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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

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Cap. 2. Von dem Ehestande.
lich beyde nehmen Sinnen und Gemüthe
ein; hingegen die Vorstellungen der Ver-
nunfft, die man dawieder gebrauchet, sind
gemeiniglich nur wie ein todtes Wesen da-
gegen anzusehen (§. 503. Met.).

Wie man
sich zur
Keusch-
heit ge-
wöhnet.
§. 37.

Ob es nun aber gleich schweer her
gehet sich in diesem Stücke aus der Sclave-
rey in die Freyheit zu setzen; so müssen wir
doch thun, was wir können. Jch halte
demnach für nöthig, daß man die Lust wohl
erweget, welche die Geilheit gewehret, und
mit dem Verdrusse vergleichet, der daraus
erwachsen kan (§. 378 Mor.). Was nun
das erstere betrifft, so hat man hier für allen
Dingen die Eitelkeiten verliebter Personen
zu erwegen, die in vielen Dingen ein son-
derbahres Vergnügen suchen, darinnen in
der That keines zu finden, als well man
sichs einbildet. Dergleichen ist die Berüh-
rung einiger Theile des Leibes, darinnen in
der That nichts vergnügliches zu finden, als
in soweit dadurch die Brunst erreget, erhal-
ten und vermehret, und das Andencken der
aus dem Beyschlaffe genossenen, oder zu ge-
niessen verlangten Lust erneuret wird. Daher
wir auch finden, daß die Hottentotten, deren
Weiber ihre Brüste bloß tragen, einen aus-
lachen, der darnach greiffet, weil sienicht be-
greiffen können, wie ein Mensch darinnen
einiges Vergnügen suchen kan. Nächst die-
sem ist auch zu überlegen, daß die Lust, so

aus

Cap. 2. Von dem Eheſtande.
lich beyde nehmen Sinnen und Gemuͤthe
ein; hingegen die Vorſtellungen der Ver-
nunfft, die man dawieder gebrauchet, ſind
gemeiniglich nur wie ein todtes Weſen da-
gegen anzuſehen (§. 503. Met.).

Wie man
ſich zur
Keuſch-
heit ge-
woͤhnet.
§. 37.

Ob es nun aber gleich ſchweer her
gehet ſich in dieſem Stuͤcke aus der Sclave-
rey in die Freyheit zu ſetzen; ſo muͤſſen wir
doch thun, was wir koͤnnen. Jch halte
demnach fuͤr noͤthig, daß man die Luſt wohl
erweget, welche die Geilheit gewehret, und
mit dem Verdruſſe vergleichet, der daraus
erwachſen kan (§. 378 Mor.). Was nun
das erſtere betrifft, ſo hat man hier fuͤr allen
Dingen die Eitelkeiten verliebter Perſonen
zu erwegen, die in vielen Dingen ein ſon-
derbahres Vergnuͤgen ſuchen, darinnen in
der That keines zu finden, als well man
ſichs einbildet. Dergleichen iſt die Beruͤh-
rung einiger Theile des Leibes, darinnen in
der That nichts vergnuͤgliches zu finden, als
in ſoweit dadurch die Brunſt erreget, erhal-
ten und vermehret, und das Andencken der
aus dem Beyſchlaffe genoſſenen, oder zu ge-
nieſſen verlangten Luſt erneuret wird. Daher
wir auch finden, daß die Hottentotten, deren
Weiber ihre Bruͤſte bloß tragen, einen aus-
lachen, der darnach greiffet, weil ſienicht be-
greiffen koͤnnen, wie ein Menſch darinnen
einiges Vergnuͤgen ſuchen kan. Naͤchſt die-
ſem iſt auch zu uͤberlegen, daß die Luſt, ſo

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[20/0038] Cap. 2. Von dem Eheſtande. lich beyde nehmen Sinnen und Gemuͤthe ein; hingegen die Vorſtellungen der Ver- nunfft, die man dawieder gebrauchet, ſind gemeiniglich nur wie ein todtes Weſen da- gegen anzuſehen (§. 503. Met.). §. 37.Ob es nun aber gleich ſchweer her gehet ſich in dieſem Stuͤcke aus der Sclave- rey in die Freyheit zu ſetzen; ſo muͤſſen wir doch thun, was wir koͤnnen. Jch halte demnach fuͤr noͤthig, daß man die Luſt wohl erweget, welche die Geilheit gewehret, und mit dem Verdruſſe vergleichet, der daraus erwachſen kan (§. 378 Mor.). Was nun das erſtere betrifft, ſo hat man hier fuͤr allen Dingen die Eitelkeiten verliebter Perſonen zu erwegen, die in vielen Dingen ein ſon- derbahres Vergnuͤgen ſuchen, darinnen in der That keines zu finden, als well man ſichs einbildet. Dergleichen iſt die Beruͤh- rung einiger Theile des Leibes, darinnen in der That nichts vergnuͤgliches zu finden, als in ſoweit dadurch die Brunſt erreget, erhal- ten und vermehret, und das Andencken der aus dem Beyſchlaffe genoſſenen, oder zu ge- nieſſen verlangten Luſt erneuret wird. Daher wir auch finden, daß die Hottentotten, deren Weiber ihre Bruͤſte bloß tragen, einen aus- lachen, der darnach greiffet, weil ſienicht be- greiffen koͤnnen, wie ein Menſch darinnen einiges Vergnuͤgen ſuchen kan. Naͤchſt die- ſem iſt auch zu uͤberlegen, daß die Luſt, ſo aus

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/38>, abgerufen am 21.11.2024.