Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.und dennoch war er nicht überzeugt. Aber Otto war, wie wir wissen, in ihren Befürchtungen bei weitem nicht die Hauptperson, ihr Vater nahm darin die wichtigste Stelle ein. Was sollte sie thun, wenn sein Argwohn geweckt wurde? Und wie leicht konnte das nicht geschehen! Was würde er thun, der Alles zu thun im Stande war, der kein Erbarmen kannte, wäre sie in seiner Gewalt? Ja, freilich, wäre -- aber sie war es nicht! Der Gedanke, ihrem Vater die Stirn zu bieten und im offenen Kampfe gegen ihn aufzutreten, wenn es nicht anders sein konnte, stand zum ersten Male deutlich, klar, und entschlossen vor ihrem Geist. Hatte sie darum von allen Freuden der Jugend und der Liebe abgesehen, einen Mann geheirathet, der ihrer Jugend gegenüber fast ein Greis erschien, und diesem Manne ein Glück bereitet, wie weit und breit es in keiner anderen Ehe zu finden war, -- bloß darum, daß sie noch zittern sollte vor einer außer ihm stehenden Gewalt? Sie sann hin und her und ging dabei im Zimmer auf und ab, bald stehen bleibend, bald schneller gehend, wie der Lauf ihrer Gedanken sie trieb. Vor offenbarer Gewalt war sie wohl geschützt, was sie treffen sollte, mußte von ihrem Manne ausgehen. wurde also ihr Vater thun? sie anklagen bei ihrem Manne? Ja, wenn er Beweise hatte, sagte sie mit seinem spöttischen Züge um den Mund, aber wo findet er die? Und selbst wenn er Beweise hatte, würde er so weit gehen, das Glück meines Mannes zu zerstören? -- schwerlich -- aber wenn auch -- mein Mann muß mir glauben! setzte sie laut hinzu. Sie wurde immer heimischer auf dieser entschieden höheren Stufe, die sie so plötzlich erstiegen, und sah sich nun die Welt von dort oben mit einem freieren Blicke an. Ihr Mann hielt gar viel auf ihren Vater, hundertmal hatte er ihn Leonie gepriesen als das und dennoch war er nicht überzeugt. Aber Otto war, wie wir wissen, in ihren Befürchtungen bei weitem nicht die Hauptperson, ihr Vater nahm darin die wichtigste Stelle ein. Was sollte sie thun, wenn sein Argwohn geweckt wurde? Und wie leicht konnte das nicht geschehen! Was würde er thun, der Alles zu thun im Stande war, der kein Erbarmen kannte, wäre sie in seiner Gewalt? Ja, freilich, wäre — aber sie war es nicht! Der Gedanke, ihrem Vater die Stirn zu bieten und im offenen Kampfe gegen ihn aufzutreten, wenn es nicht anders sein konnte, stand zum ersten Male deutlich, klar, und entschlossen vor ihrem Geist. Hatte sie darum von allen Freuden der Jugend und der Liebe abgesehen, einen Mann geheirathet, der ihrer Jugend gegenüber fast ein Greis erschien, und diesem Manne ein Glück bereitet, wie weit und breit es in keiner anderen Ehe zu finden war, — bloß darum, daß sie noch zittern sollte vor einer außer ihm stehenden Gewalt? Sie sann hin und her und ging dabei im Zimmer auf und ab, bald stehen bleibend, bald schneller gehend, wie der Lauf ihrer Gedanken sie trieb. Vor offenbarer Gewalt war sie wohl geschützt, was sie treffen sollte, mußte von ihrem Manne ausgehen. wurde also ihr Vater thun? sie anklagen bei ihrem Manne? Ja, wenn er Beweise hatte, sagte sie mit seinem spöttischen Züge um den Mund, aber wo findet er die? Und selbst wenn er Beweise hatte, würde er so weit gehen, das Glück meines Mannes zu zerstören? — schwerlich — aber wenn auch — mein Mann muß mir glauben! setzte sie laut hinzu. 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und dennoch war er nicht überzeugt. Aber Otto war, wie wir wissen, in ihren Befürchtungen bei weitem nicht die Hauptperson, ihr Vater nahm darin die wichtigste Stelle ein. Was sollte sie thun, wenn sein Argwohn geweckt wurde? Und wie leicht konnte das nicht geschehen! Was würde er thun, der Alles zu thun im Stande war, der kein Erbarmen kannte, wäre sie in seiner Gewalt? Ja, freilich, wäre — aber sie war es nicht!
Der Gedanke, ihrem Vater die Stirn zu bieten und im offenen Kampfe gegen ihn aufzutreten, wenn es nicht anders sein konnte, stand zum ersten Male deutlich, klar, und entschlossen vor ihrem Geist. Hatte sie darum von allen Freuden der Jugend und der Liebe abgesehen, einen Mann geheirathet, der ihrer Jugend gegenüber fast ein Greis erschien, und diesem Manne ein Glück bereitet, wie weit und breit es in keiner anderen Ehe zu finden war, — bloß darum, daß sie noch zittern sollte vor einer außer ihm stehenden Gewalt?
Sie sann hin und her und ging dabei im Zimmer auf und ab, bald stehen bleibend, bald schneller gehend, wie der Lauf ihrer Gedanken sie trieb. Vor offenbarer Gewalt war sie wohl geschützt, was sie treffen sollte, mußte von ihrem Manne ausgehen. wurde also ihr Vater thun? sie anklagen bei ihrem Manne?
Ja, wenn er Beweise hatte, sagte sie mit seinem spöttischen Züge um den Mund, aber wo findet er die? Und selbst wenn er Beweise hatte, würde er so weit gehen, das Glück meines Mannes zu zerstören? — schwerlich — aber wenn auch — mein Mann muß mir glauben! setzte sie laut hinzu.
Sie wurde immer heimischer auf dieser entschieden höheren Stufe, die sie so plötzlich erstiegen, und sah sich nun die Welt von dort oben mit einem freieren Blicke an. Ihr Mann hielt gar viel auf ihren Vater, hundertmal hatte er ihn Leonie gepriesen als das
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Zitationshilfe: | Wild, Hermine [d. i. Adele Wesemael]: Eure Wege sind nicht meine Wege. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–210. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wild_wege_1910/142>, abgerufen am 17.02.2025. |