len, angenommen seyn; oder es wäre als eine Vorstellung der ältesten Tracht daselbst anzusehen, welche bey den Arabern noch lange hernach ge- blieben war: denn diese hatten nichts 1), als einen Schurz, um den Leib, und Schuhe an Füßen.
In diesem ältern Stil ist die Bekleidung sonderlich an Weiblichen Figuren nur durch einen hervorspringenden oder erhobenen Rand, an den Beinen und am Halse, angedeutet, wie an einer vermeynten Isis im Campidoglio, und an zwo andern Statuen daselbst zu sehen ist. Um den Mittelpunct der Brüste von der einen, wo die Warzen stehen würden, ist ein kleiner Zirkel eingegraben angedeutet, und von demselben gehen viel dicht neben einander liegende Einschnitte, wie Radii eines Zirkels, an zween Finger breit auf den Brüsten herum. Und dieses könnte für einen ungereimten Zierrath angesehen werden. Ich bin aber der Meynung, daß hierdurch die Falten eines dünnen Schleyers, welcher die Brüste be- decket, angedeutet werden sollten. Denn an einer Aegyptischen Isis, aber vom späteren und schöneren Stil, in der Villa Albani, sind auf den Brü- sten derselben, welche dem ersten Anblicke entblößet zu seyn scheinen, fast unmerkliche erhobene Falten gezogen, welche in eben der Richtung sich von dem Mittelpuncte der Brüste ausbreiten. An dem Leibe jener Figuren muß die Kleidung bloß gedacht werden. In eben dieser Form ist eine bekleidete Isis 2) auf einer Mumie gemalet, und die zwanzig Colossalische Statuen der Beyschläferinnen Königs Mycerinus, von Holz, welche He- rodotus 3) für nackend angesehen, werden vielleicht eine ähnliche Anzei- gung der Kleidung gehabt haben; wenigstens findet sich itzo keine einzige völlig nackte Aegyptische Figur. Eben dieses bemerket Pococke 4) an einer sitzenden Isis, welche, ohne einen hervorspringenden Rand über die
Knöchel
1)Strabo Geogr. L. 16. p. 784. A. conf. Vales. ad Ammian. L. 14. c. 4. p. 14.
2)Gordon Essay &c. l. c.
3)L. 2. p. 95. l. 36.
4)l. c. p. 212.
I Theil. Zweytes Capitel.
len, angenommen ſeyn; oder es waͤre als eine Vorſtellung der aͤlteſten Tracht daſelbſt anzuſehen, welche bey den Arabern noch lange hernach ge- blieben war: denn dieſe hatten nichts 1), als einen Schurz, um den Leib, und Schuhe an Fuͤßen.
In dieſem aͤltern Stil iſt die Bekleidung ſonderlich an Weiblichen Figuren nur durch einen hervorſpringenden oder erhobenen Rand, an den Beinen und am Halſe, angedeutet, wie an einer vermeynten Iſis im Campidoglio, und an zwo andern Statuen daſelbſt zu ſehen iſt. Um den Mittelpunct der Bruͤſte von der einen, wo die Warzen ſtehen wuͤrden, iſt ein kleiner Zirkel eingegraben angedeutet, und von demſelben gehen viel dicht neben einander liegende Einſchnitte, wie Radii eines Zirkels, an zween Finger breit auf den Bruͤſten herum. Und dieſes koͤnnte fuͤr einen ungereimten Zierrath angeſehen werden. Ich bin aber der Meynung, daß hierdurch die Falten eines duͤnnen Schleyers, welcher die Bruͤſte be- decket, angedeutet werden ſollten. Denn an einer Aegyptiſchen Iſis, aber vom ſpaͤteren und ſchoͤneren Stil, in der Villa Albani, ſind auf den Bruͤ- ſten derſelben, welche dem erſten Anblicke entbloͤßet zu ſeyn ſcheinen, faſt unmerkliche erhobene Falten gezogen, welche in eben der Richtung ſich von dem Mittelpuncte der Bruͤſte ausbreiten. An dem Leibe jener Figuren muß die Kleidung bloß gedacht werden. In eben dieſer Form iſt eine bekleidete Iſis 2) auf einer Mumie gemalet, und die zwanzig Coloſſaliſche Statuen der Beyſchlaͤferinnen Koͤnigs Mycerinus, von Holz, welche He- rodotus 3) fuͤr nackend angeſehen, werden vielleicht eine aͤhnliche Anzei- gung der Kleidung gehabt haben; wenigſtens findet ſich itzo keine einzige voͤllig nackte Aegyptiſche Figur. Eben dieſes bemerket Pococke 4) an einer ſitzenden Iſis, welche, ohne einen hervorſpringenden Rand uͤber die
Knoͤchel
1)Strabo Geogr. L. 16. p. 784. A. conf. Valeſ. ad Ammian. L. 14. c. 4. p. 14.
2)Gordon Eſſay &c. l. c.
3)L. 2. p. 95. l. 36.
4)l. c. p. 212.
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I Theil. Zweytes Capitel.
len, angenommen ſeyn; oder es waͤre als eine Vorſtellung der aͤlteſten
Tracht daſelbſt anzuſehen, welche bey den Arabern noch lange hernach ge-
blieben war: denn dieſe hatten nichts 1), als einen Schurz, um den Leib,
und Schuhe an Fuͤßen.
In dieſem aͤltern Stil iſt die Bekleidung ſonderlich an Weiblichen
Figuren nur durch einen hervorſpringenden oder erhobenen Rand, an den
Beinen und am Halſe, angedeutet, wie an einer vermeynten Iſis im
Campidoglio, und an zwo andern Statuen daſelbſt zu ſehen iſt. Um den
Mittelpunct der Bruͤſte von der einen, wo die Warzen ſtehen wuͤrden, iſt
ein kleiner Zirkel eingegraben angedeutet, und von demſelben gehen viel
dicht neben einander liegende Einſchnitte, wie Radii eines Zirkels, an
zween Finger breit auf den Bruͤſten herum. Und dieſes koͤnnte fuͤr einen
ungereimten Zierrath angeſehen werden. Ich bin aber der Meynung,
daß hierdurch die Falten eines duͤnnen Schleyers, welcher die Bruͤſte be-
decket, angedeutet werden ſollten. Denn an einer Aegyptiſchen Iſis, aber
vom ſpaͤteren und ſchoͤneren Stil, in der Villa Albani, ſind auf den Bruͤ-
ſten derſelben, welche dem erſten Anblicke entbloͤßet zu ſeyn ſcheinen, faſt
unmerkliche erhobene Falten gezogen, welche in eben der Richtung ſich von
dem Mittelpuncte der Bruͤſte ausbreiten. An dem Leibe jener Figuren
muß die Kleidung bloß gedacht werden. In eben dieſer Form iſt eine
bekleidete Iſis 2) auf einer Mumie gemalet, und die zwanzig Coloſſaliſche
Statuen der Beyſchlaͤferinnen Koͤnigs Mycerinus, von Holz, welche He-
rodotus 3) fuͤr nackend angeſehen, werden vielleicht eine aͤhnliche Anzei-
gung der Kleidung gehabt haben; wenigſtens findet ſich itzo keine einzige
voͤllig nackte Aegyptiſche Figur. Eben dieſes bemerket Pococke 4) an
einer ſitzenden Iſis, welche, ohne einen hervorſpringenden Rand uͤber die
Knoͤchel
1) Strabo Geogr. L. 16. p. 784. A. conf. Valeſ. ad Ammian. L. 14. c. 4. p. 14.
2) Gordon Eſſay &c. l. c.
3) L. 2. p. 95. l. 36.
4) l. c. p. 212.
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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/98>, abgerufen am 28.07.2024.
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