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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Dionysosdienst.
pros pon demon, und das ward der kern der komödie. aber damit
ist es auch zu ende. es ist sehr bemerkenswert, dass der Dionysosdienst
ein gamz vorwiegend weiblicher ist. aus frauen besteht in Elis, in Del-
phoi, in Athen das collegium seiner priester. die königin von Athen
ist als priesterliche würdenträgerin um dieses dienstes willen erhalten
wordem. das gefolge des gottes selbst ist bei Euripides durchaus weiblich;
die männer dienen ihm auch, aber sie handeln nicht und sind eigentlich
nur in der theorie vorhanden. so ist es auch in der bildenden kunst. Dio-
nysos unter weibern ist seit alter zeit eine gewöhnliche darstellung; wir
nennem sie mänaden und bezeichnen sie damit als sterbliche, wie sie
denn in der tat die scharen der weiber darstellen, die zu den trieterides
hinausgezogen sind. männliche begleiter der art gibt es nicht. sie würden
sogar in dem festzuge fehlen, wenn nicht die phallagogie diesen einen
dienst von ihnen forderte. wenn Heraklit das lenaizein schilt, gilt das
eben diesem anstössigen acte, dem umnein amata aidoioisin anaides-
tata. es fehlt also für den tragischen chor im cultus jede anknüpfung.
wenn wir in später zerfahrener zeit von einem carneval hören, wo sich
die männer als satyrn, die weiber als nymphen u. dgl. costumiren, die
ganze bürgerschaft einer stadt sich in den späteren thiasos des gottes
umsetzt 20), so ist es anachronismus, etwas ähnliches für das 6. jahrhundert
zu glauben.

Noch viel weniger ist mit der modernen anschauung anzufangen,
dass die taten und leiden des gottes gegenstände mimischer tänze und
spiele gewesen wären 21). leiden zunächst gibt es nicht; es sei denn
allenfalls der von Hera gesandte wahnsinn, von dem wir sehr wenig

sie tragen keine spur des archaischen an sich und können somit für den gebrauch
der alten zeit nicht zeugen. überhaupt sind die s. g. griechischen volkslieder nicht
altertümlicher als die zeit, welche sie aufzeichnet, was meist durch die peripatetiker
geschehen ist. nur die attischen skolien und einzelnes was früh durch einen be-
rühmtem dichternamen geschützt ward, reicht in das 5. und 6. jahrhundert. wenn
rituelle lieder der kaiserzeit auftreten, sind sie in sprache und versmass auch jung.
20) Dionysios arch. VII 72 p. 1491. Philostrat. vit. Apoll. IV 2, 21. die neoi
Donusooi, Antonius (Plut. Ant. 24), von den Ptolemäern nicht bloss der, der den
beinamen annahm, sondern schon Philopator, am letzten ende Alexander selbst haben
diese orgien erzeugt: aber dadurch, dass ein Dionysos leibhaft wieder auf erden
weilend gedacht ward.
21) Was die modernen unbewusst oder bewusst beherrscht, ist schliesslich doch
nichts als die analogie der christlichen weihnachts- und passionsspiele. sie können
sich nicht daran gewöhnen, dass es eine religion ohne heilige geschichte und ein
heiliges buch geben kann. die consequenz, dass Dionysos dann wirklich auf erden
gewandelt sein müsste, sehen sie nicht ein: oder wird sie vielleicht jemand ziehen?

Dionysosdienst.
πρὸς πὸν δῆμον, und das ward der kern der komödie. aber damit
ist es auch zu ende. es ist sehr bemerkenswert, daſs der Dionysosdienst
ein gamz vorwiegend weiblicher ist. aus frauen besteht in Elis, in Del-
phoi, in Athen das collegium seiner priester. die königin von Athen
ist als priesterliche würdenträgerin um dieses dienstes willen erhalten
wordem. das gefolge des gottes selbst ist bei Euripides durchaus weiblich;
die männer dienen ihm auch, aber sie handeln nicht und sind eigentlich
nur in der theorie vorhanden. so ist es auch in der bildenden kunst. Dio-
nysos unter weibern ist seit alter zeit eine gewöhnliche darstellung; wir
nennem sie mänaden und bezeichnen sie damit als sterbliche, wie sie
denn in der tat die scharen der weiber darstellen, die zu den trieterides
hinausgezogen sind. männliche begleiter der art gibt es nicht. sie würden
sogar in dem festzuge fehlen, wenn nicht die phallagogie diesen einen
dienst von ihnen forderte. wenn Heraklit das ληναΐζειν schilt, gilt das
eben diesem anstöſsigen acte, dem ὑμνεῖν ᾄματα αἰδοίοισιν ἀναιδέσ-
τατα. es fehlt also für den tragischen chor im cultus jede anknüpfung.
wenn wir in später zerfahrener zeit von einem carneval hören, wo sich
die männer als satyrn, die weiber als nymphen u. dgl. costumiren, die
ganze bürgerschaft einer stadt sich in den späteren thiasos des gottes
umsetzt 20), so ist es anachronismus, etwas ähnliches für das 6. jahrhundert
zu glauben.

Noch viel weniger ist mit der modernen anschauung anzufangen,
daſs die taten und leiden des gottes gegenstände mimischer tänze und
spiele gewesen wären 21). leiden zunächst gibt es nicht; es sei denn
allenfalls der von Hera gesandte wahnsinn, von dem wir sehr wenig

sie tragen keine spur des archaischen an sich und können somit für den gebrauch
der alten zeit nicht zeugen. überhaupt sind die s. g. griechischen volkslieder nicht
altertümlicher als die zeit, welche sie aufzeichnet, was meist durch die peripatetiker
geschehen ist. nur die attischen skolien und einzelnes was früh durch einen be-
rühmtem dichternamen geschützt ward, reicht in das 5. und 6. jahrhundert. wenn
rituelle lieder der kaiserzeit auftreten, sind sie in sprache und versmaſs auch jung.
20) Dionysios arch. VII 72 p. 1491. Philostrat. vit. Apoll. IV 2, 21. die νέοι
Δώνυσοοι, Antonius (Plut. Ant. 24), von den Ptolemäern nicht bloſs der, der den
beinamen annahm, sondern schon Φιλοπάτωρ, am letzten ende Alexander selbst haben
diese orgien erzeugt: aber dadurch, daſs ein Dionysos leibhaft wieder auf erden
weilend gedacht ward.
21) Was die modernen unbewuſst oder bewuſst beherrscht, ist schlieſslich doch
nichts als die analogie der christlichen weihnachts- und passionsspiele. sie können
sich nicht daran gewöhnen, daſs es eine religion ohne heilige geschichte und ein
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[59/0079] Dionysosdienst. πρὸς πὸν δῆμον, und das ward der kern der komödie. aber damit ist es auch zu ende. es ist sehr bemerkenswert, daſs der Dionysosdienst ein gamz vorwiegend weiblicher ist. aus frauen besteht in Elis, in Del- phoi, in Athen das collegium seiner priester. die königin von Athen ist als priesterliche würdenträgerin um dieses dienstes willen erhalten wordem. das gefolge des gottes selbst ist bei Euripides durchaus weiblich; die männer dienen ihm auch, aber sie handeln nicht und sind eigentlich nur in der theorie vorhanden. so ist es auch in der bildenden kunst. Dio- nysos unter weibern ist seit alter zeit eine gewöhnliche darstellung; wir nennem sie mänaden und bezeichnen sie damit als sterbliche, wie sie denn in der tat die scharen der weiber darstellen, die zu den trieterides hinausgezogen sind. männliche begleiter der art gibt es nicht. sie würden sogar in dem festzuge fehlen, wenn nicht die phallagogie diesen einen dienst von ihnen forderte. wenn Heraklit das ληναΐζειν schilt, gilt das eben diesem anstöſsigen acte, dem ὑμνεῖν ᾄματα αἰδοίοισιν ἀναιδέσ- τατα. es fehlt also für den tragischen chor im cultus jede anknüpfung. wenn wir in später zerfahrener zeit von einem carneval hören, wo sich die männer als satyrn, die weiber als nymphen u. dgl. costumiren, die ganze bürgerschaft einer stadt sich in den späteren thiasos des gottes umsetzt 20), so ist es anachronismus, etwas ähnliches für das 6. jahrhundert zu glauben. Noch viel weniger ist mit der modernen anschauung anzufangen, daſs die taten und leiden des gottes gegenstände mimischer tänze und spiele gewesen wären 21). leiden zunächst gibt es nicht; es sei denn allenfalls der von Hera gesandte wahnsinn, von dem wir sehr wenig 19) 20) Dionysios arch. VII 72 p. 1491. Philostrat. vit. Apoll. IV 2, 21. die νέοι Δώνυσοοι, Antonius (Plut. Ant. 24), von den Ptolemäern nicht bloſs der, der den beinamen annahm, sondern schon Φιλοπάτωρ, am letzten ende Alexander selbst haben diese orgien erzeugt: aber dadurch, daſs ein Dionysos leibhaft wieder auf erden weilend gedacht ward. 21) Was die modernen unbewuſst oder bewuſst beherrscht, ist schlieſslich doch nichts als die analogie der christlichen weihnachts- und passionsspiele. sie können sich nicht daran gewöhnen, daſs es eine religion ohne heilige geschichte und ein heiliges buch geben kann. die consequenz, daſs Dionysos dann wirklich auf erden gewandelt sein müſste, sehen sie nicht ein: oder wird sie vielleicht jemand ziehen? 19) sie tragen keine spur des archaischen an sich und können somit für den gebrauch der alten zeit nicht zeugen. überhaupt sind die s. g. griechischen volkslieder nicht altertümlicher als die zeit, welche sie aufzeichnet, was meist durch die peripatetiker geschehen ist. nur die attischen skolien und einzelnes was früh durch einen be- rühmtem dichternamen geschützt ward, reicht in das 5. und 6. jahrhundert. wenn rituelle lieder der kaiserzeit auftreten, sind sie in sprache und versmaſs auch jung.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/79>, abgerufen am 30.11.2024.