In dem ersten Stücke sind drey Sätze begriffen: der erste enthält eine Betrachtung über die äußern Umstände, und Ursachen von den Eigen- schaften der Hetrurischen Kunst; der zweyte handelt von der Abbildung ihrer Götter und Helden; und im dritten Satze ist eine Anzeige der vor- nehmsten Werke der Hetrurischen Kunst.
I. Die äußeren Umstände der Kunst bey den Hetruriern.
Der erste Satz berühret vorher die der Kunst vortheilhaften Umstände unter diesem Volke, und suchet hernach eine wahrscheinliche Ursache von der Beschaffenheit ihrer Kunst zu geben. Was die Umstände betrifft, in A. Die Freyheit dieses Volks, welche der Kunst beför- derlich war.welchen sich die Kunst unter den Hetruriern befunden, so ist gewiß, da die Verfassung und Regierung in allen Ländern einen großen Einfluß in die- selbe gehabt hat, daß in der Freyheit, welche dieses Volk unter ihren Kö- nigen genoß, die Kunst, so wie ihre Künstler, das Haupt erheben, und zu einem großen Wachsthume gelangen können. Die Königliche Würde deutete bey ihnen keinen eigenmächtigen Herrn, sondern ein Haupt und ei- nen Heerführer an, deren zwölfe waren 1), nach der Anzahl der Provinzen dieses Volks, und diese wurden von den zwölf Ständen 2) gemeinschaft- lich gewählet. Diese zwölf Regenten erkannten ein besonderes Oberhaupt über sich, welchen, wie jene, nur die Wahl zur höchsten Würde erhoben hatte. Die Hetrurier waren so eifersüchtig über die Freyheit, und so große Feinde der Königlichen Macht, daß diese ihnen auch unter Völkern, die nur mit ihnen in Bündniß standen, verhaßt und unerträglich war. Daher waren sie höchst empfindlich über die Vejenter, welche unter sich eine Aenderung in der Regierung machten, und an statt der Häupter derselben, welche bisher bey diesen 3) alle Jahre gewechselt waren, sich einen König wähleten. Dieses geschah im vierhunderten Jahre der Stadt Rom. Die Hetrurier hatten noch zur Zeit des Marsischen Krieges ihre Freyheit nicht vergessen: denn 4) sie traten nebst andern Völkern in Italien wider
die
1)Dionys. Halic. Ant. Rom. L. 6. p. 384. l. 27.
2)Liv. L. 1. c. 7. conf. L. 7. c. 21.
3)Id. L. 5. c. 1.
4)Appian. Bel. Civ. L. 1. p. 179. l. 26. & 32.
I Theil. Drittes Capitel.
Erſtes Stuͤck. Von den Hetruriern.
In dem erſten Stuͤcke ſind drey Saͤtze begriffen: der erſte enthaͤlt eine Betrachtung uͤber die aͤußern Umſtaͤnde, und Urſachen von den Eigen- ſchaften der Hetruriſchen Kunſt; der zweyte handelt von der Abbildung ihrer Goͤtter und Helden; und im dritten Satze iſt eine Anzeige der vor- nehmſten Werke der Hetruriſchen Kunſt.
I. Die aͤußeren Umſtaͤnde der Kunſt bey den Hetruriern.
Der erſte Satz beruͤhret vorher die der Kunſt vortheilhaften Umſtaͤnde unter dieſem Volke, und ſuchet hernach eine wahrſcheinliche Urſache von der Beſchaffenheit ihrer Kunſt zu geben. Was die Umſtaͤnde betrifft, in A. Die Freyheit dieſes Volks, welche der Kunſt befoͤr- derlich war.welchen ſich die Kunſt unter den Hetruriern befunden, ſo iſt gewiß, da die Verfaſſung und Regierung in allen Laͤndern einen großen Einfluß in die- ſelbe gehabt hat, daß in der Freyheit, welche dieſes Volk unter ihren Koͤ- nigen genoß, die Kunſt, ſo wie ihre Kuͤnſtler, das Haupt erheben, und zu einem großen Wachsthume gelangen koͤnnen. Die Koͤnigliche Wuͤrde deutete bey ihnen keinen eigenmaͤchtigen Herrn, ſondern ein Haupt und ei- nen Heerfuͤhrer an, deren zwoͤlfe waren 1), nach der Anzahl der Provinzen dieſes Volks, und dieſe wurden von den zwoͤlf Staͤnden 2) gemeinſchaft- lich gewaͤhlet. Dieſe zwoͤlf Regenten erkannten ein beſonderes Oberhaupt uͤber ſich, welchen, wie jene, nur die Wahl zur hoͤchſten Wuͤrde erhoben hatte. Die Hetrurier waren ſo eiferſuͤchtig uͤber die Freyheit, und ſo große Feinde der Koͤniglichen Macht, daß dieſe ihnen auch unter Voͤlkern, die nur mit ihnen in Buͤndniß ſtanden, verhaßt und unertraͤglich war. Daher waren ſie hoͤchſt empfindlich uͤber die Vejenter, welche unter ſich eine Aenderung in der Regierung machten, und an ſtatt der Haͤupter derſelben, welche bisher bey dieſen 3) alle Jahre gewechſelt waren, ſich einen Koͤnig waͤhleten. Dieſes geſchah im vierhunderten Jahre der Stadt Rom. Die Hetrurier hatten noch zur Zeit des Marſiſchen Krieges ihre Freyheit nicht vergeſſen: denn 4) ſie traten nebſt andern Voͤlkern in Italien wider
die
1)Dionyſ. Halic. Ant. Rom. L. 6. p. 384. l. 27.
2)Liv. L. 1. c. 7. conf. L. 7. c. 21.
3)Id. L. 5. c. 1.
4)Appian. Bel. Civ. L. 1. p. 179. l. 26. & 32.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0132"n="82"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">I</hi> Theil. Drittes Capitel.</hi></fw><lb/><noteplace="left"><hirendition="#fr">Erſtes Stuͤck</hi>.<lb/>
Von den<lb/>
Hetruriern.</note><argument><p>In dem erſten Stuͤcke ſind drey Saͤtze begriffen: der erſte enthaͤlt<lb/>
eine Betrachtung uͤber die aͤußern Umſtaͤnde, und Urſachen von den Eigen-<lb/>ſchaften der Hetruriſchen Kunſt; der zweyte handelt von der Abbildung<lb/>
ihrer Goͤtter und Helden; und im dritten Satze iſt eine Anzeige der vor-<lb/>
nehmſten Werke der Hetruriſchen Kunſt.</p></argument><lb/><noteplace="left"><hirendition="#aq">I.</hi><lb/>
Die aͤußeren<lb/>
Umſtaͤnde der<lb/>
Kunſt bey den<lb/>
Hetruriern.</note><p>Der erſte Satz beruͤhret vorher die der Kunſt vortheilhaften Umſtaͤnde<lb/>
unter dieſem Volke, und ſuchet hernach eine wahrſcheinliche Urſache von<lb/>
der Beſchaffenheit ihrer Kunſt zu geben. Was die Umſtaͤnde betrifft, in<lb/><noteplace="left"><hirendition="#aq">A.</hi><lb/>
Die Freyheit<lb/>
dieſes Volks,<lb/>
welche der<lb/>
Kunſt befoͤr-<lb/>
derlich war.</note>welchen ſich die Kunſt unter den Hetruriern befunden, ſo iſt gewiß, da die<lb/>
Verfaſſung und Regierung in allen Laͤndern einen großen Einfluß in die-<lb/>ſelbe gehabt hat, daß in der Freyheit, welche dieſes Volk unter ihren Koͤ-<lb/>
nigen genoß, die Kunſt, ſo wie ihre Kuͤnſtler, das Haupt erheben, und<lb/>
zu einem großen Wachsthume gelangen koͤnnen. Die Koͤnigliche Wuͤrde<lb/>
deutete bey ihnen keinen eigenmaͤchtigen Herrn, ſondern ein Haupt und ei-<lb/>
nen Heerfuͤhrer an, deren zwoͤlfe waren <noteplace="foot"n="1)"><hirendition="#aq">Dionyſ. Halic. Ant. Rom. L. 6. p. 384. l.</hi> 27.</note>, nach der Anzahl der Provinzen<lb/>
dieſes Volks, und dieſe wurden von den zwoͤlf Staͤnden <noteplace="foot"n="2)"><hirendition="#aq">Liv. L. 1. c. 7. conf. L. 7. c.</hi> 21.</note> gemeinſchaft-<lb/>
lich gewaͤhlet. Dieſe zwoͤlf Regenten erkannten ein beſonderes Oberhaupt<lb/>
uͤber ſich, welchen, wie jene, nur die Wahl zur hoͤchſten Wuͤrde erhoben<lb/>
hatte. Die Hetrurier waren ſo eiferſuͤchtig uͤber die Freyheit, und ſo<lb/>
große Feinde der Koͤniglichen Macht, daß dieſe ihnen auch unter Voͤlkern,<lb/>
die nur mit ihnen in Buͤndniß ſtanden, verhaßt und unertraͤglich war.<lb/>
Daher waren ſie hoͤchſt empfindlich uͤber die Vejenter, welche unter ſich eine<lb/>
Aenderung in der Regierung machten, und an ſtatt der Haͤupter derſelben,<lb/>
welche bisher bey dieſen <noteplace="foot"n="3)"><hirendition="#aq">Id. L. 5. c.</hi> 1.</note> alle Jahre gewechſelt waren, ſich einen Koͤnig<lb/>
waͤhleten. Dieſes geſchah im vierhunderten Jahre der Stadt Rom.<lb/>
Die Hetrurier hatten noch zur Zeit des Marſiſchen Krieges ihre Freyheit<lb/>
nicht vergeſſen: denn <noteplace="foot"n="4)"><hirendition="#aq">Appian. Bel. Civ. L. 1. p. 179. l.</hi> 26. & 32.</note>ſie traten nebſt andern Voͤlkern in Italien wider<lb/><fwplace="bottom"type="catch">die</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[82/0132]
I Theil. Drittes Capitel.
In dem erſten Stuͤcke ſind drey Saͤtze begriffen: der erſte enthaͤlt
eine Betrachtung uͤber die aͤußern Umſtaͤnde, und Urſachen von den Eigen-
ſchaften der Hetruriſchen Kunſt; der zweyte handelt von der Abbildung
ihrer Goͤtter und Helden; und im dritten Satze iſt eine Anzeige der vor-
nehmſten Werke der Hetruriſchen Kunſt.
Der erſte Satz beruͤhret vorher die der Kunſt vortheilhaften Umſtaͤnde
unter dieſem Volke, und ſuchet hernach eine wahrſcheinliche Urſache von
der Beſchaffenheit ihrer Kunſt zu geben. Was die Umſtaͤnde betrifft, in
welchen ſich die Kunſt unter den Hetruriern befunden, ſo iſt gewiß, da die
Verfaſſung und Regierung in allen Laͤndern einen großen Einfluß in die-
ſelbe gehabt hat, daß in der Freyheit, welche dieſes Volk unter ihren Koͤ-
nigen genoß, die Kunſt, ſo wie ihre Kuͤnſtler, das Haupt erheben, und
zu einem großen Wachsthume gelangen koͤnnen. Die Koͤnigliche Wuͤrde
deutete bey ihnen keinen eigenmaͤchtigen Herrn, ſondern ein Haupt und ei-
nen Heerfuͤhrer an, deren zwoͤlfe waren 1), nach der Anzahl der Provinzen
dieſes Volks, und dieſe wurden von den zwoͤlf Staͤnden 2) gemeinſchaft-
lich gewaͤhlet. Dieſe zwoͤlf Regenten erkannten ein beſonderes Oberhaupt
uͤber ſich, welchen, wie jene, nur die Wahl zur hoͤchſten Wuͤrde erhoben
hatte. Die Hetrurier waren ſo eiferſuͤchtig uͤber die Freyheit, und ſo
große Feinde der Koͤniglichen Macht, daß dieſe ihnen auch unter Voͤlkern,
die nur mit ihnen in Buͤndniß ſtanden, verhaßt und unertraͤglich war.
Daher waren ſie hoͤchſt empfindlich uͤber die Vejenter, welche unter ſich eine
Aenderung in der Regierung machten, und an ſtatt der Haͤupter derſelben,
welche bisher bey dieſen 3) alle Jahre gewechſelt waren, ſich einen Koͤnig
waͤhleten. Dieſes geſchah im vierhunderten Jahre der Stadt Rom.
Die Hetrurier hatten noch zur Zeit des Marſiſchen Krieges ihre Freyheit
nicht vergeſſen: denn 4) ſie traten nebſt andern Voͤlkern in Italien wider
die
A.
Die Freyheit
dieſes Volks,
welche der
Kunſt befoͤr-
derlich war.
1) Dionyſ. Halic. Ant. Rom. L. 6. p. 384. l. 27.
2) Liv. L. 1. c. 7. conf. L. 7. c. 21.
3) Id. L. 5. c. 1.
4) Appian. Bel. Civ. L. 1. p. 179. l. 26. & 32.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/132>, abgerufen am 06.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.