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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764.

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unter den Römischen Kaisern.
achtung sitzt auf seinen Lippen, und der Unmuth, welchen er in sich zieht,
blähet sich in den Nüssen seiner Nase, und tritt bis in die stolze Stirn hin-
auf. Aber der Friede, welcher in einer seligen Stille auf derselben schwe-
bet, bleibt ungestört, und sein Auge ist voll Süßigkeit, wie unter den
Musen, die ihn zu umarmen suchen. Jn allen uns übrigen Bildern des
Vaters der Götter, welche die Kunst verehret, nähert er sich nicht der
Größe, in welcher er sich dem Verstande des Göttlichen Dichters offenba-
rete, wie hier in dem Gesichte des Sohnes, und die einzelnen Schönheiten
der übrigen Götter treten hier, wie bey der Pandora, in Gemeinschaft zu-
sammen. Eine Stirn des Jupiters, die mit der Göttinn der Weisheit
schwanger ist, und Augenbranen, die durch ihr Winken ihren Willen er-
klären: Augen der Königinn der Göttinnen mit Großheit gewölbet, und
ein Mund, welcher denjenigen bildet, der dem geliebten Branchus die
Wollüste eingeflößet. Sein weiches Haar spielet, wie die zarten und flüßi-
gen Schlingen edler Weinreben, gleichsam von einer sanften Luft bewegt,
um dieses göttliche Haupt: es scheint gesalbet mit dem Oel der Götter, und
von den Gratien mit holder Pracht auf seinem Scheitel gebunden. Jch
vergesse alles andere über dem Anblicke dieses Wunderwerks der Kunst,
und ich nehme selbst einen erhabenen Stand an, um mit Würdigkeit anzu-
schauen. Mit Verehrung scheint sich meine Brust zu erweitern und zu er-
heben, wie diejenigen, die ich wie vom Geiste der Weißagung aufgeschwel-
let sehe, und ich fühle mich weggerückt nach Delos und in die Lycischen
Hayne, Orte, welche Apollo mit seiner Gegenwart beehrete: denn mein
Bild scheint Leben und Bewegung zu bekommen, wie des Pygmalions
Schönheit. Wie ist es möglich, es zu malen und zu beschreiben. Die
Kunst selbst müßte mir rathen, und die Hand leiten, die ersten Züge, wel-
che ich hier entworfen habe, künftig auszuführen. Jch lege den Begriff,
welchen ich von diesem Bilde gegeben habe, zu dessen Füßen, wie die Krän-
ze derjenigen, die das Haupt der Gottheiten, welche sie krönen wollten,

nicht
Winckelm Gesch. der Kunst. D d d

unter den Roͤmiſchen Kaiſern.
achtung ſitzt auf ſeinen Lippen, und der Unmuth, welchen er in ſich zieht,
blaͤhet ſich in den Nuͤſſen ſeiner Naſe, und tritt bis in die ſtolze Stirn hin-
auf. Aber der Friede, welcher in einer ſeligen Stille auf derſelben ſchwe-
bet, bleibt ungeſtoͤrt, und ſein Auge iſt voll Suͤßigkeit, wie unter den
Muſen, die ihn zu umarmen ſuchen. Jn allen uns uͤbrigen Bildern des
Vaters der Goͤtter, welche die Kunſt verehret, naͤhert er ſich nicht der
Groͤße, in welcher er ſich dem Verſtande des Goͤttlichen Dichters offenba-
rete, wie hier in dem Geſichte des Sohnes, und die einzelnen Schoͤnheiten
der uͤbrigen Goͤtter treten hier, wie bey der Pandora, in Gemeinſchaft zu-
ſammen. Eine Stirn des Jupiters, die mit der Goͤttinn der Weisheit
ſchwanger iſt, und Augenbranen, die durch ihr Winken ihren Willen er-
klaͤren: Augen der Koͤniginn der Goͤttinnen mit Großheit gewoͤlbet, und
ein Mund, welcher denjenigen bildet, der dem geliebten Branchus die
Wolluͤſte eingefloͤßet. Sein weiches Haar ſpielet, wie die zarten und fluͤßi-
gen Schlingen edler Weinreben, gleichſam von einer ſanften Luft bewegt,
um dieſes goͤttliche Haupt: es ſcheint geſalbet mit dem Oel der Goͤtter, und
von den Gratien mit holder Pracht auf ſeinem Scheitel gebunden. Jch
vergeſſe alles andere uͤber dem Anblicke dieſes Wunderwerks der Kunſt,
und ich nehme ſelbſt einen erhabenen Stand an, um mit Wuͤrdigkeit anzu-
ſchauen. Mit Verehrung ſcheint ſich meine Bruſt zu erweitern und zu er-
heben, wie diejenigen, die ich wie vom Geiſte der Weißagung aufgeſchwel-
let ſehe, und ich fuͤhle mich weggeruͤckt nach Delos und in die Lyciſchen
Hayne, Orte, welche Apollo mit ſeiner Gegenwart beehrete: denn mein
Bild ſcheint Leben und Bewegung zu bekommen, wie des Pygmalions
Schoͤnheit. Wie iſt es moͤglich, es zu malen und zu beſchreiben. Die
Kunſt ſelbſt muͤßte mir rathen, und die Hand leiten, die erſten Zuͤge, wel-
che ich hier entworfen habe, kuͤnftig auszufuͤhren. Jch lege den Begriff,
welchen ich von dieſem Bilde gegeben habe, zu deſſen Fuͤßen, wie die Kraͤn-
ze derjenigen, die das Haupt der Gottheiten, welche ſie kroͤnen wollten,

nicht
Winckelm Geſch. der Kunſt. D d d
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[393/0081] unter den Roͤmiſchen Kaiſern. achtung ſitzt auf ſeinen Lippen, und der Unmuth, welchen er in ſich zieht, blaͤhet ſich in den Nuͤſſen ſeiner Naſe, und tritt bis in die ſtolze Stirn hin- auf. Aber der Friede, welcher in einer ſeligen Stille auf derſelben ſchwe- bet, bleibt ungeſtoͤrt, und ſein Auge iſt voll Suͤßigkeit, wie unter den Muſen, die ihn zu umarmen ſuchen. Jn allen uns uͤbrigen Bildern des Vaters der Goͤtter, welche die Kunſt verehret, naͤhert er ſich nicht der Groͤße, in welcher er ſich dem Verſtande des Goͤttlichen Dichters offenba- rete, wie hier in dem Geſichte des Sohnes, und die einzelnen Schoͤnheiten der uͤbrigen Goͤtter treten hier, wie bey der Pandora, in Gemeinſchaft zu- ſammen. Eine Stirn des Jupiters, die mit der Goͤttinn der Weisheit ſchwanger iſt, und Augenbranen, die durch ihr Winken ihren Willen er- klaͤren: Augen der Koͤniginn der Goͤttinnen mit Großheit gewoͤlbet, und ein Mund, welcher denjenigen bildet, der dem geliebten Branchus die Wolluͤſte eingefloͤßet. Sein weiches Haar ſpielet, wie die zarten und fluͤßi- gen Schlingen edler Weinreben, gleichſam von einer ſanften Luft bewegt, um dieſes goͤttliche Haupt: es ſcheint geſalbet mit dem Oel der Goͤtter, und von den Gratien mit holder Pracht auf ſeinem Scheitel gebunden. Jch vergeſſe alles andere uͤber dem Anblicke dieſes Wunderwerks der Kunſt, und ich nehme ſelbſt einen erhabenen Stand an, um mit Wuͤrdigkeit anzu- ſchauen. Mit Verehrung ſcheint ſich meine Bruſt zu erweitern und zu er- heben, wie diejenigen, die ich wie vom Geiſte der Weißagung aufgeſchwel- let ſehe, und ich fuͤhle mich weggeruͤckt nach Delos und in die Lyciſchen Hayne, Orte, welche Apollo mit ſeiner Gegenwart beehrete: denn mein Bild ſcheint Leben und Bewegung zu bekommen, wie des Pygmalions Schoͤnheit. Wie iſt es moͤglich, es zu malen und zu beſchreiben. Die Kunſt ſelbſt muͤßte mir rathen, und die Hand leiten, die erſten Zuͤge, wel- che ich hier entworfen habe, kuͤnftig auszufuͤhren. Jch lege den Begriff, welchen ich von dieſem Bilde gegeben habe, zu deſſen Fuͤßen, wie die Kraͤn- ze derjenigen, die das Haupt der Gottheiten, welche ſie kroͤnen wollten, nicht Winckelm Geſch. der Kunſt. D d d

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 2. Dresden, 1764, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte02_1764/81>, abgerufen am 21.11.2024.