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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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dem Thäter übel bekommen war; aber dann lag es vielleicht daran, weil er die rechte Zeit nicht abgewartet.

Wann ist die rechte Zeit, das Rechte zu thun? fuhr sie fort.

Immer -- sagte die Pfarrerin. Das Mädchen schüttelte den Kopf. Wenn wir aber Verdruss davon haben, das Rechte zu thun?

Man muss es dennoch thun.

Aber warum?

Weil Gott es befohlen hat.

Aber warum hat er es befohlen?

Weil es so recht ist.

Aber warum ist es recht? fuhr Leonie, die nicht aus dem Kreise heraus kam, zu fragen fort.

Weil Gott es befohlen hat, ist es recht.

Aber er hätte auch das Gegentheil befehlen können, war des Mädchens kecker Schluss.

Kind, rede nicht so gottlos, sagte die fromme Frau, die an dem Ende ihrer theologischen Weisheit angelangt war und in ihre früheren Gedanken versank. Aber in Leonie's regem Geist blieb die ungelöste Frage und beschäftigte sie, bis sie an dem Orte ihrer Bestimmung aus dem Wagen stieg.

Hier indessen schwanden die letzten Eindrücke sehr bald vor den Überraschungen, die sie erwarteten, und die für Leonie den vollen Reiz der Neuheit besaßen. Die Frau Pfarrerin hatte Auftrag bekommen, dem kleinen Fräulein eine standesmäßige Toilette zu verschaffen, und die etwas rohen Stoffe, die bis jetzt ihre Garderobe ausgemacht, wurden durch die feinen und glänzenden Gewebe ersetzt, mit welchen der Luxus seine Auserkorenen bedeckt. Niedliche kleine Schuhe umschlossen die zierlichen Füschen, durch welche zwar das herumsteigen in Feld und Wald, wie es ihnen bis jetzt eigen gewesen, so ziemlich zur Unmöglichkeit gemacht wurde, die aber Leonie's eitles Mädchenherz schnell genug

dem Thäter übel bekommen war; aber dann lag es vielleicht daran, weil er die rechte Zeit nicht abgewartet.

Wann ist die rechte Zeit, das Rechte zu thun? fuhr sie fort.

Immer — sagte die Pfarrerin. Das Mädchen schüttelte den Kopf. Wenn wir aber Verdruss davon haben, das Rechte zu thun?

Man muss es dennoch thun.

Aber warum?

Weil Gott es befohlen hat.

Aber warum hat er es befohlen?

Weil es so recht ist.

Aber warum ist es recht? fuhr Leonie, die nicht aus dem Kreise heraus kam, zu fragen fort.

Weil Gott es befohlen hat, ist es recht.

Aber er hätte auch das Gegentheil befehlen können, war des Mädchens kecker Schluss.

Kind, rede nicht so gottlos, sagte die fromme Frau, die an dem Ende ihrer theologischen Weisheit angelangt war und in ihre früheren Gedanken versank. Aber in Leonie's regem Geist blieb die ungelöste Frage und beschäftigte sie, bis sie an dem Orte ihrer Bestimmung aus dem Wagen stieg.

Hier indessen schwanden die letzten Eindrücke sehr bald vor den Überraschungen, die sie erwarteten, und die für Leonie den vollen Reiz der Neuheit besaßen. Die Frau Pfarrerin hatte Auftrag bekommen, dem kleinen Fräulein eine standesmäßige Toilette zu verschaffen, und die etwas rohen Stoffe, die bis jetzt ihre Garderobe ausgemacht, wurden durch die feinen und glänzenden Gewebe ersetzt, mit welchen der Luxus seine Auserkorenen bedeckt. Niedliche kleine Schuhe umschlossen die zierlichen Füschen, durch welche zwar das herumsteigen in Feld und Wald, wie es ihnen bis jetzt eigen gewesen, so ziemlich zur Unmöglichkeit gemacht wurde, die aber Leonie's eitles Mädchenherz schnell genug

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/26>, abgerufen am 22.11.2024.