man das schädliche bestraffen kan, wie sich bald mit mehrerm zeigen wird: so ist es ebenfalls unrecht, wenn man wieder die jenigen eine Inquisition anstellen wollte, welche man wegen eines Jrrthums ver- dächtig hielte.
§. 360.
Jch weiß gar wohl, daß an-Eainne- rung. dere dieses dadurch zu erweisen vermeinen, weil der Jrrthum nothwendig ist, und nie- mand davor kan, daß ihm dieses so und nicht anders vorkommet. Allein mir schei- net dieser Grund nicht zulänglich zu seyn, die Jrrthümer von der Straffe zu befrey- en. Einmahl ist dieses kein richtiger Satz; Nothwendige Handlungen kan man nicht bestraffen. Denn nicht die Freyheit der Handlungen, sondern ihre Schädlichkeit im gemeinen Wesen ist der Grund der Straffe (§. 357). Wenn gleich alle unse- re Handlungen keine wahre Freyheit hät- ten, wie einige Gelehrten vorgeben; so würden doch deßwegen die Straffen nicht aufgehoben. Es wäre alsdenn die Furcht der Straffe ein Zwang, wodurch man ei- ner nothwendigen Handlung wiederstün- de, daß sie nicht könte vollzogen werden. So lange demnach nur gewiß wäre, daß dieses Zwangs-Mittel fruchtete; so lan- ge müste man es noch beybehalten. Das Exempel der Thiere bestetiget, was ich hier gesaget. Thiere haben keine Frey-
heit,
des gemeinen Weſens.
man das ſchaͤdliche beſtraffen kan, wie ſich bald mit mehrerm zeigen wird: ſo iſt es ebenfalls unrecht, wenn man wieder die jenigen eine Inquiſition anſtellen wollte, welche man wegen eines Jrrthums ver- daͤchtig hielte.
§. 360.
Jch weiß gar wohl, daß an-Eainne- rung. dere dieſes dadurch zu erweiſen vermeinen, weil der Jrrthum nothwendig iſt, und nie- mand davor kan, daß ihm dieſes ſo und nicht anders vorkommet. Allein mir ſchei- net dieſer Grund nicht zulaͤnglich zu ſeyn, die Jrrthuͤmer von der Straffe zu befrey- en. Einmahl iſt dieſes kein richtiger Satz; Nothwendige Handlungen kan man nicht beſtraffen. Denn nicht die Freyheit der Handlungen, ſondern ihre Schaͤdlichkeit im gemeinen Weſen iſt der Grund der Straffe (§. 357). Wenn gleich alle unſe- re Handlungen keine wahre Freyheit haͤt- ten, wie einige Gelehrten vorgeben; ſo wuͤrden doch deßwegen die Straffen nicht aufgehoben. Es waͤre alsdenn die Furcht der Straffe ein Zwang, wodurch man ei- ner nothwendigen Handlung wiederſtuͤn- de, daß ſie nicht koͤnte vollzogen werden. So lange demnach nur gewiß waͤre, daß dieſes Zwangs-Mittel fruchtete; ſo lan- ge muͤſte man es noch beybehalten. Das Exempel der Thiere beſtetiget, was ich hier geſaget. Thiere haben keine Frey-
heit,
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des gemeinen Weſens.
man das ſchaͤdliche beſtraffen kan, wie
ſich bald mit mehrerm zeigen wird: ſo iſt
es ebenfalls unrecht, wenn man wieder die
jenigen eine Inquiſition anſtellen wollte,
welche man wegen eines Jrrthums ver-
daͤchtig hielte.
§. 360.Jch weiß gar wohl, daß an-
dere dieſes dadurch zu erweiſen vermeinen,
weil der Jrrthum nothwendig iſt, und nie-
mand davor kan, daß ihm dieſes ſo und
nicht anders vorkommet. Allein mir ſchei-
net dieſer Grund nicht zulaͤnglich zu ſeyn,
die Jrrthuͤmer von der Straffe zu befrey-
en. Einmahl iſt dieſes kein richtiger Satz;
Nothwendige Handlungen kan man nicht
beſtraffen. Denn nicht die Freyheit der
Handlungen, ſondern ihre Schaͤdlichkeit
im gemeinen Weſen iſt der Grund der
Straffe (§. 357). Wenn gleich alle unſe-
re Handlungen keine wahre Freyheit haͤt-
ten, wie einige Gelehrten vorgeben; ſo
wuͤrden doch deßwegen die Straffen nicht
aufgehoben. Es waͤre alsdenn die Furcht
der Straffe ein Zwang, wodurch man ei-
ner nothwendigen Handlung wiederſtuͤn-
de, daß ſie nicht koͤnte vollzogen werden.
So lange demnach nur gewiß waͤre, daß
dieſes Zwangs-Mittel fruchtete; ſo lan-
ge muͤſte man es noch beybehalten. Das
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hier geſaget. Thiere haben keine Frey-
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Eainne-
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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/321>, abgerufen am 22.11.2024.
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