Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.Cap. 3. Von der Einrichtung berschritten, kan dadurch der Beleidigernicht allein gar von der Straffe befreyet werden, indem er schon mehr davor erlit- ten als sich gebühret; sondern der Belei- digte muß alsdenn nach seinem Verdien- ste bestraffet werden, weil es nicht anders als eine Beleidigung anzusehen, was zu- viel geschehen und in solchem Falle es e- ben soviel ist, als wenn der andere ihn gar nicht, er aber hingegen ihn beleidiget hätte. Endlich wenn die Rache einig und allein der Obrigkeit überlassen wird, so kan auch den Beleidigten bessere Sicherheit wieder ihre Beleidiger geschaffet werden, als wenn sie es selbst thun sollen, indem die Obrigkeit in dem Stande ist diejeni- gen zu zwingen, die nicht gutwillig thun wollen, was die Gesetze erfordern. Wer dieses alles, was jetzund gesaget worden, reiflich überleget, der wird zur Gnüge se- hen, daß es viel vernünfftiger sey, die Selbst-Rache gäntzlich zu verbieten, als zu verstatten. Und demnach ist es eine Thorheit, wenn man sich einbildet, es sey einem rühmlicher sich selbst zu rächen, als bey der Obrigkeit Schutz und Beystand zu suchen. Am aller übelsten aber ist es, wenn man solches gar für schimpflich hält. Da man nun aber im gemeinen Wesen tief eingewurtzelten Gewohnheiten nicht anders als durch ernste Strafe wiederste- hen
Cap. 3. Von der Einrichtung berſchritten, kan dadurch der Beleidigernicht allein gar von der Straffe befreyet werden, indem er ſchon mehr davor erlit- ten als ſich gebuͤhret; ſondern der Belei- digte muß alsdenn nach ſeinem Verdien- ſte beſtraffet werden, weil es nicht anders als eine Beleidigung anzuſehen, was zu- viel geſchehen und in ſolchem Falle es e- ben ſoviel iſt, als wenn der andere ihn gar nicht, er aber hingegen ihn beleidiget haͤtte. Endlich wenn die Rache einig und allein der Obrigkeit uͤberlaſſen wird, ſo kan auch den Beleidigten beſſere Sicherheit wieder ihre Beleidiger geſchaffet werden, als wenn ſie es ſelbſt thun ſollen, indem die Obrigkeit in dem Stande iſt diejeni- gen zu zwingen, die nicht gutwillig thun wollen, was die Geſetze erfordern. Wer dieſes alles, was jetzund geſaget worden, reiflich uͤberleget, der wird zur Gnuͤge ſe- hen, daß es viel vernuͤnfftiger ſey, die Selbſt-Rache gaͤntzlich zu verbieten, als zu verſtatten. Und demnach iſt es eine Thorheit, wenn man ſich einbildet, es ſey einem ruͤhmlicher ſich ſelbſt zu raͤchen, als bey der Obrigkeit Schutz und Beyſtand zu ſuchen. Am aller uͤbelſten aber iſt es, wenn man ſolches gar fuͤr ſchimpflich haͤlt. Da man nun aber im gemeinen Weſen tief eingewurtzelten Gewohnheiten nicht anders als durch ernſte Strafe wiederſte- hen
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0426" n="408"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Cap. 3. Von der Einrichtung</hi></fw><lb/> berſchritten, kan dadurch der Beleidiger<lb/> nicht allein gar von der Straffe befreyet<lb/> werden, indem er ſchon mehr davor erlit-<lb/> ten als ſich gebuͤhret; ſondern der Belei-<lb/> digte muß alsdenn nach ſeinem Verdien-<lb/> ſte beſtraffet werden, weil es nicht anders<lb/> als eine Beleidigung anzuſehen, was zu-<lb/> viel geſchehen und in ſolchem Falle es e-<lb/> ben ſoviel iſt, als wenn der andere ihn<lb/> gar nicht, er aber hingegen ihn beleidiget<lb/> haͤtte. Endlich wenn die Rache einig und<lb/> allein der Obrigkeit uͤberlaſſen wird, ſo kan<lb/> auch den Beleidigten beſſere Sicherheit<lb/> wieder ihre Beleidiger geſchaffet werden,<lb/> als wenn ſie es ſelbſt thun ſollen, indem<lb/> die Obrigkeit in dem Stande iſt diejeni-<lb/> gen zu zwingen, die nicht gutwillig thun<lb/> wollen, was die Geſetze erfordern. Wer<lb/> dieſes alles, was jetzund geſaget worden,<lb/> reiflich uͤberleget, der wird zur Gnuͤge ſe-<lb/> hen, daß es viel vernuͤnfftiger ſey, die<lb/> Selbſt-Rache gaͤntzlich zu verbieten, als<lb/> zu verſtatten. Und demnach iſt es eine<lb/> Thorheit, wenn man ſich einbildet, es ſey<lb/> einem ruͤhmlicher ſich ſelbſt zu raͤchen, als<lb/> bey der Obrigkeit Schutz und Beyſtand<lb/> zu ſuchen. Am aller uͤbelſten aber iſt es,<lb/> wenn man ſolches gar fuͤr ſchimpflich haͤlt.<lb/> Da man nun aber im gemeinen Weſen<lb/> tief eingewurtzelten Gewohnheiten nicht<lb/> anders als durch ernſte Strafe wiederſte-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">hen</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [408/0426]
Cap. 3. Von der Einrichtung
berſchritten, kan dadurch der Beleidiger
nicht allein gar von der Straffe befreyet
werden, indem er ſchon mehr davor erlit-
ten als ſich gebuͤhret; ſondern der Belei-
digte muß alsdenn nach ſeinem Verdien-
ſte beſtraffet werden, weil es nicht anders
als eine Beleidigung anzuſehen, was zu-
viel geſchehen und in ſolchem Falle es e-
ben ſoviel iſt, als wenn der andere ihn
gar nicht, er aber hingegen ihn beleidiget
haͤtte. Endlich wenn die Rache einig und
allein der Obrigkeit uͤberlaſſen wird, ſo kan
auch den Beleidigten beſſere Sicherheit
wieder ihre Beleidiger geſchaffet werden,
als wenn ſie es ſelbſt thun ſollen, indem
die Obrigkeit in dem Stande iſt diejeni-
gen zu zwingen, die nicht gutwillig thun
wollen, was die Geſetze erfordern. Wer
dieſes alles, was jetzund geſaget worden,
reiflich uͤberleget, der wird zur Gnuͤge ſe-
hen, daß es viel vernuͤnfftiger ſey, die
Selbſt-Rache gaͤntzlich zu verbieten, als
zu verſtatten. Und demnach iſt es eine
Thorheit, wenn man ſich einbildet, es ſey
einem ruͤhmlicher ſich ſelbſt zu raͤchen, als
bey der Obrigkeit Schutz und Beyſtand
zu ſuchen. Am aller uͤbelſten aber iſt es,
wenn man ſolches gar fuͤr ſchimpflich haͤlt.
Da man nun aber im gemeinen Weſen
tief eingewurtzelten Gewohnheiten nicht
anders als durch ernſte Strafe wiederſte-
hen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |