Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_201.001 So hat sich der romanische und katholische Geist eine eigenartige pwo_201.002 Eine gewisse Herrschaft über sein Schicksal räumte dem individuellen pwo_201.007 pwo_201.010 § 82. pwo_201.011 pwo_201.012Das englische Trauerspiel. Die germanischen Litteraturen, die englische und noch weit länger pwo_201.013 Mehr noch als sonst neuen künstlerischen Ansätzen fehlte den pwo_201.020 pwo_201.001 So hat sich der romanische und katholische Geist eine eigenartige pwo_201.002 Eine gewisse Herrschaft über sein Schicksal räumte dem individuellen pwo_201.007 pwo_201.010 § 82. pwo_201.011 pwo_201.012Das englische Trauerspiel. Die germanischen Litteraturen, die englische und noch weit länger pwo_201.013 Mehr noch als sonst neuen künstlerischen Ansätzen fehlte den pwo_201.020 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0215" n="201"/> <lb n="pwo_201.001"/> <p> So hat sich der romanische und katholische Geist eine eigenartige <lb n="pwo_201.002"/> Tragödienform geschaffen, in welcher der Mensch unterwürfig und <lb n="pwo_201.003"/> ohnmächtig gegen die überirdischen und irdischen Mächte des Lebens <lb n="pwo_201.004"/> bleibt. Die Tragik dieser Unfreiheit und Unwürdigkeit des Menschentums <lb n="pwo_201.005"/> gelangt zu wirksamstem pathetischen Ausdruck.</p> <lb n="pwo_201.006"/> <p> Eine gewisse Herrschaft über sein Schicksal räumte dem individuellen <lb n="pwo_201.007"/> Charakter erst die germanisch-protestantische Tragödie ein. <lb n="pwo_201.008"/> Sie überwindet die Weltanschauung des Mittelalters und empfindet <lb n="pwo_201.009"/> die Leiden der Menschheit mit modernem Feingefühl.</p> </div> <div n="4"> <lb n="pwo_201.010"/> <head> <hi rendition="#c">§ 82. <lb n="pwo_201.011"/> Das englische Trauerspiel.</hi> </head> <lb n="pwo_201.012"/> <p> Die germanischen Litteraturen, die englische und noch weit länger <lb n="pwo_201.013"/> die deutsche, waren durch die Schule des altrömischen und neuromanischen <lb n="pwo_201.014"/> Stils gegangen, bevor sie sich auf sich selbst besannen, den <lb n="pwo_201.015"/> Abstand ihres Nationalgeistes vom Romanismus erkannten und nach <lb n="pwo_201.016"/> Ausdruck des eigenen Volkscharakters rangen d. h. eine reflexionslose <lb n="pwo_201.017"/> naive Wiedergabe des Bildes wagten, unter dem sich die Welt im <lb n="pwo_201.018"/> germanischen Geiste malte.</p> <lb n="pwo_201.019"/> <p> Mehr noch als sonst neuen künstlerischen Ansätzen fehlte den <lb n="pwo_201.020"/> ersten Ausprägungen germanischen Geistes in der englischen Tragödie <lb n="pwo_201.021"/> Maß und Form, schöne Anmut und Harmonie. Wild und ungebändigt, <lb n="pwo_201.022"/> maßlos sowohl in der Sprache wie in der Leidenschaft treten <lb n="pwo_201.023"/> uns Männer wie Thomas Kyd und Christoph Marlowe entgegen. <lb n="pwo_201.024"/> Selbst Shakespeare giebt sich oft überschäumend und zügellos, selbst <lb n="pwo_201.025"/> er schrickt vor Häufung unschöner Züge nicht zurück. Sogleich tritt <lb n="pwo_201.026"/> bezeichnend hervor, daß glattes Ebenmaß, Schönheit der Sprache wie <lb n="pwo_201.027"/> der Leidenschaft nicht mehr als Selbstzweck und letztes Ziel gilt. Hier <lb n="pwo_201.028"/> treffen wir nicht das friedliche Ebenmaß der Antike, nicht den immer <lb n="pwo_201.029"/> gleich strahlenden Glanz des romanischen Stils: charakteristische Abstufung <lb n="pwo_201.030"/> gilt für die Leidenschaften wie für ihre Aeußerungsformen. <lb n="pwo_201.031"/> Wie das Reich der <hi rendition="#g">Schönheit</hi> auf die Alleinherrschaft der <hi rendition="#g">Erhabenheit</hi> <lb n="pwo_201.032"/> in der Entwicklung der Poesie folgte, so muß sich nun <lb n="pwo_201.033"/> die Schönheit mit einer sekundären Rolle begnügen, um sich dem <lb n="pwo_201.034"/> <hi rendition="#g">Charakteristischen</hi> einzuordnen.</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [201/0215]
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So hat sich der romanische und katholische Geist eine eigenartige pwo_201.002
Tragödienform geschaffen, in welcher der Mensch unterwürfig und pwo_201.003
ohnmächtig gegen die überirdischen und irdischen Mächte des Lebens pwo_201.004
bleibt. Die Tragik dieser Unfreiheit und Unwürdigkeit des Menschentums pwo_201.005
gelangt zu wirksamstem pathetischen Ausdruck.
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Eine gewisse Herrschaft über sein Schicksal räumte dem individuellen pwo_201.007
Charakter erst die germanisch-protestantische Tragödie ein. pwo_201.008
Sie überwindet die Weltanschauung des Mittelalters und empfindet pwo_201.009
die Leiden der Menschheit mit modernem Feingefühl.
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§ 82. pwo_201.011
Das englische Trauerspiel. pwo_201.012
Die germanischen Litteraturen, die englische und noch weit länger pwo_201.013
die deutsche, waren durch die Schule des altrömischen und neuromanischen pwo_201.014
Stils gegangen, bevor sie sich auf sich selbst besannen, den pwo_201.015
Abstand ihres Nationalgeistes vom Romanismus erkannten und nach pwo_201.016
Ausdruck des eigenen Volkscharakters rangen d. h. eine reflexionslose pwo_201.017
naive Wiedergabe des Bildes wagten, unter dem sich die Welt im pwo_201.018
germanischen Geiste malte.
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Mehr noch als sonst neuen künstlerischen Ansätzen fehlte den pwo_201.020
ersten Ausprägungen germanischen Geistes in der englischen Tragödie pwo_201.021
Maß und Form, schöne Anmut und Harmonie. Wild und ungebändigt, pwo_201.022
maßlos sowohl in der Sprache wie in der Leidenschaft treten pwo_201.023
uns Männer wie Thomas Kyd und Christoph Marlowe entgegen. pwo_201.024
Selbst Shakespeare giebt sich oft überschäumend und zügellos, selbst pwo_201.025
er schrickt vor Häufung unschöner Züge nicht zurück. Sogleich tritt pwo_201.026
bezeichnend hervor, daß glattes Ebenmaß, Schönheit der Sprache wie pwo_201.027
der Leidenschaft nicht mehr als Selbstzweck und letztes Ziel gilt. Hier pwo_201.028
treffen wir nicht das friedliche Ebenmaß der Antike, nicht den immer pwo_201.029
gleich strahlenden Glanz des romanischen Stils: charakteristische Abstufung pwo_201.030
gilt für die Leidenschaften wie für ihre Aeußerungsformen. pwo_201.031
Wie das Reich der Schönheit auf die Alleinherrschaft der Erhabenheit pwo_201.032
in der Entwicklung der Poesie folgte, so muß sich nun pwo_201.033
die Schönheit mit einer sekundären Rolle begnügen, um sich dem pwo_201.034
Charakteristischen einzuordnen.
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