Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Der Graf war an den Tisch zurückgetreten und hatte die Hand auf das Kästchen gelegt: Haben Sie die Güte sich zu setzen, Herr Marquis, sagte er und deutete auf einen Stuhl. Der junge Mann ließ sich nieder, auch der Graf setzte sich. Sie werden sich erinnern, fuhr er fort, daß ich Ihnen versprach, wenn gewisse Umstände in Ihrem Leben eintreten sollten, und Sie wollten dann um einen Rath zu mir kommen, Ihnen eine Geschichte zu erzählen, in die ich einst auf eine traurige Weise verwickelt war. Diese Umstände sind eingetreten, aber Sie sind nicht zu mir gekommen, Herr Marquis, und darum sehen Sie mich denn hier. Louis sah vor sich nieder und erröthete in peinlichster Verlegenheit. Ich weiß nicht -- stotterte er, aber er schwieg, denn er wußte nur zu gut. Mit einem fast mitleidigen Lächeln sah der Graf ihn an. Wenn Sie erlauben, werde ich nun mein Versprechen erfüllen, sagte er dann. Louis verneigte sich stumm. Leonie ließ die Hände von dem bleichen Gesicht herabsinken und lehnte sich hinter dem Rücken ihres Vaters in gespanntem Horchen vor. Die Mittheilung, die ich Ihnen zu machen habe, begann der Graf, ist von solcher Wichtigkeit, daß ich sie nicht leichtsinnig preisgeben konnte, auf eine bloße Vermuthung hin. Das sie Ihre eigene Person sehr nahe berührt, geht daraus hervor, weil sie den Tod Ihres Vaters betrifft, und wie sehr ich daran betheiligt war, können Sie daraus entnehmen, daß ich es gewesen bin, der ihn erschoß. Leonie schloß schaudernd die Augen. Louis fuhr in die Hohe. Mein Herr! rief er mit bebender Stimme -- todtenbleich, aber nicht vor Angst, denn er machte mit geballten Händen einen Schritt auf den Grafen zu. Mit einer einfachen Handbewegung der Abwehr Der Graf war an den Tisch zurückgetreten und hatte die Hand auf das Kästchen gelegt: Haben Sie die Güte sich zu setzen, Herr Marquis, sagte er und deutete auf einen Stuhl. Der junge Mann ließ sich nieder, auch der Graf setzte sich. Sie werden sich erinnern, fuhr er fort, daß ich Ihnen versprach, wenn gewisse Umstände in Ihrem Leben eintreten sollten, und Sie wollten dann um einen Rath zu mir kommen, Ihnen eine Geschichte zu erzählen, in die ich einst auf eine traurige Weise verwickelt war. Diese Umstände sind eingetreten, aber Sie sind nicht zu mir gekommen, Herr Marquis, und darum sehen Sie mich denn hier. Louis sah vor sich nieder und erröthete in peinlichster Verlegenheit. Ich weiß nicht — stotterte er, aber er schwieg, denn er wußte nur zu gut. Mit einem fast mitleidigen Lächeln sah der Graf ihn an. Wenn Sie erlauben, werde ich nun mein Versprechen erfüllen, sagte er dann. Louis verneigte sich stumm. Leonie ließ die Hände von dem bleichen Gesicht herabsinken und lehnte sich hinter dem Rücken ihres Vaters in gespanntem Horchen vor. Die Mittheilung, die ich Ihnen zu machen habe, begann der Graf, ist von solcher Wichtigkeit, daß ich sie nicht leichtsinnig preisgeben konnte, auf eine bloße Vermuthung hin. Das sie Ihre eigene Person sehr nahe berührt, geht daraus hervor, weil sie den Tod Ihres Vaters betrifft, und wie sehr ich daran betheiligt war, können Sie daraus entnehmen, daß ich es gewesen bin, der ihn erschoß. Leonie schloß schaudernd die Augen. Louis fuhr in die Hohe. Mein Herr! rief er mit bebender Stimme — todtenbleich, aber nicht vor Angst, denn er machte mit geballten Händen einen Schritt auf den Grafen zu. 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Der Graf war an den Tisch zurückgetreten und hatte die Hand auf das Kästchen gelegt: Haben Sie die Güte sich zu setzen, Herr Marquis, sagte er und deutete auf einen Stuhl.
Der junge Mann ließ sich nieder, auch der Graf setzte sich.
Sie werden sich erinnern, fuhr er fort, daß ich Ihnen versprach, wenn gewisse Umstände in Ihrem Leben eintreten sollten, und Sie wollten dann um einen Rath zu mir kommen, Ihnen eine Geschichte zu erzählen, in die ich einst auf eine traurige Weise verwickelt war. Diese Umstände sind eingetreten, aber Sie sind nicht zu mir gekommen, Herr Marquis, und darum sehen Sie mich denn hier.
Louis sah vor sich nieder und erröthete in peinlichster Verlegenheit. Ich weiß nicht — stotterte er, aber er schwieg, denn er wußte nur zu gut.
Mit einem fast mitleidigen Lächeln sah der Graf ihn an. Wenn Sie erlauben, werde ich nun mein Versprechen erfüllen, sagte er dann.
Louis verneigte sich stumm. Leonie ließ die Hände von dem bleichen Gesicht herabsinken und lehnte sich hinter dem Rücken ihres Vaters in gespanntem Horchen vor.
Die Mittheilung, die ich Ihnen zu machen habe, begann der Graf, ist von solcher Wichtigkeit, daß ich sie nicht leichtsinnig preisgeben konnte, auf eine bloße Vermuthung hin. Das sie Ihre eigene Person sehr nahe berührt, geht daraus hervor, weil sie den Tod Ihres Vaters betrifft, und wie sehr ich daran betheiligt war, können Sie daraus entnehmen, daß ich es gewesen bin, der ihn erschoß.
Leonie schloß schaudernd die Augen.
Louis fuhr in die Hohe. Mein Herr! rief er mit bebender Stimme — todtenbleich, aber nicht vor Angst, denn er machte mit geballten Händen einen Schritt auf den Grafen zu.
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Zitationshilfe: | Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/194>, abgerufen am 16.07.2024. |