Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Wir würden der strengen Wahrheit untreu sein, wenn wir sagten, das Leonie's Anblick das Herz des jungen Mannes schon lang in stürmische Liebesflammen versetzt, die nun, da er sie wieder gesehen und sogar gesprochen, jeden Damm zu durchbrechen drohten. Leonie's hohe Schönheit hatte allerdings schon im ersten Augenblicke ihren Eindruck auf ihn nicht verfehlt; sie gefiel ihm sehr, unsäglich gefiel sie ihm; sie war so ganz der Typus des Weibes, wie er es sich in seiner Vollendung dachte, dieses durch Liebe herrschenden, durch seine Schwäche allmächtigen Geschöpfes. Aber der Luxus, der die reiche Erbin umgab, hatte ihm ebenfalls im ersten Augenblicke gezeigt, daß diese Blume nicht für den mittellosen Ausländer gewachsen war. Sie war ihm erschienen und wieder verschwunden, wie ein Bild aus einem lichten Traum, das uns gefällt, das aber in keiner Beziehung zu unserem eigentlichen Leben steht, und andere Verhältnisse hatten den flüchtigen Eindruck schnell verwischt. Auch lag damals der Tod seiner Mutter noch frisch auf seiner Seele und dampfte jede heftige Wallung des Geblütes mit einem Tränenschleier ab. Er hatte, wie Marie es Leonie erzählte, diese Mutter unaussprechlich geliebt, mit all der chevaleresken Hingebung, die uns ans den nationalen Dichterwerken seines Volkes so oft, den Banden der Familie gegenüber, und so lebendig entgegentritt. Sie war bis jetzt die einzige Dame seines Herzens gewesen, und sie hatte sich diese Herrschaft durch die Aufopferung ihres ganzen Lebens, das in Liebe zu ihrem einzigen Sohne aufging, theuer genug erkauft. So weit er zurückdenken konnte, hatte er sie neben sich gesehen, still und duldend, und die einzige Veränderung, deren er sich erinnerte, war, daß sie nach dem Tode seines Vaters die bunten Kleider der Welt gegen die schwarzen der Trauer vertauscht, die sie auch von da an nicht mehr abgelegt. Dieses Vaters aber erinnerte er sich kaum und gab sich auch, wir müssen es gestehen, Wir würden der strengen Wahrheit untreu sein, wenn wir sagten, das Leonie's Anblick das Herz des jungen Mannes schon lang in stürmische Liebesflammen versetzt, die nun, da er sie wieder gesehen und sogar gesprochen, jeden Damm zu durchbrechen drohten. Leonie's hohe Schönheit hatte allerdings schon im ersten Augenblicke ihren Eindruck auf ihn nicht verfehlt; sie gefiel ihm sehr, unsäglich gefiel sie ihm; sie war so ganz der Typus des Weibes, wie er es sich in seiner Vollendung dachte, dieses durch Liebe herrschenden, durch seine Schwäche allmächtigen Geschöpfes. Aber der Luxus, der die reiche Erbin umgab, hatte ihm ebenfalls im ersten Augenblicke gezeigt, daß diese Blume nicht für den mittellosen Ausländer gewachsen war. Sie war ihm erschienen und wieder verschwunden, wie ein Bild aus einem lichten Traum, das uns gefällt, das aber in keiner Beziehung zu unserem eigentlichen Leben steht, und andere Verhältnisse hatten den flüchtigen Eindruck schnell verwischt. Auch lag damals der Tod seiner Mutter noch frisch auf seiner Seele und dampfte jede heftige Wallung des Geblütes mit einem Tränenschleier ab. Er hatte, wie Marie es Leonie erzählte, diese Mutter unaussprechlich geliebt, mit all der chevaleresken Hingebung, die uns ans den nationalen Dichterwerken seines Volkes so oft, den Banden der Familie gegenüber, und so lebendig entgegentritt. Sie war bis jetzt die einzige Dame seines Herzens gewesen, und sie hatte sich diese Herrschaft durch die Aufopferung ihres ganzen Lebens, das in Liebe zu ihrem einzigen Sohne aufging, theuer genug erkauft. So weit er zurückdenken konnte, hatte er sie neben sich gesehen, still und duldend, und die einzige Veränderung, deren er sich erinnerte, war, daß sie nach dem Tode seines Vaters die bunten Kleider der Welt gegen die schwarzen der Trauer vertauscht, die sie auch von da an nicht mehr abgelegt. Dieses Vaters aber erinnerte er sich kaum und gab sich auch, wir müssen es gestehen, <TEI> <text> <body> <div n="3"> <pb facs="#f0067"/> <p>Wir würden der strengen Wahrheit untreu sein, wenn wir sagten, das Leonie's Anblick das Herz des jungen Mannes schon lang in stürmische Liebesflammen versetzt, die nun, da er sie wieder gesehen und sogar gesprochen, jeden Damm zu durchbrechen drohten. Leonie's hohe Schönheit hatte allerdings schon im ersten Augenblicke ihren Eindruck auf ihn nicht verfehlt; sie gefiel ihm sehr, unsäglich gefiel sie ihm; sie war so ganz der Typus des Weibes, wie er es sich in seiner Vollendung dachte, dieses durch Liebe herrschenden, durch seine Schwäche allmächtigen Geschöpfes. Aber der Luxus, der die reiche Erbin umgab, hatte ihm ebenfalls im ersten Augenblicke gezeigt, daß diese Blume nicht für den mittellosen Ausländer gewachsen war. Sie war ihm erschienen und wieder verschwunden, wie ein Bild aus einem lichten Traum, das uns gefällt, das aber in keiner Beziehung zu unserem eigentlichen Leben steht, und andere Verhältnisse hatten den flüchtigen Eindruck schnell verwischt. Auch lag damals der Tod seiner Mutter noch frisch auf seiner Seele und dampfte jede heftige Wallung des Geblütes mit einem Tränenschleier ab. Er hatte, wie Marie es Leonie erzählte, diese Mutter unaussprechlich geliebt, mit all der chevaleresken Hingebung, die uns ans den nationalen Dichterwerken seines Volkes so oft, den Banden der Familie gegenüber, und so lebendig entgegentritt. Sie war bis jetzt die einzige Dame seines Herzens gewesen, und sie hatte sich diese Herrschaft durch die Aufopferung ihres ganzen Lebens, das in Liebe zu ihrem einzigen Sohne aufging, theuer genug erkauft.</p><lb/> <p>So weit er zurückdenken konnte, hatte er sie neben sich gesehen, still und duldend, und die einzige Veränderung, deren er sich erinnerte, war, daß sie nach dem Tode seines Vaters die bunten Kleider der Welt gegen die schwarzen der Trauer vertauscht, die sie auch von da an nicht mehr abgelegt. Dieses Vaters aber erinnerte er sich kaum und gab sich auch, wir müssen es gestehen,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0067]
Wir würden der strengen Wahrheit untreu sein, wenn wir sagten, das Leonie's Anblick das Herz des jungen Mannes schon lang in stürmische Liebesflammen versetzt, die nun, da er sie wieder gesehen und sogar gesprochen, jeden Damm zu durchbrechen drohten. Leonie's hohe Schönheit hatte allerdings schon im ersten Augenblicke ihren Eindruck auf ihn nicht verfehlt; sie gefiel ihm sehr, unsäglich gefiel sie ihm; sie war so ganz der Typus des Weibes, wie er es sich in seiner Vollendung dachte, dieses durch Liebe herrschenden, durch seine Schwäche allmächtigen Geschöpfes. Aber der Luxus, der die reiche Erbin umgab, hatte ihm ebenfalls im ersten Augenblicke gezeigt, daß diese Blume nicht für den mittellosen Ausländer gewachsen war. Sie war ihm erschienen und wieder verschwunden, wie ein Bild aus einem lichten Traum, das uns gefällt, das aber in keiner Beziehung zu unserem eigentlichen Leben steht, und andere Verhältnisse hatten den flüchtigen Eindruck schnell verwischt. Auch lag damals der Tod seiner Mutter noch frisch auf seiner Seele und dampfte jede heftige Wallung des Geblütes mit einem Tränenschleier ab. Er hatte, wie Marie es Leonie erzählte, diese Mutter unaussprechlich geliebt, mit all der chevaleresken Hingebung, die uns ans den nationalen Dichterwerken seines Volkes so oft, den Banden der Familie gegenüber, und so lebendig entgegentritt. Sie war bis jetzt die einzige Dame seines Herzens gewesen, und sie hatte sich diese Herrschaft durch die Aufopferung ihres ganzen Lebens, das in Liebe zu ihrem einzigen Sohne aufging, theuer genug erkauft.
So weit er zurückdenken konnte, hatte er sie neben sich gesehen, still und duldend, und die einzige Veränderung, deren er sich erinnerte, war, daß sie nach dem Tode seines Vaters die bunten Kleider der Welt gegen die schwarzen der Trauer vertauscht, die sie auch von da an nicht mehr abgelegt. Dieses Vaters aber erinnerte er sich kaum und gab sich auch, wir müssen es gestehen,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T13:30:48Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T13:30:48Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |