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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Viertes Capitel.
nischen Gemälden sind zwo junge Mädgens ohne Gürtel 1), die eine mit
einer Schüssel Feigen in der rechten Hand, und mit einem Gefäße zum
Eingießen in der linken; die andere mit einer Schüssel, und mit einem Korbe:
welche diejenigen vorstellen könnten, die denen, welche in dem Tempel der Pal-
las speiseten, aufwarteten, und Dipnophoroi, Speisen-Trägerinnen 2),
genennet wurden. Die Erklärer dieser Gemälde haben hier keine Bedeutung
der Figuren angegeben, und dieselben bedeuten nichts ohne jene Bedeutung.

d Von dem
Weiblichen
Mantel, und
besonders von
dessen Cirkel-
runder Form.
aa Von dem
großen Man-
tel.

Das dritte Stück der Weiblichen Kleidung, der Mantel, (bey den
Griechen Peplon genannt, welches Wort insbesondere dem Mantel der
Pallas eigen ist, und hernach auch von dem Mantel anderer Götter 3)
und Männer 4) gebraucht wird) war nicht viereckt, wie sich Sal-
masius
eingebildet hat, sondern ein völlig rund geschnittenes Tuch, so
wie auch unsere Mäntel zugeschnitten sind; und eben die Form muß
auch der Mantel der Männer gehabt haben. Dieses ist zwar der Mey-
nung derjenigen, welche über die Kleidung der Alten geschrieben ha-
ben, zuwider; aber diese haben mehrentheils nur aus Büchern und nach
schlecht gezeichneten Kupfern geurtheilet, und ich kann mich auf den Au-
genschein, und auf eine vieljährige Betrachtung berufen. In Auslegung
alter Scribenten, und in Vereinigung oder Widerlegung ihrer Erklärer,
kann ich mich nicht einlassen, und ich begnüge mich jene der von mir ange-
gebenen Form gemäß zu verstehen. Die mehresten Stellen der Alten reden
überhaupt von viereckigten Mänteln, welches aber keine Schwierigkeit
veranlasset, wenn nicht Ecken, das ist, ein in viele rechte Winkel geschnit-
tenes Tuch, sondern ein Mantel von vier Zipfeln verstanden wird, welche
sich nach eben so viel angenäheten kleinen Quästgen im Zusammennehmen oder
im Anlegen warfen.

5)
An
1) Pitt. Erc. T. 1. tav. 22. 23.
2) Suid. in Depnophoroi.
3) Non. Dionys. L. 2. p. 45. l. 17.
4) Aeschyl. Pers. 199. 468. 1035. Sophocl. Trachin. v. 609. 684. Eurip. Heracl. v. 49.
131. 604. Helen. v. 430. 573. 1556. 1645. Ion. v. 326. Herc. fur. v.
333.
5) Not. in Fl. Vopisc. p. 389. D.

I Theil. Viertes Capitel.
niſchen Gemaͤlden ſind zwo junge Maͤdgens ohne Guͤrtel 1), die eine mit
einer Schuͤſſel Feigen in der rechten Hand, und mit einem Gefaͤße zum
Eingießen in der linken; die andere mit einer Schuͤſſel, und mit einem Korbe:
welche diejenigen vorſtellen koͤnnten, die denen, welche in dem Tempel der Pal-
las ſpeiſeten, aufwarteten, und Δϵιπνοφόροι, Speiſen-Traͤgerinnen 2),
genennet wurden. Die Erklaͤrer dieſer Gemaͤlde haben hier keine Bedeutung
der Figuren angegeben, und dieſelben bedeuten nichts ohne jene Bedeutung.

d Von dem
Weiblichen
Mantel, und
beſonders von
deſſen Cirkel-
runder Form.
aa Von dem
großen Man-
tel.

Das dritte Stuͤck der Weiblichen Kleidung, der Mantel, (bey den
Griechen Peplon genannt, welches Wort insbeſondere dem Mantel der
Pallas eigen iſt, und hernach auch von dem Mantel anderer Goͤtter 3)
und Maͤnner 4) gebraucht wird) war nicht viereckt, wie ſich Sal-
maſius
eingebildet hat, ſondern ein voͤllig rund geſchnittenes Tuch, ſo
wie auch unſere Maͤntel zugeſchnitten ſind; und eben die Form muß
auch der Mantel der Maͤnner gehabt haben. Dieſes iſt zwar der Mey-
nung derjenigen, welche uͤber die Kleidung der Alten geſchrieben ha-
ben, zuwider; aber dieſe haben mehrentheils nur aus Buͤchern und nach
ſchlecht gezeichneten Kupfern geurtheilet, und ich kann mich auf den Au-
genſchein, und auf eine vieljaͤhrige Betrachtung berufen. In Auslegung
alter Scribenten, und in Vereinigung oder Widerlegung ihrer Erklaͤrer,
kann ich mich nicht einlaſſen, und ich begnuͤge mich jene der von mir ange-
gebenen Form gemaͤß zu verſtehen. Die mehreſten Stellen der Alten reden
uͤberhaupt von viereckigten Maͤnteln, welches aber keine Schwierigkeit
veranlaſſet, wenn nicht Ecken, das iſt, ein in viele rechte Winkel geſchnit-
tenes Tuch, ſondern ein Mantel von vier Zipfeln verſtanden wird, welche
ſich nach eben ſo viel angenaͤheten kleinen Quaͤſtgen im Zuſammennehmen oder
im Anlegen warfen.

5)
An
1) Pitt. Erc. T. 1. tav. 22. 23.
2) Suid. in Δεπνοφόροι.
3) Non. Dionyſ. L. 2. p. 45. l. 17.
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5) Not. in Fl. Vopiſc. p. 389. D.
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[200/0250] I Theil. Viertes Capitel. niſchen Gemaͤlden ſind zwo junge Maͤdgens ohne Guͤrtel 1), die eine mit einer Schuͤſſel Feigen in der rechten Hand, und mit einem Gefaͤße zum Eingießen in der linken; die andere mit einer Schuͤſſel, und mit einem Korbe: welche diejenigen vorſtellen koͤnnten, die denen, welche in dem Tempel der Pal- las ſpeiſeten, aufwarteten, und Δϵιπνοφόροι, Speiſen-Traͤgerinnen 2), genennet wurden. Die Erklaͤrer dieſer Gemaͤlde haben hier keine Bedeutung der Figuren angegeben, und dieſelben bedeuten nichts ohne jene Bedeutung. Das dritte Stuͤck der Weiblichen Kleidung, der Mantel, (bey den Griechen Peplon genannt, welches Wort insbeſondere dem Mantel der Pallas eigen iſt, und hernach auch von dem Mantel anderer Goͤtter 3) und Maͤnner 4) gebraucht wird) war nicht viereckt, wie ſich Sal- maſius eingebildet hat, ſondern ein voͤllig rund geſchnittenes Tuch, ſo wie auch unſere Maͤntel zugeſchnitten ſind; und eben die Form muß auch der Mantel der Maͤnner gehabt haben. Dieſes iſt zwar der Mey- nung derjenigen, welche uͤber die Kleidung der Alten geſchrieben ha- ben, zuwider; aber dieſe haben mehrentheils nur aus Buͤchern und nach ſchlecht gezeichneten Kupfern geurtheilet, und ich kann mich auf den Au- genſchein, und auf eine vieljaͤhrige Betrachtung berufen. In Auslegung alter Scribenten, und in Vereinigung oder Widerlegung ihrer Erklaͤrer, kann ich mich nicht einlaſſen, und ich begnuͤge mich jene der von mir ange- gebenen Form gemaͤß zu verſtehen. Die mehreſten Stellen der Alten reden uͤberhaupt von viereckigten Maͤnteln, welches aber keine Schwierigkeit veranlaſſet, wenn nicht Ecken, das iſt, ein in viele rechte Winkel geſchnit- tenes Tuch, ſondern ein Mantel von vier Zipfeln verſtanden wird, welche ſich nach eben ſo viel angenaͤheten kleinen Quaͤſtgen im Zuſammennehmen oder im Anlegen warfen. An 5) 1) Pitt. Erc. T. 1. tav. 22. 23. 2) Suid. in Δεπνοφόροι. 3) Non. Dionyſ. L. 2. p. 45. l. 17. 4) Aeſchyl. Perſ. 199. 468. 1035. Sophocl. Trachin. v. 609. 684. Eurip. Heracl. v. 49. 131. 604. Helen. v. 430. 573. 1556. 1645. Ion. v. 326. Herc. fur. v. 333. 5) Not. in Fl. Vopiſc. p. 389. D.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/250>, abgerufen am 22.11.2024.