Wolff, Eugen: Poetik: Die Gesetze der Poesie in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Ein Grundriß. Oldenburg u. a., 1899.pwo_092.001 Bereits in der Gestaltung des Stoffes tritt unorganische Willkür pwo_092.004 Nicht minder aber bekundet die Erzählungsweise eine Zersetzung pwo_092.012 Hesiods Darstellungsweise sucht zwar formalen Anschluß an den pwo_092.022 Doch auch im Epos selbst wächst der didaktische Zug an. pwo_092.034 pwo_092.001 Bereits in der Gestaltung des Stoffes tritt unorganische Willkür pwo_092.004 Nicht minder aber bekundet die Erzählungsweise eine Zersetzung pwo_092.012 Hesiods Darstellungsweise sucht zwar formalen Anschluß an den pwo_092.022 Doch auch im Epos selbst wächst der didaktische Zug an. pwo_092.034 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0106" n="92"/><lb n="pwo_092.001"/> trotzdem der schon leise beginnenden Auflösung des epischen Stils <lb n="pwo_092.002"/> nicht erwehren.</p> <lb n="pwo_092.003"/> <p> Bereits in der Gestaltung des Stoffes tritt unorganische Willkür <lb n="pwo_092.004"/> und selbst Verrohung hervor. Anstelle des künstlerischen Ernstes reißt <lb n="pwo_092.005"/> ein freies <hi rendition="#g">Spiel</hi> mit der Sage ein, anstelle der einfachen Gediegenheit <lb n="pwo_092.006"/> die Sucht nach <hi rendition="#g">Mannigfaltigkeit</hi> und äußerer <hi rendition="#g">Lebhaftigkeit.</hi> <lb n="pwo_092.007"/> Das Streben nach <hi rendition="#g">drastischen Effekten</hi> verleitet bisweilen <lb n="pwo_092.008"/> zu unverantwortlichen Geschmacklosigkeiten: so läßt man Thersites der <lb n="pwo_092.009"/> toten Penthesilea ein Auge ausschlagen und darauf von Achill durch <lb n="pwo_092.010"/> einen Faustschlag getötet werden.</p> <lb n="pwo_092.011"/> <p> Nicht minder aber bekundet die Erzählungsweise eine Zersetzung <lb n="pwo_092.012"/> des objektiven Geistes. Jn unverkennbarer Ausdehnung wächst die <lb n="pwo_092.013"/> Neigung an, <hi rendition="#g">über</hi> die Personen zu reden statt sie selbst andauernd <lb n="pwo_092.014"/> handeln und reden zu lassen. Der <hi rendition="#g">Dichter</hi> führt ihre Sache, wo <lb n="pwo_092.015"/> sie ehedem ganz auf eigenen Füßen zu stehen schienen. So greift <lb n="pwo_092.016"/> denn auch die Subjektivität des Dichters ein: er stellt nicht nur dar, <lb n="pwo_092.017"/> er <hi rendition="#g">reflektiert</hi> gern über die Handlung. Während Homer die bei <lb n="pwo_092.018"/> ihm schon ziemlich ausgedehnten Sentenzen und allgemeinen Urteile <lb n="pwo_092.019"/> den handelnden Personen je nach Charakter und Situation in den <lb n="pwo_092.020"/> Mund legt, giebt nun der Dichter oft seine eigene Weisheit kund.</p> <lb n="pwo_092.021"/> <p> <hi rendition="#g">Hesiods</hi> Darstellungsweise sucht zwar formalen Anschluß an den <lb n="pwo_092.022"/> Stil Homers, soweit sie nicht durch die hymnischen Quellen bestimmt <lb n="pwo_092.023"/> ist. Dennoch legt die losere Aneinanderreihung heterogener Elemente <lb n="pwo_092.024"/> beredtes Zeugnis ab, daß die klassische Harmonie der Form bereits <lb n="pwo_092.025"/> gesprengt ist. Hesiod ist es bereits, welcher in der griechischen Poesie <lb n="pwo_092.026"/> den lehrhaften Zug stark herausarbeitet. Die Spruchweisheit feiert in <lb n="pwo_092.027"/> seiner Darstellung Triumphe, allgemeine Erfahrungen treten weithin <lb n="pwo_092.028"/> anstelle individueller Zeichnung von Einzelgestalten. Das landwirtschaftliche <lb n="pwo_092.029"/> Lehrgedicht inmitten der „Werke und Tage“ sowie schon <lb n="pwo_092.030"/> die Bestimmung des Ganzen zur praktischen Einwirkung auf seinen <lb n="pwo_092.031"/> Bruder verbieten es überhaupt, diese Dichtung für das eigentlich epische, <lb n="pwo_092.032"/> erzählende Gebiet in Anspruch zu nehmen.</p> <lb n="pwo_092.033"/> <p> Doch auch im Epos selbst wächst der <hi rendition="#g">didaktische</hi> Zug an. <lb n="pwo_092.034"/> Die Naturphilosophen übertragen die erzählende Form vollends auf <lb n="pwo_092.035"/> jenes Gebiet, das, obschon zugleich materiell und geistig, doch der </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [92/0106]
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trotzdem der schon leise beginnenden Auflösung des epischen Stils pwo_092.002
nicht erwehren.
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Bereits in der Gestaltung des Stoffes tritt unorganische Willkür pwo_092.004
und selbst Verrohung hervor. Anstelle des künstlerischen Ernstes reißt pwo_092.005
ein freies Spiel mit der Sage ein, anstelle der einfachen Gediegenheit pwo_092.006
die Sucht nach Mannigfaltigkeit und äußerer Lebhaftigkeit. pwo_092.007
Das Streben nach drastischen Effekten verleitet bisweilen pwo_092.008
zu unverantwortlichen Geschmacklosigkeiten: so läßt man Thersites der pwo_092.009
toten Penthesilea ein Auge ausschlagen und darauf von Achill durch pwo_092.010
einen Faustschlag getötet werden.
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Nicht minder aber bekundet die Erzählungsweise eine Zersetzung pwo_092.012
des objektiven Geistes. Jn unverkennbarer Ausdehnung wächst die pwo_092.013
Neigung an, über die Personen zu reden statt sie selbst andauernd pwo_092.014
handeln und reden zu lassen. Der Dichter führt ihre Sache, wo pwo_092.015
sie ehedem ganz auf eigenen Füßen zu stehen schienen. So greift pwo_092.016
denn auch die Subjektivität des Dichters ein: er stellt nicht nur dar, pwo_092.017
er reflektiert gern über die Handlung. Während Homer die bei pwo_092.018
ihm schon ziemlich ausgedehnten Sentenzen und allgemeinen Urteile pwo_092.019
den handelnden Personen je nach Charakter und Situation in den pwo_092.020
Mund legt, giebt nun der Dichter oft seine eigene Weisheit kund.
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Hesiods Darstellungsweise sucht zwar formalen Anschluß an den pwo_092.022
Stil Homers, soweit sie nicht durch die hymnischen Quellen bestimmt pwo_092.023
ist. Dennoch legt die losere Aneinanderreihung heterogener Elemente pwo_092.024
beredtes Zeugnis ab, daß die klassische Harmonie der Form bereits pwo_092.025
gesprengt ist. Hesiod ist es bereits, welcher in der griechischen Poesie pwo_092.026
den lehrhaften Zug stark herausarbeitet. Die Spruchweisheit feiert in pwo_092.027
seiner Darstellung Triumphe, allgemeine Erfahrungen treten weithin pwo_092.028
anstelle individueller Zeichnung von Einzelgestalten. Das landwirtschaftliche pwo_092.029
Lehrgedicht inmitten der „Werke und Tage“ sowie schon pwo_092.030
die Bestimmung des Ganzen zur praktischen Einwirkung auf seinen pwo_092.031
Bruder verbieten es überhaupt, diese Dichtung für das eigentlich epische, pwo_092.032
erzählende Gebiet in Anspruch zu nehmen.
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Doch auch im Epos selbst wächst der didaktische Zug an. pwo_092.034
Die Naturphilosophen übertragen die erzählende Form vollends auf pwo_092.035
jenes Gebiet, das, obschon zugleich materiell und geistig, doch der
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