Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Das Schiff schwankte stark. Johann Ohlerich schien es nicht zu spüren. Er ging in der Kajüte umher, setzte sich seinem Kranken gegenüber, sah ihn bald kopfschüttelnd, bald ermuthigend an und suchte sich durch alle möglichen Handreichungen nützlich zu machen. Von Zeit zu Zeit stieg er die Treppe hinauf, um seinen Kopf einen Augenblick in den Wind zu stecken, kann aber gleich wieder zurück und setzte sich in irgend eine Ecke. Dann saß er da, wie eine Mutter, die ihr Kind bewacht. Er schien keinen anderen Gedanken mehr zu haben, als seinen Kranken zu hüten. Wird Ihnen schon besser? fragte er in gemessenen Pausen, als ginge es nach der Uhr. Ich glaube, antwortete Julius, es scheint so, -- und ward dann durch einen neuen Anfall seiner Leiden zum Verstummen gebracht. Auch Johann Ohlerich war dann eine Weile still. Zu gebührender Zeit fing er wieder an zu lächeln und murmelte irgend ein aufmunterndes Wort: Ja, bei so einem steifen Ostnordost! -- Wenn man seine erste Seefahrt macht! -- Die Ostsee ist nur klein, aber sie ist ein schlimmes Wasser, Herr Julius! -- -- Unterdessen lag Julius mit grünem Gesicht und heroischem Schweigen da. Er fand es zu schwer, sich der Ereignisse, die ihn in diese Koje geführt hatten, genau zu erinnern. Er nahm die Thatsache hin. Er wunderte sich nur, wie viel Kopfschmerzen und wie wenig Gemüth er hatte. Es war ihm unendlich gleichgültig, ob eine Frau hübsch oder häßlich sei, ob sie Amalie oder Liesbeth heiße. Alles lag hinter ihm. Nur hin und wieder wandte er sich auf die Seite und sah dann immer wieder Johann Ohlerich's wetterbraunes, theilnehmend lächelndes Gesicht. Es tröstete ihn. Trotz seiner Schwäche fühlte er sich gerührt, versuchte zu lächeln, -- und fiel dann wieder mit starrem Gesicht in sein Elend zurück. Gegen Abend war es endlich stiller, die See ging nicht mehr hohl. Er versank in den Schlaf, den er sich den ganzen Tag vergebens gewünscht hatte. Als er wieder zu sich kam -- er hatte nicht lange geschlummert -- fand er Das Schiff schwankte stark. Johann Ohlerich schien es nicht zu spüren. Er ging in der Kajüte umher, setzte sich seinem Kranken gegenüber, sah ihn bald kopfschüttelnd, bald ermuthigend an und suchte sich durch alle möglichen Handreichungen nützlich zu machen. Von Zeit zu Zeit stieg er die Treppe hinauf, um seinen Kopf einen Augenblick in den Wind zu stecken, kann aber gleich wieder zurück und setzte sich in irgend eine Ecke. Dann saß er da, wie eine Mutter, die ihr Kind bewacht. Er schien keinen anderen Gedanken mehr zu haben, als seinen Kranken zu hüten. Wird Ihnen schon besser? fragte er in gemessenen Pausen, als ginge es nach der Uhr. Ich glaube, antwortete Julius, es scheint so, — und ward dann durch einen neuen Anfall seiner Leiden zum Verstummen gebracht. Auch Johann Ohlerich war dann eine Weile still. Zu gebührender Zeit fing er wieder an zu lächeln und murmelte irgend ein aufmunterndes Wort: Ja, bei so einem steifen Ostnordost! — Wenn man seine erste Seefahrt macht! — Die Ostsee ist nur klein, aber sie ist ein schlimmes Wasser, Herr Julius! — — Unterdessen lag Julius mit grünem Gesicht und heroischem Schweigen da. Er fand es zu schwer, sich der Ereignisse, die ihn in diese Koje geführt hatten, genau zu erinnern. Er nahm die Thatsache hin. Er wunderte sich nur, wie viel Kopfschmerzen und wie wenig Gemüth er hatte. Es war ihm unendlich gleichgültig, ob eine Frau hübsch oder häßlich sei, ob sie Amalie oder Liesbeth heiße. Alles lag hinter ihm. Nur hin und wieder wandte er sich auf die Seite und sah dann immer wieder Johann Ohlerich's wetterbraunes, theilnehmend lächelndes Gesicht. Es tröstete ihn. Trotz seiner Schwäche fühlte er sich gerührt, versuchte zu lächeln, — und fiel dann wieder mit starrem Gesicht in sein Elend zurück. Gegen Abend war es endlich stiller, die See ging nicht mehr hohl. Er versank in den Schlaf, den er sich den ganzen Tag vergebens gewünscht hatte. Als er wieder zu sich kam — er hatte nicht lange geschlummert — fand er <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <pb facs="#f0052"/> <p>Das Schiff schwankte stark. Johann Ohlerich schien es nicht zu spüren. Er ging in der Kajüte umher, setzte sich seinem Kranken gegenüber, sah ihn bald kopfschüttelnd, bald ermuthigend an und suchte sich durch alle möglichen Handreichungen nützlich zu machen. Von Zeit zu Zeit stieg er die Treppe hinauf, um seinen Kopf einen Augenblick in den Wind zu stecken, kann aber gleich wieder zurück und setzte sich in irgend eine Ecke. Dann saß er da, wie eine Mutter, die ihr Kind bewacht. Er schien keinen anderen Gedanken mehr zu haben, als seinen Kranken zu hüten. Wird Ihnen schon besser? fragte er in gemessenen Pausen, als ginge es nach der Uhr. Ich glaube, antwortete Julius, es scheint so, — und ward dann durch einen neuen Anfall seiner Leiden zum Verstummen gebracht. Auch Johann Ohlerich war dann eine Weile still. Zu gebührender Zeit fing er wieder an zu lächeln und murmelte irgend ein aufmunterndes Wort: Ja, bei so einem steifen Ostnordost! — Wenn man seine erste Seefahrt macht! — Die Ostsee ist nur klein, aber sie ist ein schlimmes Wasser, Herr Julius! — — Unterdessen lag Julius mit grünem Gesicht und heroischem Schweigen da. Er fand es zu schwer, sich der Ereignisse, die ihn in diese Koje geführt hatten, genau zu erinnern. Er nahm die Thatsache hin. Er wunderte sich nur, wie viel Kopfschmerzen und wie wenig Gemüth er hatte. Es war ihm unendlich gleichgültig, ob eine Frau hübsch oder häßlich sei, ob sie Amalie oder Liesbeth heiße. Alles lag hinter ihm. Nur hin und wieder wandte er sich auf die Seite und sah dann immer wieder Johann Ohlerich's wetterbraunes, theilnehmend lächelndes Gesicht. Es tröstete ihn. Trotz seiner Schwäche fühlte er sich gerührt, versuchte zu lächeln, — und fiel dann wieder mit starrem Gesicht in sein Elend zurück.</p><lb/> <p>Gegen Abend war es endlich stiller, die See ging nicht mehr hohl. Er versank in den Schlaf, den er sich den ganzen Tag vergebens gewünscht hatte. Als er wieder zu sich kam — er hatte nicht lange geschlummert — fand er<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0052]
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Gegen Abend war es endlich stiller, die See ging nicht mehr hohl. Er versank in den Schlaf, den er sich den ganzen Tag vergebens gewünscht hatte. Als er wieder zu sich kam — er hatte nicht lange geschlummert — fand er
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Zitationshilfe: | Wilbrandt, Adolph: Johann Ohlerich. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 267–332. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilbrandt_ohlerich_1910/52>, abgerufen am 05.07.2024. |