Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.O, dachte sie, ich vergehe bei diesem ewigen Zwang! Einmal muß ich Louis sehen, in seine lieben Augen blicken, seine Stimme hören! Mein Vater ist an Allem Schuld! Louis muß wissen, das ich ihn liebe, -- ich muß wissen, daß er mich liebt, um jeden Preis! Sie warf einen Mantel um und entschlüpfte durch eine Hinterthüre. Einige Schritte vor ihrem Hause trat ihr Vater ihr in den Weg: Was thust du hier so allein? fragte er. Sie war wie gelähmt. Ich werde dich begleiten, fuhr er fort und zog ihren Arm in den seinigen. Er schien nicht überrascht, als habe er sie da erwartet. Sie leistete keinen Widerstand. Er hat einen Bund mit dem Satan geschlossen, dachte sie; ich kann ihm nicht entgehen. Ich bin müde, sagte sie nach einer kleinen Weile mit matter Stimme, und er führte sie schweigend in ihre Wohnung zurück. Wann wird das enden? rief sie, als sie erschöpft zu Hause ins einen Sessel sank. Doch ihr elastisches Wesen suchte schnell nach einem anderen Ausweg. Wenn mein Vater nicht geht, überlegte sie, so kann ich ja gehen, und ist nicht Louis eben so frei wie ich? Sie fing an, in ihren Mann zu dringen, seine Abreise aus der Stadt zu beschleunigen. Mir thut die Luft nicht gut hier. Erinnerst du dich, wie glücklich wir im vergangenen Herbste in Rothwalde waren, so still, so ganz für uns allein? Sehnst du dich nicht dahin zurück? Er streichelte ihr lächelnd die Wange und versprach die Abreise gar zu gern. Auch er sehnte sich in die ländliche Stille zurück, wo das höchste Glück seines Lebens ihm wie ein idyllischer Morgentraum der Seligkeit aufgegangen war. Aber von Woche zu Woche schob der erwünschte Tag sich hinaus, denn Wichtiges war im Werke, und der König ließ den erprobten Freund und O, dachte sie, ich vergehe bei diesem ewigen Zwang! Einmal muß ich Louis sehen, in seine lieben Augen blicken, seine Stimme hören! Mein Vater ist an Allem Schuld! Louis muß wissen, das ich ihn liebe, — ich muß wissen, daß er mich liebt, um jeden Preis! Sie warf einen Mantel um und entschlüpfte durch eine Hinterthüre. Einige Schritte vor ihrem Hause trat ihr Vater ihr in den Weg: Was thust du hier so allein? fragte er. Sie war wie gelähmt. Ich werde dich begleiten, fuhr er fort und zog ihren Arm in den seinigen. Er schien nicht überrascht, als habe er sie da erwartet. Sie leistete keinen Widerstand. Er hat einen Bund mit dem Satan geschlossen, dachte sie; ich kann ihm nicht entgehen. Ich bin müde, sagte sie nach einer kleinen Weile mit matter Stimme, und er führte sie schweigend in ihre Wohnung zurück. Wann wird das enden? rief sie, als sie erschöpft zu Hause ins einen Sessel sank. Doch ihr elastisches Wesen suchte schnell nach einem anderen Ausweg. Wenn mein Vater nicht geht, überlegte sie, so kann ich ja gehen, und ist nicht Louis eben so frei wie ich? Sie fing an, in ihren Mann zu dringen, seine Abreise aus der Stadt zu beschleunigen. Mir thut die Luft nicht gut hier. Erinnerst du dich, wie glücklich wir im vergangenen Herbste in Rothwalde waren, so still, so ganz für uns allein? Sehnst du dich nicht dahin zurück? Er streichelte ihr lächelnd die Wange und versprach die Abreise gar zu gern. Auch er sehnte sich in die ländliche Stille zurück, wo das höchste Glück seines Lebens ihm wie ein idyllischer Morgentraum der Seligkeit aufgegangen war. Aber von Woche zu Woche schob der erwünschte Tag sich hinaus, denn Wichtiges war im Werke, und der König ließ den erprobten Freund und <TEI> <text> <body> <div n="3"> <pb facs="#f0172"/> <p>O, dachte sie, ich vergehe bei diesem ewigen Zwang! 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O, dachte sie, ich vergehe bei diesem ewigen Zwang! Einmal muß ich Louis sehen, in seine lieben Augen blicken, seine Stimme hören! Mein Vater ist an Allem Schuld! Louis muß wissen, das ich ihn liebe, — ich muß wissen, daß er mich liebt, um jeden Preis!
Sie warf einen Mantel um und entschlüpfte durch eine Hinterthüre. Einige Schritte vor ihrem Hause trat ihr Vater ihr in den Weg: Was thust du hier so allein? fragte er.
Sie war wie gelähmt.
Ich werde dich begleiten, fuhr er fort und zog ihren Arm in den seinigen. Er schien nicht überrascht, als habe er sie da erwartet.
Sie leistete keinen Widerstand. Er hat einen Bund mit dem Satan geschlossen, dachte sie; ich kann ihm nicht entgehen.
Ich bin müde, sagte sie nach einer kleinen Weile mit matter Stimme, und er führte sie schweigend in ihre Wohnung zurück.
Wann wird das enden? rief sie, als sie erschöpft zu Hause ins einen Sessel sank.
Doch ihr elastisches Wesen suchte schnell nach einem anderen Ausweg. Wenn mein Vater nicht geht, überlegte sie, so kann ich ja gehen, und ist nicht Louis eben so frei wie ich? Sie fing an, in ihren Mann zu dringen, seine Abreise aus der Stadt zu beschleunigen.
Mir thut die Luft nicht gut hier. Erinnerst du dich, wie glücklich wir im vergangenen Herbste in Rothwalde waren, so still, so ganz für uns allein? Sehnst du dich nicht dahin zurück?
Er streichelte ihr lächelnd die Wange und versprach die Abreise gar zu gern. Auch er sehnte sich in die ländliche Stille zurück, wo das höchste Glück seines Lebens ihm wie ein idyllischer Morgentraum der Seligkeit aufgegangen war. Aber von Woche zu Woche schob der erwünschte Tag sich hinaus, denn Wichtiges war im Werke, und der König ließ den erprobten Freund und
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Zitationshilfe: | Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/172>, abgerufen am 16.07.2024. |