Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.Aufführungszeit. hellenischen speeres über die asiatischen pfeile erschienen 8), und in Athenwar durch den zufälligen umstand, dass die mit der fernwaffe ausge- rüsteten polizeimannschaften meistens staatssclaven nordischer herkunft waren, die verächtliche gleichsetzung des toxotes mit dem Skuthes ent- standen 9). somit konnte Euripides allerdings durch seinen stoff darauf geführt werden, Herakles wider die herabsetzung des schützen verteidigen zu lassen, und leicht mochte ihn seine neigung für sophistischen rede- kampf dazu verlocken, dieses thema breiter zu behandeln als für die poesie zuträglich war. aber er hat viel mehr getan. er lässt den ver- treter der guten sache geradezu aussprechen dass der schütze den zweck des krieges, vernichtung des gegners mit möglichst geringem eigenem ver- luste, besser erreicht als der hoplit, zumal dieser lediglich durch die schuld seines nebenmannes im gliede zu grunde geht, wenn sich nämlich die schlachtreihe löst. das fällt gänzlich aus dem rahmen der tragödie heraus; es findet aber in der geschichte des archidamischen krieges sein lebens- vollstes gegenbild. Athen hat seine schwerste niederlage, bei Delion, eben dadurch erlitten, dass die hoplitenphalanx geworfen ward, und ihr rückzug durch keine leichte infanterie gedeckt war. den schönsten er- folg aber hatte leichte infanterie bei Sphakteria über die stolzen spar- tiatischen hopliten erfochten. man hat auch mit recht aus der kriegs- geschichte geschlossen, dass der tüchtigste feldherr der zeit, Demosthenes von Aphidna, sich die ausbildung und verwendung leichter infanterie be- sonders hat angelegen sein lassen, ein vorläufer des Iphikrates, dessen peltasten später die lakedaimonische mora überwunden haben. diese ver- änderte wertschätzung der schützen spricht auch aus der euripideischen debatte, welche nur durch sie verständlich wird. dies wesentlichste ist damit erreicht: für die verletzung unseres künstlerischen empfindens werden wir dadurch entschädigt, dass wir sehen, wie der dichter aus dem am eindringlichsten die gedichte des Tyrtaios aus, die sich aber von denen des ionischen epos nicht weit entfernen. toxota lobeter wird Alexandros gescholten (L 386). für die attische vorstellung ist besonders Soph. Aias 1120 bezeichnend, nicht lange vor Eurip. Her. gedichtet. 8) Diese anschauungen stehen in unmittelbarem zusammenhange mit den eben bezeichneten epischen. zeugnisse der grossen zeit z. b. Aisch. Pers. 85, Herodot V 97, pseudosimonideische epigramme 105, 106 Bgk. später besonders schön Aristoteles im epigramm auf Hermeias. 9) Die schrift vom staate der Athener (nicht lange vor 424 verfasst) gibt die
unzulänglichkeit der attischen hoplitenmacht zu, aber die schützen berücksichtigt sie nicht. übrigens gab es auch ein bürgerliches schützencorps; es spielt nur gar keine irgend erhebliche rolle. Aufführungszeit. hellenischen speeres über die asiatischen pfeile erschienen 8), und in Athenwar durch den zufälligen umstand, daſs die mit der fernwaffe ausge- rüsteten polizeimannschaften meistens staatssclaven nordischer herkunft waren, die verächtliche gleichsetzung des τοξότης mit dem Σκύϑης ent- standen 9). somit konnte Euripides allerdings durch seinen stoff darauf geführt werden, Herakles wider die herabsetzung des schützen verteidigen zu lassen, und leicht mochte ihn seine neigung für sophistischen rede- kampf dazu verlocken, dieses thema breiter zu behandeln als für die poesie zuträglich war. aber er hat viel mehr getan. er läſst den ver- treter der guten sache geradezu aussprechen daſs der schütze den zweck des krieges, vernichtung des gegners mit möglichst geringem eigenem ver- luste, besser erreicht als der hoplit, zumal dieser lediglich durch die schuld seines nebenmannes im gliede zu grunde geht, wenn sich nämlich die schlachtreihe löst. das fällt gänzlich aus dem rahmen der tragödie heraus; es findet aber in der geschichte des archidamischen krieges sein lebens- vollstes gegenbild. Athen hat seine schwerste niederlage, bei Delion, eben dadurch erlitten, daſs die hoplitenphalanx geworfen ward, und ihr rückzug durch keine leichte infanterie gedeckt war. den schönsten er- folg aber hatte leichte infanterie bei Sphakteria über die stolzen spar- tiatischen hopliten erfochten. man hat auch mit recht aus der kriegs- geschichte geschlossen, daſs der tüchtigste feldherr der zeit, Demosthenes von Aphidna, sich die ausbildung und verwendung leichter infanterie be- sonders hat angelegen sein lassen, ein vorläufer des Iphikrates, dessen peltasten später die lakedaimonische mora überwunden haben. diese ver- änderte wertschätzung der schützen spricht auch aus der euripideischen debatte, welche nur durch sie verständlich wird. dies wesentlichste ist damit erreicht: für die verletzung unseres künstlerischen empfindens werden wir dadurch entschädigt, daſs wir sehen, wie der dichter aus dem am eindringlichsten die gedichte des Tyrtaios aus, die sich aber von denen des ionischen epos nicht weit entfernen. τοξότα λωβητήρ wird Alexandros gescholten (Λ 386). für die attische vorstellung ist besonders Soph. Aias 1120 bezeichnend, nicht lange vor Eurip. Her. gedichtet. 8) Diese anschauungen stehen in unmittelbarem zusammenhange mit den eben bezeichneten epischen. zeugnisse der groſsen zeit z. b. Aisch. Pers. 85, Herodot V 97, pseudosimonideische epigramme 105, 106 Bgk. später besonders schön Aristoteles im epigramm auf Hermeias. 9) Die schrift vom staate der Athener (nicht lange vor 424 verfaſst) gibt die
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Aufführungszeit.
hellenischen speeres über die asiatischen pfeile erschienen 8), und in Athen
war durch den zufälligen umstand, daſs die mit der fernwaffe ausge-
rüsteten polizeimannschaften meistens staatssclaven nordischer herkunft
waren, die verächtliche gleichsetzung des τοξότης mit dem Σκύϑης ent-
standen 9). somit konnte Euripides allerdings durch seinen stoff darauf
geführt werden, Herakles wider die herabsetzung des schützen verteidigen
zu lassen, und leicht mochte ihn seine neigung für sophistischen rede-
kampf dazu verlocken, dieses thema breiter zu behandeln als für die
poesie zuträglich war. aber er hat viel mehr getan. er läſst den ver-
treter der guten sache geradezu aussprechen daſs der schütze den zweck
des krieges, vernichtung des gegners mit möglichst geringem eigenem ver-
luste, besser erreicht als der hoplit, zumal dieser lediglich durch die schuld
seines nebenmannes im gliede zu grunde geht, wenn sich nämlich die
schlachtreihe löst. das fällt gänzlich aus dem rahmen der tragödie heraus;
es findet aber in der geschichte des archidamischen krieges sein lebens-
vollstes gegenbild. Athen hat seine schwerste niederlage, bei Delion,
eben dadurch erlitten, daſs die hoplitenphalanx geworfen ward, und ihr
rückzug durch keine leichte infanterie gedeckt war. den schönsten er-
folg aber hatte leichte infanterie bei Sphakteria über die stolzen spar-
tiatischen hopliten erfochten. man hat auch mit recht aus der kriegs-
geschichte geschlossen, daſs der tüchtigste feldherr der zeit, Demosthenes
von Aphidna, sich die ausbildung und verwendung leichter infanterie be-
sonders hat angelegen sein lassen, ein vorläufer des Iphikrates, dessen
peltasten später die lakedaimonische mora überwunden haben. diese ver-
änderte wertschätzung der schützen spricht auch aus der euripideischen
debatte, welche nur durch sie verständlich wird. dies wesentlichste ist
damit erreicht: für die verletzung unseres künstlerischen empfindens
werden wir dadurch entschädigt, daſs wir sehen, wie der dichter aus dem
7)
8) Diese anschauungen stehen in unmittelbarem zusammenhange mit den eben
bezeichneten epischen. zeugnisse der groſsen zeit z. b. Aisch. Pers. 85, Herodot V 97,
pseudosimonideische epigramme 105, 106 Bgk. später besonders schön Aristoteles
im epigramm auf Hermeias.
9) Die schrift vom staate der Athener (nicht lange vor 424 verfaſst) gibt die
unzulänglichkeit der attischen hoplitenmacht zu, aber die schützen berücksichtigt
sie nicht. übrigens gab es auch ein bürgerliches schützencorps; es spielt nur gar
keine irgend erhebliche rolle.
7) am eindringlichsten die gedichte des Tyrtaios aus, die sich aber von denen des
ionischen epos nicht weit entfernen. τοξότα λωβητήρ wird Alexandros gescholten
(Λ 386). für die attische vorstellung ist besonders Soph. Aias 1120 bezeichnend, nicht
lange vor Eurip. Her. gedichtet.
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