Wildermuth, Ottilie: Streit in der Liebe und Liebe im Streit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 175–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Tuchkleider, warmen Halstücher und seidenen Schürzen, die er der Liesbeth brachte oder schickte. Sie machte ihm darüber Vorwürfe: So kommst du zu nichts und bleibst der alte Lump. -- Wenn ich nichts mehr hab', so verhältst du mich, sagte erlachend. -- So? meinst? -- Und doch zog sie mit besondrem Stolz die Sachen an und hatte nicht Ruhe, bis man sie darüber berufen und den Staat bewundert hatte. So ging das lange Jahre fort. Georg hatte keinen Grund zur Eifersucht, Liesbeth bekümmerte sich um keinen Mann, die ihrige aber blieb rastlos wach. Der Fall kam freilich auch vor, daß Georg dienstlos war, und Ersparnisse konnte er jetzt noch so wenig machen, als vor Zeiten. Dann nahm er seine Zuflucht zu Liesbeth, als ob sich das von selbst verstände, und sie wohnten zusammen, arbeiteten zusammen und stritten sich zusammen, wie in den alten Tagen, bis Georg wieder eine Stelle fand. Einmal, nach einer längeren Abwesenheit Georges, in tiefer Nacht hörte Liesbeth vor ihrer Thür das klägliche Winseln eines Hundes, sie sprang aus dem Bette und öffnete: es war der Sultan. Sie dachte an Geschichten, wo Hunde Hülfe zu Todten oder Verwundeten geholt, und zündete die Laterne an, um zu sehen, ob der Hund nicht auf eine Fährte leite, aber er blieb da und hatte, wie's schien, keinen Willen, als ins Haus zu kommen; er legte sich oben ruhig vor Liesbeth's Bett nieder, während er sonst in lustigem Aufhüpfen Tuchkleider, warmen Halstücher und seidenen Schürzen, die er der Liesbeth brachte oder schickte. Sie machte ihm darüber Vorwürfe: So kommst du zu nichts und bleibst der alte Lump. — Wenn ich nichts mehr hab', so verhältst du mich, sagte erlachend. — So? meinst? — Und doch zog sie mit besondrem Stolz die Sachen an und hatte nicht Ruhe, bis man sie darüber berufen und den Staat bewundert hatte. So ging das lange Jahre fort. Georg hatte keinen Grund zur Eifersucht, Liesbeth bekümmerte sich um keinen Mann, die ihrige aber blieb rastlos wach. Der Fall kam freilich auch vor, daß Georg dienstlos war, und Ersparnisse konnte er jetzt noch so wenig machen, als vor Zeiten. Dann nahm er seine Zuflucht zu Liesbeth, als ob sich das von selbst verstände, und sie wohnten zusammen, arbeiteten zusammen und stritten sich zusammen, wie in den alten Tagen, bis Georg wieder eine Stelle fand. Einmal, nach einer längeren Abwesenheit Georges, in tiefer Nacht hörte Liesbeth vor ihrer Thür das klägliche Winseln eines Hundes, sie sprang aus dem Bette und öffnete: es war der Sultan. Sie dachte an Geschichten, wo Hunde Hülfe zu Todten oder Verwundeten geholt, und zündete die Laterne an, um zu sehen, ob der Hund nicht auf eine Fährte leite, aber er blieb da und hatte, wie's schien, keinen Willen, als ins Haus zu kommen; er legte sich oben ruhig vor Liesbeth's Bett nieder, während er sonst in lustigem Aufhüpfen <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="7"> <p><pb facs="#f0040"/> Tuchkleider, warmen Halstücher und seidenen Schürzen, die er der Liesbeth brachte oder schickte. Sie machte ihm darüber Vorwürfe: So kommst du zu nichts und bleibst der alte Lump. — Wenn ich nichts mehr hab', so verhältst du mich, sagte erlachend. — So? meinst? — Und doch zog sie mit besondrem Stolz die Sachen an und hatte nicht Ruhe, bis man sie darüber berufen und den Staat bewundert hatte.</p><lb/> <p>So ging das lange Jahre fort. Georg hatte keinen Grund zur Eifersucht, Liesbeth bekümmerte sich um keinen Mann, die ihrige aber blieb rastlos wach. Der Fall kam freilich auch vor, daß Georg dienstlos war, und Ersparnisse konnte er jetzt noch so wenig machen, als vor Zeiten. Dann nahm er seine Zuflucht zu Liesbeth, als ob sich das von selbst verstände, und sie wohnten zusammen, arbeiteten zusammen und stritten sich zusammen, wie in den alten Tagen, bis Georg wieder eine Stelle fand.</p><lb/> <p>Einmal, nach einer längeren Abwesenheit Georges, in tiefer Nacht hörte Liesbeth vor ihrer Thür das klägliche Winseln eines Hundes, sie sprang aus dem Bette und öffnete: es war der Sultan. Sie dachte an Geschichten, wo Hunde Hülfe zu Todten oder Verwundeten geholt, und zündete die Laterne an, um zu sehen, ob der Hund nicht auf eine Fährte leite, aber er blieb da und hatte, wie's schien, keinen Willen, als ins Haus zu kommen; er legte sich oben ruhig vor Liesbeth's Bett nieder, während er sonst in lustigem Aufhüpfen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
Tuchkleider, warmen Halstücher und seidenen Schürzen, die er der Liesbeth brachte oder schickte. Sie machte ihm darüber Vorwürfe: So kommst du zu nichts und bleibst der alte Lump. — Wenn ich nichts mehr hab', so verhältst du mich, sagte erlachend. — So? meinst? — Und doch zog sie mit besondrem Stolz die Sachen an und hatte nicht Ruhe, bis man sie darüber berufen und den Staat bewundert hatte.
So ging das lange Jahre fort. Georg hatte keinen Grund zur Eifersucht, Liesbeth bekümmerte sich um keinen Mann, die ihrige aber blieb rastlos wach. Der Fall kam freilich auch vor, daß Georg dienstlos war, und Ersparnisse konnte er jetzt noch so wenig machen, als vor Zeiten. Dann nahm er seine Zuflucht zu Liesbeth, als ob sich das von selbst verstände, und sie wohnten zusammen, arbeiteten zusammen und stritten sich zusammen, wie in den alten Tagen, bis Georg wieder eine Stelle fand.
Einmal, nach einer längeren Abwesenheit Georges, in tiefer Nacht hörte Liesbeth vor ihrer Thür das klägliche Winseln eines Hundes, sie sprang aus dem Bette und öffnete: es war der Sultan. Sie dachte an Geschichten, wo Hunde Hülfe zu Todten oder Verwundeten geholt, und zündete die Laterne an, um zu sehen, ob der Hund nicht auf eine Fährte leite, aber er blieb da und hatte, wie's schien, keinen Willen, als ins Haus zu kommen; er legte sich oben ruhig vor Liesbeth's Bett nieder, während er sonst in lustigem Aufhüpfen
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Zitationshilfe: | Wildermuth, Ottilie: Streit in der Liebe und Liebe im Streit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 175–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wildermuth_streit_1910/40>, abgerufen am 28.07.2024. |