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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

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Cap. 2. Von der Einrichtung
Worauf
die bür-
gerliche
Verbinde
lichkeit
gehet.
§. 356.

Weil die Straffen nicht tugend-
hafft machen, sondern nur hindern, daß man
das böse, welches man im Sinne hat, nicht
vollbringet, (§. 355); so wird dadurch nur
eine äusserliche Zucht erhalten. Nehmlich
die äußerliche Zucht bestehet in der
Ubereinstimmung der äusserlichen Hand-
lungen mit dem Gesetze der Natur, und
kan dabey die Lust zu wiedrigen Hand-
lungen noch immer verbleiben. Derowe-
gen weil man im gemeinen Wesen nie-
manden anders als durch Straffen ver-
binden kan von dem bösen abzustehen (§.
341; so kan auch die bürgerliche Ver-
bindlichkeit nicht weiter als auf die äusser-
liche Zucht gehen. Und deßwegen pfleget
man im Sprüchworte zu sagen: Gedan-
cken sind zollfrey. Und hierinnen bestehet
eben der Unterscheid zwischen der bürger-
lichen und natürlichen Verbindlichkeit,
daß jene nur auf das äussere, diese aber
zugleich auf das innere gehet (§. 9 Mor),
und daher jene nur eine äusserliche Zucht,
diese hingegen eine wahre Tugend gebie-
ret. Bey der bürgerlichen Verbindlich-
keit siehet man bloß auf das Ubel, wel-
ches eine Handlung nach sich ziehet; hin-
gegen bey der natürlichen erweget man zu-
gleich das gute, welches aus einer Hand-
lung erfolget, und durch eine andere hin-
tertrieben wird (§. 6. 9 Mor.).

§. 357.
Cap. 2. Von der Einrichtung
Worauf
die buͤr-
gerliche
Verbinde
lichkeit
gehet.
§. 356.

Weil die Straffen nicht tugend-
hafft machen, ſondern nur hindern, daß man
das boͤſe, welches man im Sinne hat, nicht
vollbringet, (§. 355); ſo wird dadurch nur
eine aͤuſſerliche Zucht erhalten. Nehmlich
die aͤußerliche Zucht beſtehet in der
Ubereinſtimmung der aͤuſſerlichen Hand-
lungen mit dem Geſetze der Natur, und
kan dabey die Luſt zu wiedrigen Hand-
lungen noch immer verbleiben. Derowe-
gen weil man im gemeinen Weſen nie-
manden anders als durch Straffen ver-
binden kan von dem boͤſen abzuſtehen (§.
341; ſo kan auch die buͤrgerliche Ver-
bindlichkeit nicht weiter als auf die aͤuſſer-
liche Zucht gehen. Und deßwegen pfleget
man im Spruͤchworte zu ſagen: Gedan-
cken ſind zollfrey. Und hierinnen beſtehet
eben der Unterſcheid zwiſchen der buͤrger-
lichen und natuͤrlichen Verbindlichkeit,
daß jene nur auf das aͤuſſere, dieſe aber
zugleich auf das innere gehet (§. 9 Mor),
und daher jene nur eine aͤuſſerliche Zucht,
dieſe hingegen eine wahre Tugend gebie-
ret. Bey der buͤrgerlichen Verbindlich-
keit ſiehet man bloß auf das Ubel, wel-
ches eine Handlung nach ſich ziehet; hin-
gegen bey der natuͤrlichen erweget man zu-
gleich das gute, welches aus einer Hand-
lung erfolget, und durch eine andere hin-
tertrieben wird (§. 6. 9 Mor.).

§. 357.
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[300/0318] Cap. 2. Von der Einrichtung §. 356.Weil die Straffen nicht tugend- hafft machen, ſondern nur hindern, daß man das boͤſe, welches man im Sinne hat, nicht vollbringet, (§. 355); ſo wird dadurch nur eine aͤuſſerliche Zucht erhalten. Nehmlich die aͤußerliche Zucht beſtehet in der Ubereinſtimmung der aͤuſſerlichen Hand- lungen mit dem Geſetze der Natur, und kan dabey die Luſt zu wiedrigen Hand- lungen noch immer verbleiben. Derowe- gen weil man im gemeinen Weſen nie- manden anders als durch Straffen ver- binden kan von dem boͤſen abzuſtehen (§. 341; ſo kan auch die buͤrgerliche Ver- bindlichkeit nicht weiter als auf die aͤuſſer- liche Zucht gehen. Und deßwegen pfleget man im Spruͤchworte zu ſagen: Gedan- cken ſind zollfrey. Und hierinnen beſtehet eben der Unterſcheid zwiſchen der buͤrger- lichen und natuͤrlichen Verbindlichkeit, daß jene nur auf das aͤuſſere, dieſe aber zugleich auf das innere gehet (§. 9 Mor), und daher jene nur eine aͤuſſerliche Zucht, dieſe hingegen eine wahre Tugend gebie- ret. Bey der buͤrgerlichen Verbindlich- keit ſiehet man bloß auf das Ubel, wel- ches eine Handlung nach ſich ziehet; hin- gegen bey der natuͤrlichen erweget man zu- gleich das gute, welches aus einer Hand- lung erfolget, und durch eine andere hin- tertrieben wird (§. 6. 9 Mor.). §. 357.

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/318>, abgerufen am 09.05.2024.