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Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Im Schlosse angekommen, lief Otto allein dem zurückkehrenden Vater entgegen. Wo ist Leonie? sagte dieser, sich nach ihr umsehend, und jetzt erst wurde das kleine Mädchen vermisst. Man rief und suchte, und die ganze Dienerschaft gerieth in Aufregung. Der Graf runzelte die Stirne und ging mit verschränkten Armen ungeduldig im Hofe auf und ab. Das Fräulein ist gern im Pfarrhause, vielleicht behielt die Pfarrerin sie über Nacht, sagte der Verwalter zu ihm. Man soll hingehen und sie zurückbringen, wenn sie dort ist, befahl der Graf. Da kam der Pfarrer selbst daher, um seinen Gutsherrn bei der Rückkehr zu begrüßen. Das Kind sei nicht bei ihm, versicherte er. Alle sahen sich bestürzt an.

Sie streift gerne herum, meinte der Pfarrer besorgt, sie hat sich wohl gar verirrt.

So müssen wir sie suchen! rief der Graf und schritt selbst nach dem Stalle, aus welchem schon sein Pferd vorgeführt ward. Alles lief hin und her, Otto wollte mit, und der Pfarrer hielt ihn nur mit Mühe zurück. In dieser Unruhe trat plötzlich Leonie, erhitzt und athemlos, unter das Thor des Hofes. Sie erblaßte, als sie in dem Gewühle ihren Vater hoch zu Pferde sah. Sie hatte gehofft, vor ihm nach Hause zu kommen, aber hat der Eile und der Dunkelheit einen Pfad mit dem andern verwechselt. Der Graf sprang vom Pferde und trat zu ihr: Wo warst du? sagte er, seine Hand fest auf ihre Schultern legend.

Sie sah mit den unergründlichen Augen zu ihm auf: Ich war spazieren, antwortete sie mit zitternder Stimme, die jedoch fester wurde in dem Maße, als sie ihre Fassung wieder gewann; ich war spazieren im Felde und verlor den rechten Weg.

In des Grafen Brust stieg in diesem Augenblicke eine Wallung gegen das Kind an, als könne er es zerdrücken; er fühlte, das seine Hand schwerer wurde auf ihrer Schulter, und er zog sie unwillkürlich zurück.

Im Schlosse angekommen, lief Otto allein dem zurückkehrenden Vater entgegen. Wo ist Leonie? sagte dieser, sich nach ihr umsehend, und jetzt erst wurde das kleine Mädchen vermisst. Man rief und suchte, und die ganze Dienerschaft gerieth in Aufregung. Der Graf runzelte die Stirne und ging mit verschränkten Armen ungeduldig im Hofe auf und ab. Das Fräulein ist gern im Pfarrhause, vielleicht behielt die Pfarrerin sie über Nacht, sagte der Verwalter zu ihm. Man soll hingehen und sie zurückbringen, wenn sie dort ist, befahl der Graf. Da kam der Pfarrer selbst daher, um seinen Gutsherrn bei der Rückkehr zu begrüßen. Das Kind sei nicht bei ihm, versicherte er. Alle sahen sich bestürzt an.

Sie streift gerne herum, meinte der Pfarrer besorgt, sie hat sich wohl gar verirrt.

So müssen wir sie suchen! rief der Graf und schritt selbst nach dem Stalle, aus welchem schon sein Pferd vorgeführt ward. Alles lief hin und her, Otto wollte mit, und der Pfarrer hielt ihn nur mit Mühe zurück. In dieser Unruhe trat plötzlich Leonie, erhitzt und athemlos, unter das Thor des Hofes. Sie erblaßte, als sie in dem Gewühle ihren Vater hoch zu Pferde sah. Sie hatte gehofft, vor ihm nach Hause zu kommen, aber hat der Eile und der Dunkelheit einen Pfad mit dem andern verwechselt. Der Graf sprang vom Pferde und trat zu ihr: Wo warst du? sagte er, seine Hand fest auf ihre Schultern legend.

Sie sah mit den unergründlichen Augen zu ihm auf: Ich war spazieren, antwortete sie mit zitternder Stimme, die jedoch fester wurde in dem Maße, als sie ihre Fassung wieder gewann; ich war spazieren im Felde und verlor den rechten Weg.

In des Grafen Brust stieg in diesem Augenblicke eine Wallung gegen das Kind an, als könne er es zerdrücken; er fühlte, das seine Hand schwerer wurde auf ihrer Schulter, und er zog sie unwillkürlich zurück.

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[0019] Im Schlosse angekommen, lief Otto allein dem zurückkehrenden Vater entgegen. Wo ist Leonie? sagte dieser, sich nach ihr umsehend, und jetzt erst wurde das kleine Mädchen vermisst. Man rief und suchte, und die ganze Dienerschaft gerieth in Aufregung. Der Graf runzelte die Stirne und ging mit verschränkten Armen ungeduldig im Hofe auf und ab. Das Fräulein ist gern im Pfarrhause, vielleicht behielt die Pfarrerin sie über Nacht, sagte der Verwalter zu ihm. Man soll hingehen und sie zurückbringen, wenn sie dort ist, befahl der Graf. Da kam der Pfarrer selbst daher, um seinen Gutsherrn bei der Rückkehr zu begrüßen. Das Kind sei nicht bei ihm, versicherte er. Alle sahen sich bestürzt an. Sie streift gerne herum, meinte der Pfarrer besorgt, sie hat sich wohl gar verirrt. So müssen wir sie suchen! rief der Graf und schritt selbst nach dem Stalle, aus welchem schon sein Pferd vorgeführt ward. Alles lief hin und her, Otto wollte mit, und der Pfarrer hielt ihn nur mit Mühe zurück. In dieser Unruhe trat plötzlich Leonie, erhitzt und athemlos, unter das Thor des Hofes. Sie erblaßte, als sie in dem Gewühle ihren Vater hoch zu Pferde sah. Sie hatte gehofft, vor ihm nach Hause zu kommen, aber hat der Eile und der Dunkelheit einen Pfad mit dem andern verwechselt. Der Graf sprang vom Pferde und trat zu ihr: Wo warst du? sagte er, seine Hand fest auf ihre Schultern legend. Sie sah mit den unergründlichen Augen zu ihm auf: Ich war spazieren, antwortete sie mit zitternder Stimme, die jedoch fester wurde in dem Maße, als sie ihre Fassung wieder gewann; ich war spazieren im Felde und verlor den rechten Weg. In des Grafen Brust stieg in diesem Augenblicke eine Wallung gegen das Kind an, als könne er es zerdrücken; er fühlte, das seine Hand schwerer wurde auf ihrer Schulter, und er zog sie unwillkürlich zurück.

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:30:48Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:30:48Z)

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Zitationshilfe: Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/19>, abgerufen am 23.11.2024.