Wolff, Christian von: Der Anfangs-Gründe Aller Mathematischen Wiessenschaften. Bd. 4. Halle (Saale), 1710.Vorrede. von Nöthen habet. Es ist aber keine voll-kommenere Art zu studiren/ als wenn man nur ein weniges lernen darf und sich dabey doch auf alle vorkommende Fälle geschieckt machet. Jch sage aber noch mehr. Jhr treffet in der Algebra die aller vollkommenste Manier zu raisoniren an. Denn sie ex- primiret die Begrieffe der Sachen durch Zeichen und verwandelt die Schlüsse/ welche mit vielem Bedacht aus ihnen hergeleitet werden/ in eine leichte Manier die Zeichen mit einander zu verknüpfen und zu trennen. Da- durch erhält man zu gleich/ daß man öfters in einer Zeile mehr haben kan/ als in grossen Folianten nicht Raum finden würde. Durch das Anschauen weniger Zeichen werdet ihr öfters klüger/ als ihr durch vieler Jahre Ar- beit nach der gemeinen Art zu lernen und zu dencken nicht werden könnet. Jn dieser Ab- sicht pfleget man die Algebra den Giepfel menschlicher Wiessenschaften zu nennen/ und dieses von Rechtswegen. Jch habe dem- nach so wol die gemeine Algebra/ als die un- vergleichliche Differential- und Jntegral- Rechnung des Herrnvon Leibnitz dergestalt erklähren wollen/ daß nicht allein ihre Kunst- Grieffe unvermercket bey gebracht/ sondern auch die Haupt-Lehren von der so genannten Mathesi pura zu gleich mit erlernet/ ja von selbsten gefunden werden. Vorrede. von Noͤthen habet. Es iſt aber keine voll-kommenere Art zu ſtudiren/ als wenn man nur ein weniges lernen darf und ſich dabey doch auf alle vorkommende Faͤlle geſchieckt machet. Jch ſage aber noch mehr. Jhr treffet in der Algebra die aller vollkommenſte Manier zu raiſoniren an. Denn ſie ex- primiret die Begrieffe der Sachen durch Zeichen und verwandelt die Schluͤſſe/ welche mit vielem Bedacht aus ihnen hergeleitet werden/ in eine leichte Manier die Zeichen mit einander zu verknuͤpfen und zu trennen. Da- durch erhaͤlt man zu gleich/ daß man oͤfters in einer Zeile mehr haben kan/ als in groſſen Folianten nicht Raum finden wuͤrde. Durch das Anſchauen weniger Zeichen werdet ihr oͤfters kluͤger/ als ihr durch vieler Jahre Ar- beit nach der gemeinen Art zu lernen und zu dencken nicht werden koͤnnet. Jn dieſer Ab- ſicht pfleget man die Algebra den Giepfel menſchlicher Wieſſenſchaften zu nennen/ und dieſes von Rechtswegen. Jch habe dem- nach ſo wol die gemeine Algebra/ als die un- vergleichliche Differential- und Jntegral- Rechnung des Herrnvon Leibnitz dergeſtalt erklaͤhren wollen/ daß nicht allein ihre Kunſt- Grieffe unvermercket bey gebracht/ ſondern auch die Haupt-Lehren von der ſo genannten Matheſi pura zu gleich mit erlernet/ ja von ſelbſten gefunden werden. <TEI> <text> <front> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0008" n="6"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vorrede.</hi></fw><lb/> von Noͤthen habet. Es iſt aber keine voll-<lb/> kommenere Art zu ſtudiren/ als wenn man<lb/> nur ein weniges lernen darf und ſich dabey<lb/> doch auf alle vorkommende Faͤlle geſchieckt<lb/> machet. Jch ſage aber noch mehr. Jhr<lb/> treffet in der Algebra die aller vollkommenſte<lb/> Manier zu <hi rendition="#aq">raiſonir</hi>en an. Denn ſie <hi rendition="#aq">ex-<lb/> primir</hi>et die Begrieffe der Sachen durch<lb/> Zeichen und verwandelt die Schluͤſſe/ welche<lb/> mit vielem Bedacht aus ihnen hergeleitet<lb/> werden/ in eine leichte Manier die Zeichen mit<lb/> einander zu verknuͤpfen und zu trennen. Da-<lb/> durch erhaͤlt man zu gleich/ daß man oͤfters<lb/> in einer Zeile mehr haben kan/ als in groſſen<lb/> Folianten nicht Raum finden wuͤrde. Durch<lb/> das Anſchauen weniger Zeichen werdet ihr<lb/> oͤfters kluͤger/ als ihr durch vieler Jahre Ar-<lb/> beit nach der gemeinen Art zu lernen und zu<lb/> dencken nicht werden koͤnnet. Jn dieſer Ab-<lb/> ſicht pfleget man die Algebra den Giepfel<lb/> menſchlicher Wieſſenſchaften zu nennen/ und<lb/> dieſes von Rechtswegen. Jch habe dem-<lb/> nach ſo wol die gemeine Algebra/ als die un-<lb/> vergleichliche Differential- und Jntegral-<lb/> Rechnung des <hi rendition="#fr">Herrnvon</hi> L<hi rendition="#fr">eibnitz</hi> dergeſtalt<lb/> erklaͤhren wollen/ daß nicht allein ihre Kunſt-<lb/> Grieffe unvermercket bey gebracht/ ſondern<lb/> auch die Haupt-Lehren von der ſo genannten<lb/><hi rendition="#aq">Matheſi pura</hi> zu gleich mit erlernet/ ja von<lb/> ſelbſten gefunden werden.</p> </div> </div> </front> <body><lb/> </body> </text> </TEI> [6/0008]
Vorrede.
von Noͤthen habet. Es iſt aber keine voll-
kommenere Art zu ſtudiren/ als wenn man
nur ein weniges lernen darf und ſich dabey
doch auf alle vorkommende Faͤlle geſchieckt
machet. Jch ſage aber noch mehr. Jhr
treffet in der Algebra die aller vollkommenſte
Manier zu raiſoniren an. Denn ſie ex-
primiret die Begrieffe der Sachen durch
Zeichen und verwandelt die Schluͤſſe/ welche
mit vielem Bedacht aus ihnen hergeleitet
werden/ in eine leichte Manier die Zeichen mit
einander zu verknuͤpfen und zu trennen. Da-
durch erhaͤlt man zu gleich/ daß man oͤfters
in einer Zeile mehr haben kan/ als in groſſen
Folianten nicht Raum finden wuͤrde. Durch
das Anſchauen weniger Zeichen werdet ihr
oͤfters kluͤger/ als ihr durch vieler Jahre Ar-
beit nach der gemeinen Art zu lernen und zu
dencken nicht werden koͤnnet. Jn dieſer Ab-
ſicht pfleget man die Algebra den Giepfel
menſchlicher Wieſſenſchaften zu nennen/ und
dieſes von Rechtswegen. Jch habe dem-
nach ſo wol die gemeine Algebra/ als die un-
vergleichliche Differential- und Jntegral-
Rechnung des Herrnvon Leibnitz dergeſtalt
erklaͤhren wollen/ daß nicht allein ihre Kunſt-
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