Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.Gesetzen. Weile zu Vermögen kommen kan; sokönnen die bürgerlichen Gesetze die Frey- heit einen jeden die Einrichtung nach seinem Gefallen machen lassen, wenn nur dabey einem jeden gelassen wird, was ihm die bürgerlichen Gesetze zuerkandt, damit nicht einer aus ungeziemenden Absichten von der natürlichen Billigkeit gantz und gar abweiche. Es ist fast keine Materie, wo die natürliche Billigkeit soviel Unter- scheid hat als bey den Erbschaffts-Fällen. Daher haben auch verschiedene ihnen ein- gebildet, als wenn das Natur-Gesetze hierinnen gar nichts verordnete, und dan- nenhero den Gesetzgebern im gemeinen Wesen die völlige Freyheit gelassen würde zu befehlen, was ihnen gut dünckte. Al- lein eben weil sie befehlen follen, was ih- nen gut düncket, so müssen sie eine Regel haben, nach welcher sie dieses beurtheilen. Und da diese Regel in der Vernunfft ge- gründet seyn muß (denn sonst könnte man alles andere an deren stat annehmen); so muß eine natürliche Billigkeit in diesem Stücke vorhanden seyn, die man vor Au- gen hat, wenn man bürgerliche Gesetze geben wil: Denn was die Vernunfft von den Handlungen der Menschen leh- ret, dasselbe ist eben das Gesetze der Na- tur (§. 23. Mor.). Jch habe auch schon vorhin berühret, daß man nirgends lieber
Geſetzen. Weile zu Vermoͤgen kommen kan; ſokoͤnnen die buͤrgerlichen Geſetze die Frey- heit einen jeden die Einrichtung nach ſeinem Gefallen machen laſſen, wenn nur dabey einem jeden gelaſſen wird, was ihm die buͤrgerlichen Geſetze zuerkandt, damit nicht einer aus ungeziemenden Abſichten von der natuͤrlichen Billigkeit gantz und gar abweiche. Es iſt faſt keine Materie, wo die natuͤrliche Billigkeit ſoviel Unter- ſcheid hat als bey den Erbſchaffts-Faͤllen. Daher haben auch verſchiedene ihnen ein- gebildet, als wenn das Natur-Geſetze hierinnen gar nichts verordnete, und dan- nenhero den Geſetzgebern im gemeinen Weſen die voͤllige Freyheit gelaſſen wuͤrde zu befehlen, was ihnen gut duͤnckte. Al- lein eben weil ſie befehlen follen, was ih- nen gut duͤncket, ſo muͤſſen ſie eine Regel haben, nach welcher ſie dieſes beurtheilen. Und da dieſe Regel in der Vernunfft ge- gruͤndet ſeyn muß (denn ſonſt koͤnnte man alles andere an deren ſtat annehmen); ſo muß eine natuͤrliche Billigkeit in dieſem Stuͤcke vorhanden ſeyn, die man vor Au- gen hat, wenn man buͤrgerliche Geſetze geben wil: Denn was die Vernunfft von den Handlungen der Menſchen leh- ret, daſſelbe iſt eben das Geſetze der Na- tur (§. 23. Mor.). Jch habe auch ſchon vorhin beruͤhret, daß man nirgends lieber
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Geſetzen.
Weile zu Vermoͤgen kommen kan; ſo
koͤnnen die buͤrgerlichen Geſetze die Frey-
heit einen jeden die Einrichtung nach
ſeinem Gefallen machen laſſen, wenn nur
dabey einem jeden gelaſſen wird, was ihm
die buͤrgerlichen Geſetze zuerkandt, damit
nicht einer aus ungeziemenden Abſichten
von der natuͤrlichen Billigkeit gantz und
gar abweiche. Es iſt faſt keine Materie,
wo die natuͤrliche Billigkeit ſoviel Unter-
ſcheid hat als bey den Erbſchaffts-Faͤllen.
Daher haben auch verſchiedene ihnen ein-
gebildet, als wenn das Natur-Geſetze
hierinnen gar nichts verordnete, und dan-
nenhero den Geſetzgebern im gemeinen
Weſen die voͤllige Freyheit gelaſſen wuͤrde
zu befehlen, was ihnen gut duͤnckte. Al-
lein eben weil ſie befehlen follen, was ih-
nen gut duͤncket, ſo muͤſſen ſie eine Regel
haben, nach welcher ſie dieſes beurtheilen.
Und da dieſe Regel in der Vernunfft ge-
gruͤndet ſeyn muß (denn ſonſt koͤnnte man
alles andere an deren ſtat annehmen); ſo
muß eine natuͤrliche Billigkeit in dieſem
Stuͤcke vorhanden ſeyn, die man vor Au-
gen hat, wenn man buͤrgerliche Geſetze
geben wil: Denn was die Vernunfft
von den Handlungen der Menſchen leh-
ret, daſſelbe iſt eben das Geſetze der Na-
tur (§. 23. Mor.). Jch habe auch
ſchon vorhin beruͤhret, daß man nirgends
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