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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Tanze auszuruhen, neben eine sogenannte Freundin gesetzt. Wir sagen "sogenannt", denn Leonie war weit über das Bedürfnis nach einer Freundin hinaus.

Von allen süßen Kleinigkeiten, die ein Mädchenherz ausfüllen, und die Eine der Anderen als wichtige Geheimnisse anzuvertrauen pflegt, hatte sie nie eine Ahnung gehabt, und hörte sie ja einmal davon, so war ein mitleidiges Lächeln ihre einzige Antwort daraus. Das reine Aufdämmern des Gefühles, das ahnungsvoll vor dem Geheimnis des Lebens stehend, nur nach einer Schwester zu begehren glaubt, um in Liebe zu dieser aufzugehen, war Leonie fremd geblieben, wie so manche andere Blüte der Jungfräulichkeit. Und wie sie keines Vertrauens bedurfte, so flößte sie auch keines ein, und sie stand einsam unter den Mädchen ihres Alters, deren Kreis, wenn sie sich ihm nahte, scheu vor ihr auseinander wich. Aber Marie von Lobenstein war die Tochter eines Mannes, der mit ihrem Vater zugleich in Frankreich gewesen war. Von ihm hatte Leonie gehört, daß sie die strahlenden Augen ihrer Mutter geerbt, und mehr von dieser Mutter zu erfahren, war der Grund, warum sie sich näher an seine Tochter schloss. Aber sei es, das der Baron geheime Instructionen von Leonie's Vater erhalten, sei es, das er ihr vorsichtiges Ausforschen nicht verstand, der verpönte Name kam nicht mehr aus seinem Munde. Das junge Mädchen hatte er indessen zu seinem besonderen Lieblinge gemacht. All ihre kleinen Liebenswürdigkeiten, Schmeicheleien (chatteries, wie die Franzosen sagen), die so sehr dem unwiderstehlich reizenden Getändel eines lieblichen Kindes gleichen, gewannen ihm ihr Herz im Siegesschritt. Das ist ein Wettermädel, pflegte er zu sagen; die konnte ein Regiment um den Finger drehen, und ihren Mann wird sie unter dem Pantoffel haben, das er nicht wissen wird, wie ihm geschieht.

Dieses Urtheil, das so gründlich zutraf, wie er es gar nicht dachte, störte ihn in seiner Vorliebe keines-

Tanze auszuruhen, neben eine sogenannte Freundin gesetzt. Wir sagen „sogenannt“, denn Leonie war weit über das Bedürfnis nach einer Freundin hinaus.

Von allen süßen Kleinigkeiten, die ein Mädchenherz ausfüllen, und die Eine der Anderen als wichtige Geheimnisse anzuvertrauen pflegt, hatte sie nie eine Ahnung gehabt, und hörte sie ja einmal davon, so war ein mitleidiges Lächeln ihre einzige Antwort daraus. Das reine Aufdämmern des Gefühles, das ahnungsvoll vor dem Geheimnis des Lebens stehend, nur nach einer Schwester zu begehren glaubt, um in Liebe zu dieser aufzugehen, war Leonie fremd geblieben, wie so manche andere Blüte der Jungfräulichkeit. Und wie sie keines Vertrauens bedurfte, so flößte sie auch keines ein, und sie stand einsam unter den Mädchen ihres Alters, deren Kreis, wenn sie sich ihm nahte, scheu vor ihr auseinander wich. Aber Marie von Lobenstein war die Tochter eines Mannes, der mit ihrem Vater zugleich in Frankreich gewesen war. Von ihm hatte Leonie gehört, daß sie die strahlenden Augen ihrer Mutter geerbt, und mehr von dieser Mutter zu erfahren, war der Grund, warum sie sich näher an seine Tochter schloss. Aber sei es, das der Baron geheime Instructionen von Leonie's Vater erhalten, sei es, das er ihr vorsichtiges Ausforschen nicht verstand, der verpönte Name kam nicht mehr aus seinem Munde. Das junge Mädchen hatte er indessen zu seinem besonderen Lieblinge gemacht. All ihre kleinen Liebenswürdigkeiten, Schmeicheleien (chatteries, wie die Franzosen sagen), die so sehr dem unwiderstehlich reizenden Getändel eines lieblichen Kindes gleichen, gewannen ihm ihr Herz im Siegesschritt. Das ist ein Wettermädel, pflegte er zu sagen; die konnte ein Regiment um den Finger drehen, und ihren Mann wird sie unter dem Pantoffel haben, das er nicht wissen wird, wie ihm geschieht.

Dieses Urtheil, das so gründlich zutraf, wie er es gar nicht dachte, störte ihn in seiner Vorliebe keines-

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[0053] Tanze auszuruhen, neben eine sogenannte Freundin gesetzt. Wir sagen „sogenannt“, denn Leonie war weit über das Bedürfnis nach einer Freundin hinaus. Von allen süßen Kleinigkeiten, die ein Mädchenherz ausfüllen, und die Eine der Anderen als wichtige Geheimnisse anzuvertrauen pflegt, hatte sie nie eine Ahnung gehabt, und hörte sie ja einmal davon, so war ein mitleidiges Lächeln ihre einzige Antwort daraus. Das reine Aufdämmern des Gefühles, das ahnungsvoll vor dem Geheimnis des Lebens stehend, nur nach einer Schwester zu begehren glaubt, um in Liebe zu dieser aufzugehen, war Leonie fremd geblieben, wie so manche andere Blüte der Jungfräulichkeit. Und wie sie keines Vertrauens bedurfte, so flößte sie auch keines ein, und sie stand einsam unter den Mädchen ihres Alters, deren Kreis, wenn sie sich ihm nahte, scheu vor ihr auseinander wich. Aber Marie von Lobenstein war die Tochter eines Mannes, der mit ihrem Vater zugleich in Frankreich gewesen war. Von ihm hatte Leonie gehört, daß sie die strahlenden Augen ihrer Mutter geerbt, und mehr von dieser Mutter zu erfahren, war der Grund, warum sie sich näher an seine Tochter schloss. Aber sei es, das der Baron geheime Instructionen von Leonie's Vater erhalten, sei es, das er ihr vorsichtiges Ausforschen nicht verstand, der verpönte Name kam nicht mehr aus seinem Munde. Das junge Mädchen hatte er indessen zu seinem besonderen Lieblinge gemacht. All ihre kleinen Liebenswürdigkeiten, Schmeicheleien (chatteries, wie die Franzosen sagen), die so sehr dem unwiderstehlich reizenden Getändel eines lieblichen Kindes gleichen, gewannen ihm ihr Herz im Siegesschritt. Das ist ein Wettermädel, pflegte er zu sagen; die konnte ein Regiment um den Finger drehen, und ihren Mann wird sie unter dem Pantoffel haben, das er nicht wissen wird, wie ihm geschieht. Dieses Urtheil, das so gründlich zutraf, wie er es gar nicht dachte, störte ihn in seiner Vorliebe keines-

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/53>, abgerufen am 23.11.2024.