Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.Cap. 6. Von der Regietung eben diejenigen, daraus man den Haß ge-gen das Verbrechen und die Untugenden und Laster des Ubelthäters, keinesweges aber gegen seine Person, sondern vielmehr Liebe gegen diesen schlüssen kan. Sind Worte, Minen und Geberden so beschaf- fen, daß man daraus kein Misfallen an dem Verbrechen und der Untugend des Verbrechers abnehmen kan, so bezeiget sich der Richter zum Nachtheil der gemeinen Wohlfahrt kaltsinnig in der Sache, denn ich habe oben (§. 345.) schon ausgeführet, warumb man Ernst bey den Straffen be- zeigen soll. Soll nun ein Richter in Wor- ten, Minen und Geberden sein Misfallen bezeigen, und solches nicht vor verstellet (§. 205. Mor.) gehalten werden: so muß er auch selbst einen ehrbahren und tugend- hafften Wandel führen, das heisset, er muß nicht allein alles vermeiden, was im gemeinen Wesen bestraffet wird, sondern auch in allen übrigen Handlungen sich dem Gesetze der Natur gemäß bezeigen (§. 64. Mor.). Nemlich ehrbahr nennet man denjenigen; in dessen äußerlichen Wandel man nach den bürgerlichen Gesetzen nichts auszusetzen findet. Es kommet noch diese Ursache dazu, weil jedermann auf das E- xempel der Obrigkeit siehet und es zu sei- ner Entschuldigung anführet. Jm übri- gen da eine Person dadurch, daß sie zu ei- nem
Cap. 6. Von der Regietung eben diejenigen, daraus man den Haß ge-gen das Verbrechen und die Untugenden und Laſter des Ubelthaͤters, keinesweges aber gegen ſeine Perſon, ſondern vielmehr Liebe gegen dieſen ſchluͤſſen⃒ kan. Sind Worte, Minen und Geberden ſo beſchaf- fen, daß man daraus kein Misfallen an dem Verbrechen und der Untugend des Verbrechers abnehmen kan, ſo bezeiget ſich der Richter zum Nachtheil der gemeinen Wohlfahrt kaltſinnig in der Sache, denn ich habe oben (§. 345.) ſchon ausgefuͤhret, warumb⃒ man Ernſt bey den Straffen be- zeigen ſoll. Soll nun ein Richter in Wor- ten, Minen und Geberden ſein Misfallen bezeigen, und ſolches nicht vor verſtellet (§. 205. Mor.) gehalten werden: ſo muß er auch ſelbſt einen ehrbahren und tugend- hafften Wandel fuͤhren, das heiſſet, er muß nicht allein alles vermeiden, was im gemeinen Weſen beſtraffet wird, ſondern auch in allen uͤbrigen Handlungen ſich dem Geſetze der Natur gemaͤß bezeigen (§. 64. Mor.). Nemlich ehrbahr nennet man denjenigen; in deſſen aͤußerlichen Wandel man nach den buͤrgerlichen Geſetzen nichts auszuſetzen findet. Es kommet noch dieſe Urſache dazu, weil jedermann auf das E- xempel der Obrigkeit ſiehet und es zu ſei- ner Entſchuldigung anfuͤhret. Jm uͤbri- gen da eine Perſon dadurch, daß ſie zu ei- nem
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Cap. 6. Von der Regietung
eben diejenigen, daraus man den Haß ge-
gen das Verbrechen und die Untugenden
und Laſter des Ubelthaͤters, keinesweges
aber gegen ſeine Perſon, ſondern vielmehr
Liebe gegen dieſen ſchluͤſſen⃒ kan. Sind
Worte, Minen und Geberden ſo beſchaf-
fen, daß man daraus kein Misfallen an
dem Verbrechen und der Untugend des
Verbrechers abnehmen kan, ſo bezeiget ſich
der Richter zum Nachtheil der gemeinen
Wohlfahrt kaltſinnig in der Sache, denn
ich habe oben (§. 345.) ſchon ausgefuͤhret,
warumb⃒ man Ernſt bey den Straffen be-
zeigen ſoll. Soll nun ein Richter in Wor-
ten, Minen und Geberden ſein Misfallen
bezeigen, und ſolches nicht vor verſtellet
(§. 205. Mor.) gehalten werden: ſo muß
er auch ſelbſt einen ehrbahren und tugend-
hafften Wandel fuͤhren, das heiſſet, er
muß nicht allein alles vermeiden, was im
gemeinen Weſen beſtraffet wird, ſondern
auch in allen uͤbrigen Handlungen ſich dem
Geſetze der Natur gemaͤß bezeigen (§. 64.
Mor.). Nemlich ehrbahr nennet man
denjenigen; in deſſen aͤußerlichen Wandel
man nach den buͤrgerlichen Geſetzen nichts
auszuſetzen findet. Es kommet noch dieſe
Urſache dazu, weil jedermann auf das E-
xempel der Obrigkeit ſiehet und es zu ſei-
ner Entſchuldigung anfuͤhret. Jm uͤbri-
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