Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.Von der Kunst unter den Griechen. Mittelpuncte gesetzt, und je mehr sie sich demselben nähert, desto heitererund fröhlicher wird sie, und desto allgemeiner ist ihr Wirken in geistreichen witzigen Bildungen, und in entschiedenen und vielversprechenden Zügen. Wo die Natur weniger in Nebeln und in schweren Dünsten eingehüllet ist, giebt sie dem Körper zeitiger eine reifere Form; sie erhebet sich in mächtigen, sonderlich Weiblichen Gewächsen, und in Griechenland wird sie ihre Men- schen auf das feinste vollendet haben. Die Griechen waren sich dieses, und überhaupt, wie Polybius 1) sagt, ihres Vorzugs vor andern Völkern be- wußt, und unter keinem Volke ist die Schönheit so hoch, als bey ihnen, ge- achtet worden 2); deswegen blieb nichts verborgen, was dieselbe erheben konnte, und die Künstler sahen die Schönheit täglich vor Augen. Ja es war dieselbe gleichsam ein Verdienst zum Ruhme, und wir finden in den Griechischen Geschichten 3) die schönsten Leute angemerket: gewisse Perso- nen wurden von einem einzigen schönen Theile der Bildung, wie Demetrius Phalereus von seinen schönen Augenbranen 4), mit einem besonderen Namen bezeichnet. Daher wurden Wettspiele der Schönheit bereits in den aller- ältesten Zeiten, vom Cypselus 5), Könige in Arcadien, zur Zeit der Heracli- der, bey dem Flusse Alpheus, in der Landschaft Elis, angeordnet; und an dem 1) L. 5. p. 431. A. 2) Der Priester eines jugendlichen Jupiters zu Aegä , des Ismenischen Apollo , und derjenige, welcher zu Tanagra die Procession des Mercurius mit einem Lamme auf der Schulter führete, waren allemal Jünglinge, denen der Preis in der Schönheit war zuerkannt worden. Die Stadt Egesta in Sicilien richtete einem Philippus, wel- cher nicht ihr Bürger, sondern aus Croton war, bloß wegen seiner vorzüglichen Schön- heit , ein Grabmaal, wie einem vergötterten Helden, auf, und man opferte ihm bey demselben. (*) Pausan. L. 7. p. 585. l. 2. (**) Id. L. 9. p. 730. l. 25. (***) Id. L. 9. p. 752. l. 28. (****) Herodot. L. 5. c. 47. 3) conf. Pausan. L. 6. p. 457. l. 27. 4) kharitoblepharos. Diog. Laert. in eius Vit. p. 307. 5) Eustath. ad Il. t. p. 1185. l. 16. conf. Palmer. Exerc. in Auct. Gr. p. 448. Winckelm. Gesch. der Kunst. R
Von der Kunſt unter den Griechen. Mittelpuncte geſetzt, und je mehr ſie ſich demſelben naͤhert, deſto heitererund froͤhlicher wird ſie, und deſto allgemeiner iſt ihr Wirken in geiſtreichen witzigen Bildungen, und in entſchiedenen und vielverſprechenden Zuͤgen. Wo die Natur weniger in Nebeln und in ſchweren Duͤnſten eingehuͤllet iſt, giebt ſie dem Koͤrper zeitiger eine reifere Form; ſie erhebet ſich in maͤchtigen, ſonderlich Weiblichen Gewaͤchſen, und in Griechenland wird ſie ihre Men- ſchen auf das feinſte vollendet haben. Die Griechen waren ſich dieſes, und uͤberhaupt, wie Polybius 1) ſagt, ihres Vorzugs vor andern Voͤlkern be- wußt, und unter keinem Volke iſt die Schoͤnheit ſo hoch, als bey ihnen, ge- achtet worden 2); deswegen blieb nichts verborgen, was dieſelbe erheben konnte, und die Kuͤnſtler ſahen die Schoͤnheit taͤglich vor Augen. Ja es war dieſelbe gleichſam ein Verdienſt zum Ruhme, und wir finden in den Griechiſchen Geſchichten 3) die ſchoͤnſten Leute angemerket: gewiſſe Perſo- nen wurden von einem einzigen ſchoͤnen Theile der Bildung, wie Demetrius Phalereus von ſeinen ſchoͤnen Augenbranen 4), mit einem beſonderen Namen bezeichnet. Daher wurden Wettſpiele der Schoͤnheit bereits in den aller- aͤlteſten Zeiten, vom Cypſelus 5), Koͤnige in Arcadien, zur Zeit der Heracli- der, bey dem Fluſſe Alpheus, in der Landſchaft Elis, angeordnet; und an dem 1) L. 5. p. 431. A. 2) Der Prieſter eines jugendlichen Jupiters zu Aegaͤ , des Iſmeniſchen Apollo , und derjenige, welcher zu Tanagra die Proceſſion des Mercurius mit einem Lamme auf der Schulter fuͤhrete, waren allemal Juͤnglinge, denen der Preis in der Schoͤnheit war zuerkannt worden. Die Stadt Egeſta in Sicilien richtete einem Philippus, wel- cher nicht ihr Buͤrger, ſondern aus Croton war, bloß wegen ſeiner vorzuͤglichen Schoͤn- heit , ein Grabmaal, wie einem vergoͤtterten Helden, auf, und man opferte ihm bey demſelben. (*) Pauſan. L. 7. p. 585. l. 2. (**) Id. L. 9. p. 730. l. 25. (***) Id. L. 9. p. 752. l. 28. (****) Herodot. L. 5. c. 47. 3) conf. Pauſan. L. 6. p. 457. l. 27. 4) χαριτοβλέφαρος. Diog. Laert. in eius Vit. p. 307. 5) Euſtath. ad Il. τ΄. p. 1185. l. 16. conf. Palmer. Exerc. in Auct. Gr. p. 448. Winckelm. Geſch. der Kunſt. R
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Von der Kunſt unter den Griechen.
Mittelpuncte geſetzt, und je mehr ſie ſich demſelben naͤhert, deſto heiterer
und froͤhlicher wird ſie, und deſto allgemeiner iſt ihr Wirken in geiſtreichen
witzigen Bildungen, und in entſchiedenen und vielverſprechenden Zuͤgen.
Wo die Natur weniger in Nebeln und in ſchweren Duͤnſten eingehuͤllet iſt,
giebt ſie dem Koͤrper zeitiger eine reifere Form; ſie erhebet ſich in maͤchtigen,
ſonderlich Weiblichen Gewaͤchſen, und in Griechenland wird ſie ihre Men-
ſchen auf das feinſte vollendet haben. Die Griechen waren ſich dieſes, und
uͤberhaupt, wie Polybius 1) ſagt, ihres Vorzugs vor andern Voͤlkern be-
wußt, und unter keinem Volke iſt die Schoͤnheit ſo hoch, als bey ihnen, ge-
achtet worden 2); deswegen blieb nichts verborgen, was dieſelbe erheben
konnte, und die Kuͤnſtler ſahen die Schoͤnheit taͤglich vor Augen. Ja es
war dieſelbe gleichſam ein Verdienſt zum Ruhme, und wir finden in den
Griechiſchen Geſchichten 3) die ſchoͤnſten Leute angemerket: gewiſſe Perſo-
nen wurden von einem einzigen ſchoͤnen Theile der Bildung, wie Demetrius
Phalereus von ſeinen ſchoͤnen Augenbranen 4), mit einem beſonderen Namen
bezeichnet. Daher wurden Wettſpiele der Schoͤnheit bereits in den aller-
aͤlteſten Zeiten, vom Cypſelus 5), Koͤnige in Arcadien, zur Zeit der Heracli-
der, bey dem Fluſſe Alpheus, in der Landſchaft Elis, angeordnet; und an
dem
1) L. 5. p. 431. A.
2) Der Prieſter eines jugendlichen Jupiters zu Aegaͤ , des Iſmeniſchen Apollo ,
und derjenige, welcher zu Tanagra die Proceſſion des Mercurius mit einem Lamme
auf der Schulter fuͤhrete, waren allemal Juͤnglinge, denen der Preis in der Schoͤnheit
war zuerkannt worden. Die Stadt Egeſta in Sicilien richtete einem Philippus, wel-
cher nicht ihr Buͤrger, ſondern aus Croton war, bloß wegen ſeiner vorzuͤglichen Schoͤn-
heit , ein Grabmaal, wie einem vergoͤtterten Helden, auf, und man opferte ihm
bey demſelben.
⁽*⁾ Pauſan. L. 7. p. 585. l. 2.
⁽**⁾ Id. L. 9. p. 730. l. 25.
⁽***⁾ Id. L. 9. p. 752. l. 28.
⁽****⁾ Herodot. L. 5. c. 47.
3) conf. Pauſan. L. 6. p. 457. l. 27.
4) χαριτοβλέφαρος. Diog. Laert. in eius Vit. p. 307.
5) Euſtath. ad Il. τ΄. p. 1185. l. 16. conf. Palmer. Exerc. in Auct. Gr. p. 448.
Winckelm. Geſch. der Kunſt. R
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