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Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721.

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Das 3. Capitel Von der
man vorher sehen kan, daß Eltern darein
willigen würden, wenn sie es wüsten, und
man also ihrer Einwilligung ohne sie zu fra-
gen versichert seyn kan. Nehmlich weil zu
einem Vertrage ein Versprechen und Ge-
genversprechen erfordert wird (§. 1008.
Mor.); so kan dergleichen ohne beyder
Theile Einwilligung, dadurch sie der Sa-
che mit einander eines werden, nicht gesche-
hen (§. 1003 Mor.). Weil nun unmün-
dige vor sich nicht einwilligen können ohne
Wissen und Willen der Eltern, als deren
Wille in allem ihr Wille seyn muß (§. 120);
so mögen sie etwas versprechen oder dage-
gen versprechen, so ist es eben so viel als
wenn sie nichts versprochen oder dagegen
versprochen hätten. Und demnach ist kein
Vertrag unter ihnen aufgerichtet worden.

Wie lang
Kinder
in der vä-
terlichen
Gewalt
bleiben.
§. 122.

Da die Kinder deswegen unter
der Gewalt der Eltern sind, weil sie sich
nicht selbst versorgen und regieren können;
(§. 81. 118); so bleiben sie auch so lange
in der vaterlichen Gewalt und sind daher
so lange als unmündig zu achten, so lange
sie sich nicht selbst versorgen und regieren
können. Wenn nun also gleich die Kinder
durch Arbeit und Dienste, die sie anderen
leisten, ihr Brodt und Kleidung selber ver-
dienen, und also nicht mehr von den Eltern
Unterhalt nöthig haben; so sind sie doch, so
lange sie ihr Bestes noch nicht selbst verste-

hen,

Das 3. Capitel Von der
man vorher ſehen kan, daß Eltern darein
willigen wuͤrden, wenn ſie es wuͤſten, und
man alſo ihrer Einwilligung ohne ſie zu fra-
gen verſichert ſeyn kan. Nehmlich weil zu
einem Vertrage ein Verſprechen und Ge-
genverſprechen erfordert wird (§. 1008.
Mor.); ſo kan dergleichen ohne beyder
Theile Einwilligung, dadurch ſie der Sa-
che mit einander eines werden, nicht geſche-
hen (§. 1003 Mor.). Weil nun unmuͤn-
dige vor ſich nicht einwilligen koͤnnen ohne
Wiſſen und Willen der Eltern, als deren
Wille in allem ihr Wille ſeyn muß (§. 120);
ſo moͤgen ſie etwas verſprechen oder dage-
gen verſprechen, ſo iſt es eben ſo viel als
wenn ſie nichts verſprochen oder dagegen
verſprochen haͤtten. Und demnach iſt kein
Vertrag unter ihnen aufgerichtet worden.

Wie lang
Kinder
in der vaͤ-
terlichen
Gewalt
bleiben.
§. 122.

Da die Kinder deswegen unter
der Gewalt der Eltern ſind, weil ſie ſich
nicht ſelbſt verſorgen und regieren koͤnnen;
(§. 81. 118); ſo bleiben ſie auch ſo lange
in der vaterlichen Gewalt und ſind daher
ſo lange als unmuͤndig zu achten, ſo lange
ſie ſich nicht ſelbſt verſorgen und regieren
koͤnnen. Wenn nun alſo gleich die Kinder
durch Arbeit und Dienſte, die ſie anderen
leiſten, ihr Brodt und Kleidung ſelber ver-
dienen, und alſo nicht mehr von den Eltern
Unterhalt noͤthig haben; ſo ſind ſie doch, ſo
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[88/0106] Das 3. Capitel Von der man vorher ſehen kan, daß Eltern darein willigen wuͤrden, wenn ſie es wuͤſten, und man alſo ihrer Einwilligung ohne ſie zu fra- gen verſichert ſeyn kan. Nehmlich weil zu einem Vertrage ein Verſprechen und Ge- genverſprechen erfordert wird (§. 1008. Mor.); ſo kan dergleichen ohne beyder Theile Einwilligung, dadurch ſie der Sa- che mit einander eines werden, nicht geſche- hen (§. 1003 Mor.). Weil nun unmuͤn- dige vor ſich nicht einwilligen koͤnnen ohne Wiſſen und Willen der Eltern, als deren Wille in allem ihr Wille ſeyn muß (§. 120); ſo moͤgen ſie etwas verſprechen oder dage- gen verſprechen, ſo iſt es eben ſo viel als wenn ſie nichts verſprochen oder dagegen verſprochen haͤtten. Und demnach iſt kein Vertrag unter ihnen aufgerichtet worden. §. 122.Da die Kinder deswegen unter der Gewalt der Eltern ſind, weil ſie ſich nicht ſelbſt verſorgen und regieren koͤnnen; (§. 81. 118); ſo bleiben ſie auch ſo lange in der vaterlichen Gewalt und ſind daher ſo lange als unmuͤndig zu achten, ſo lange ſie ſich nicht ſelbſt verſorgen und regieren koͤnnen. Wenn nun alſo gleich die Kinder durch Arbeit und Dienſte, die ſie anderen leiſten, ihr Brodt und Kleidung ſelber ver- dienen, und alſo nicht mehr von den Eltern Unterhalt noͤthig haben; ſo ſind ſie doch, ſo lange ſie ihr Beſtes noch nicht ſelbſt verſte- hen,

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Zitationshilfe: Wolff, Christian von: Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen. Halle (Saale), 1721, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wolff_gesellschaftlichesleben_1721/106>, abgerufen am 18.04.2024.