Wolf, August: Der Stern der Schönheit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 303–322. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Freunde des Dichters, die seinen Nachlaß in einem mäßigen Bande herausgegeben, äußern sich in einem kurzen Vorwort über den früh Verstorbenen: "Ein glühender Lebensdurst, ein hohes Gefühl für das Schöne und ein scharfer Verstand, dem zersetzende Kritik zur Nothwendigkeit geworden -- die Mischung dieser Elemente brachte in ihm einen Conflict hervor, der hindernd auf alle Thätigkeiten seines Lebens wirkte. Der Gegensatz zwischen Idee und Realität trat zu stark für ihn auf, um dauernd einen Compromiß zu gestatten; was zu gerundeter Einheit sich ergänzen sollte, blieb ihm meistens getrennt, und dem Riß, der durch sein Inneres ging, erlag endlich der Körper. In der Novellette aus Lope de Vega's Leben, welche durchaus Erfindung ist, hinterließ er einen sprechenden Zug seines Wesens, eine Art geistigen Portraits. "Der Stern der Schönheit" war das Fatum seines eigenen Dichterlebens." Eine zweite, größere Novelle desselben Autors, "Eine dunkle Begebenheit", zeigt die Vorzüge seiner Darstellung, jenen kunstvollen Ton höchster Natürlichkeit, der an das Gespräch der besten Gesellschaft erinnert, in noch höherem Maße, steht aber an dichterischem Gehalt hinter der hier mitgetheilten zurück, da die Gestalten und ihr geheimnißvolles Schicksal nur wie durch einen Nebel erscheinen und wir am Schluß mit dem Gefühl entlassen werden, als habe der Erzähler uns mit Räthseln unterhalten, deren volle Lösung er uns schuldig Freunde des Dichters, die seinen Nachlaß in einem mäßigen Bande herausgegeben, äußern sich in einem kurzen Vorwort über den früh Verstorbenen: „Ein glühender Lebensdurst, ein hohes Gefühl für das Schöne und ein scharfer Verstand, dem zersetzende Kritik zur Nothwendigkeit geworden — die Mischung dieser Elemente brachte in ihm einen Conflict hervor, der hindernd auf alle Thätigkeiten seines Lebens wirkte. Der Gegensatz zwischen Idee und Realität trat zu stark für ihn auf, um dauernd einen Compromiß zu gestatten; was zu gerundeter Einheit sich ergänzen sollte, blieb ihm meistens getrennt, und dem Riß, der durch sein Inneres ging, erlag endlich der Körper. In der Novellette aus Lope de Vega's Leben, welche durchaus Erfindung ist, hinterließ er einen sprechenden Zug seines Wesens, eine Art geistigen Portraits. „Der Stern der Schönheit“ war das Fatum seines eigenen Dichterlebens.“ Eine zweite, größere Novelle desselben Autors, „Eine dunkle Begebenheit“, zeigt die Vorzüge seiner Darstellung, jenen kunstvollen Ton höchster Natürlichkeit, der an das Gespräch der besten Gesellschaft erinnert, in noch höherem Maße, steht aber an dichterischem Gehalt hinter der hier mitgetheilten zurück, da die Gestalten und ihr geheimnißvolles Schicksal nur wie durch einen Nebel erscheinen und wir am Schluß mit dem Gefühl entlassen werden, als habe der Erzähler uns mit Räthseln unterhalten, deren volle Lösung er uns schuldig <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <pb facs="#f0006"/> <p>Freunde des Dichters, die seinen Nachlaß in einem mäßigen Bande herausgegeben, äußern sich in einem kurzen Vorwort über den früh Verstorbenen: „Ein glühender Lebensdurst, ein hohes Gefühl für das Schöne und ein scharfer Verstand, dem zersetzende Kritik zur Nothwendigkeit geworden — die Mischung dieser Elemente brachte in ihm einen Conflict hervor, der hindernd auf alle Thätigkeiten seines Lebens wirkte. Der Gegensatz zwischen Idee und Realität trat zu stark für ihn auf, um dauernd einen Compromiß zu gestatten; was zu gerundeter Einheit sich ergänzen sollte, blieb ihm meistens getrennt, und dem Riß, der durch sein Inneres ging, erlag endlich der Körper. In der Novellette aus Lope de Vega's Leben, welche durchaus Erfindung ist, hinterließ er einen sprechenden Zug seines Wesens, eine Art geistigen Portraits. „Der Stern der Schönheit“ war das Fatum seines eigenen Dichterlebens.“</p><lb/> <p>Eine zweite, größere Novelle desselben Autors, „Eine dunkle Begebenheit“, zeigt die Vorzüge seiner Darstellung, jenen kunstvollen Ton höchster Natürlichkeit, der an das Gespräch der besten Gesellschaft erinnert, in noch höherem Maße, steht aber an dichterischem Gehalt hinter der hier mitgetheilten zurück, da die Gestalten und ihr geheimnißvolles Schicksal nur wie durch einen Nebel erscheinen und wir am Schluß mit dem Gefühl entlassen werden, als habe der Erzähler uns mit Räthseln unterhalten, deren volle Lösung er uns schuldig<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0006]
Freunde des Dichters, die seinen Nachlaß in einem mäßigen Bande herausgegeben, äußern sich in einem kurzen Vorwort über den früh Verstorbenen: „Ein glühender Lebensdurst, ein hohes Gefühl für das Schöne und ein scharfer Verstand, dem zersetzende Kritik zur Nothwendigkeit geworden — die Mischung dieser Elemente brachte in ihm einen Conflict hervor, der hindernd auf alle Thätigkeiten seines Lebens wirkte. Der Gegensatz zwischen Idee und Realität trat zu stark für ihn auf, um dauernd einen Compromiß zu gestatten; was zu gerundeter Einheit sich ergänzen sollte, blieb ihm meistens getrennt, und dem Riß, der durch sein Inneres ging, erlag endlich der Körper. In der Novellette aus Lope de Vega's Leben, welche durchaus Erfindung ist, hinterließ er einen sprechenden Zug seines Wesens, eine Art geistigen Portraits. „Der Stern der Schönheit“ war das Fatum seines eigenen Dichterlebens.“
Eine zweite, größere Novelle desselben Autors, „Eine dunkle Begebenheit“, zeigt die Vorzüge seiner Darstellung, jenen kunstvollen Ton höchster Natürlichkeit, der an das Gespräch der besten Gesellschaft erinnert, in noch höherem Maße, steht aber an dichterischem Gehalt hinter der hier mitgetheilten zurück, da die Gestalten und ihr geheimnißvolles Schicksal nur wie durch einen Nebel erscheinen und wir am Schluß mit dem Gefühl entlassen werden, als habe der Erzähler uns mit Räthseln unterhalten, deren volle Lösung er uns schuldig
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(2017-03-16T13:44:15Z)
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
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