gelehrtendichtung des 17. Jahrhunderts pwo_207.011
abermals eine neue Entwicklung durch Anschluß an das Altertum und pwo_207.012
die fremden Renaissance-Völker. Opitzens Buch von der deutschen pwo_207.013
Poeterei läßt die Tragödie „von Göttern, Helden, Königen, Fürsten, pwo_207.014
Städten u. dgl.“ handeln, und verlangt deshalb von ihr ansehnliche pwo_207.015
Reden, prächtige hohe Umschreibungen. Ein heroischer Zug kommt pwo_207.016
damit nun fortdauernd im deutschen Trauerspiel zur Geltung; der pwo_207.017
hohe Ton bleibt wesentlich. Das tritt aufs schroffste bei dem bedeutendsten pwo_207.018
Dramatiker des Jahrhunderts, bei Andreas Gryph, hervor. pwo_207.019
Die holländische Renaissance, die ihrerseits auf die italienische zurückgeht, pwo_207.020
hat ihn vor allem befruchtet. Doch greift er auch unmittelbar pwo_207.021
auf das Altertum, d. h. hier immer in erster Linie auf Seneca, zurück pwo_207.022
und kennt das zeitgenössische französische Drama, ebenso jedoch pwo_207.023
englische Stücke. Die Hauptsache bleibt noch immer der Dialog, der pwo_207.024
von Längen und Schwulst starrt. Zu dieser hochtrabend erhabenen pwo_207.025
Rhetorik tritt doch aber auch Kühnheit der Leidenschaft in marinistischer pwo_207.026
Ausartung. Die Tragik wird in Häufung des Scheußlichen und pwo_207.027
Schaurigen gesucht, leidet mithin vorerst immer nicht sowohl an pwo_207.028
Schwäche als an Ueberladung. Gryph will aber ausdrücklich die Vergänglichkeit pwo_207.029
des Jrdischen illustrieren und predigt ganz aus christlichem pwo_207.030
Geist heraus: „Denk' jede Stund' ans Sterben!“
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Die Zeit Gottscheds gehört dem französischen Stil in seiner pwo_207.032
regelrechten Korrektheit und steifen rhetorischen Würde. Der bedeutendste pwo_207.033
Dramatiker der Gottschedschen Schule, Johann Elias Schlegel, pwo_207.034
strebt mit höherem Erfolg als sein Meister dem Großen, Ueberragenden pwo_207.035
zu, findet aber an der Einförmigkeit der Franzosen nicht mehr volle Befriedigung pwo_207.036
und wagt deshalb schon schüchtern, von Shakespeare zu lernen.
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