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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889.

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Hausstand.
in Boeotien. wie war er nach Phlya gekommen? etwa als bankerotter
kaufmann. dass so erfunden ist, ist keineswegs sicher, im gegenteil, dies
ist eine construction im stile jener litteratoren. aber verwerfen müssen
wir all dieses gerede, das abenteuerlich, inhaltsleer und weder durch
einen verlässlichen autornamen, noch durch irgendwie urkundlichen cha-
rakter beachtung fordert. in diesen regionen der litteraturgeschichte
hat die regel zu gelten: was nicht in einer der angegebenen weisen ge-
stützt wird, gilt bis auf weiteres für erfunden.

Von relativem werte dagegen ist die gleichzeitige erfindung, mag sie
num vom hass oder von der bewunderung eingegeben sein. durch sie
wird immer das licht reflectirt, das von einer bedeutenden persönlichkeit
ausgeht, wenn auch von so oder so geschliffenem spiegel. spiegel ist
für die Euripideslegende einzig die komödie, die ihn, soviel wir sehen,
seit dem anfange der peloponnesischen kriege, d. h. seit der zeit, aus
der den Alexandrinern zahlreiche dramen vorlagen, mit einstimmigkeit
verfolgt hat, während sie Sophokles ziemlich schonte. pietätvolle sage,
wie sie diesen verherrlicht, gibt es für Euripides nicht. schon das ist
bezeichnend: der eine liebenswürdig, volkstümlich, respectsperson und
doch einer, in dem jeder Athener den landsmann grüsste, der dachte
wie er. der andere ein schuhu unter den lustigen käuzlein Athenas,
allen um so unsympathischer, weil sie seine macht selbst an sich em-
pfinden, und immer stärker, je häufiger sie ihn verfolgen; als sie ihn
glücklich verscheucht haben, hat er sie alle in die kreise seiner kunst
verstrickt.

Komische erfindung ist vor allem der ganze roman von der hahnrei-
schaft des Euripides, und es lässt sich die zeit dieser komödie noch
ziemlich fixiren. es liegt auf der hand, dass Aristophanes ganz anders
reden würde, wenn er in den Thesmophoriazusen (411) etwas von den
ehellichen erfahrungen des dichters gewusst hätte. in den Fröschen aber
spielt er darauf an (1048). der komiker, welcher jene fabel aufbrachte
(sicher nicht Aristophanes selbst), hat auf reellen glauben natürlich keinen
anspruch gemacht: die angegriffene frau hatte, wenn sie noch lebte,
die silberne hochzeit lange hinter sich. sehr witzig war die erfindung
nicht und namentlich sticht sie übel ab von den Thesmophoriazusen,
die doch vorbildlich gewesen sind. denn herausgesponnen ist die fabel
aus der tatsache, dass Euripides gern probleme des weiblichen liebes-
lebems behandelt und von der weiblichen treue recht häufig geringschätzig
redet. immerhin ist mehr witz darin, als wenn später feine nasen zu
erzählen wissen, der weiberhass wäre nur theoretisch gewesen, oder auch

Hausstand.
in Boeotien. wie war er nach Phlya gekommen? etwa als bankerotter
kaufmann. daſs so erfunden ist, ist keineswegs sicher, im gegenteil, dies
ist eine construction im stile jener litteratoren. aber verwerfen müssen
wir all dieses gerede, das abenteuerlich, inhaltsleer und weder durch
einen verläſslichen autornamen, noch durch irgendwie urkundlichen cha-
rakter beachtung fordert. in diesen regionen der litteraturgeschichte
hat die regel zu gelten: was nicht in einer der angegebenen weisen ge-
stützt wird, gilt bis auf weiteres für erfunden.

Von relativem werte dagegen ist die gleichzeitige erfindung, mag sie
num vom haſs oder von der bewunderung eingegeben sein. durch sie
wird immer das licht reflectirt, das von einer bedeutenden persönlichkeit
ausgeht, wenn auch von so oder so geschliffenem spiegel. spiegel ist
für die Euripideslegende einzig die komödie, die ihn, soviel wir sehen,
seit dem anfange der peloponnesischen kriege, d. h. seit der zeit, aus
der den Alexandrinern zahlreiche dramen vorlagen, mit einstimmigkeit
verfolgt hat, während sie Sophokles ziemlich schonte. pietätvolle sage,
wie sie diesen verherrlicht, gibt es für Euripides nicht. schon das ist
bezeichnend: der eine liebenswürdig, volkstümlich, respectsperson und
doch einer, in dem jeder Athener den landsmann grüſste, der dachte
wie er. der andere ein schuhu unter den lustigen käuzlein Athenas,
allen um so unsympathischer, weil sie seine macht selbst an sich em-
pfinden, und immer stärker, je häufiger sie ihn verfolgen; als sie ihn
glücklich verscheucht haben, hat er sie alle in die kreise seiner kunst
verstrickt.

Komische erfindung ist vor allem der ganze roman von der hahnrei-
schaft des Euripides, und es läſst sich die zeit dieser komödie noch
ziemlich fixiren. es liegt auf der hand, daſs Aristophanes ganz anders
reden würde, wenn er in den Thesmophoriazusen (411) etwas von den
ehellichen erfahrungen des dichters gewuſst hätte. in den Fröschen aber
spielt er darauf an (1048). der komiker, welcher jene fabel aufbrachte
(sicher nicht Aristophanes selbst), hat auf reellen glauben natürlich keinen
anspruch gemacht: die angegriffene frau hatte, wenn sie noch lebte,
die silberne hochzeit lange hinter sich. sehr witzig war die erfindung
nicht und namentlich sticht sie übel ab von den Thesmophoriazusen,
die doch vorbildlich gewesen sind. denn herausgesponnen ist die fabel
aus der tatsache, daſs Euripides gern probleme des weiblichen liebes-
lebems behandelt und von der weiblichen treue recht häufig geringschätzig
redet. immerhin ist mehr witz darin, als wenn später feine nasen zu
erzählen wissen, der weiberhaſs wäre nur theoretisch gewesen, oder auch

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[9/0029] Hausstand. in Boeotien. wie war er nach Phlya gekommen? etwa als bankerotter kaufmann. daſs so erfunden ist, ist keineswegs sicher, im gegenteil, dies ist eine construction im stile jener litteratoren. aber verwerfen müssen wir all dieses gerede, das abenteuerlich, inhaltsleer und weder durch einen verläſslichen autornamen, noch durch irgendwie urkundlichen cha- rakter beachtung fordert. in diesen regionen der litteraturgeschichte hat die regel zu gelten: was nicht in einer der angegebenen weisen ge- stützt wird, gilt bis auf weiteres für erfunden. Von relativem werte dagegen ist die gleichzeitige erfindung, mag sie num vom haſs oder von der bewunderung eingegeben sein. durch sie wird immer das licht reflectirt, das von einer bedeutenden persönlichkeit ausgeht, wenn auch von so oder so geschliffenem spiegel. spiegel ist für die Euripideslegende einzig die komödie, die ihn, soviel wir sehen, seit dem anfange der peloponnesischen kriege, d. h. seit der zeit, aus der den Alexandrinern zahlreiche dramen vorlagen, mit einstimmigkeit verfolgt hat, während sie Sophokles ziemlich schonte. pietätvolle sage, wie sie diesen verherrlicht, gibt es für Euripides nicht. schon das ist bezeichnend: der eine liebenswürdig, volkstümlich, respectsperson und doch einer, in dem jeder Athener den landsmann grüſste, der dachte wie er. der andere ein schuhu unter den lustigen käuzlein Athenas, allen um so unsympathischer, weil sie seine macht selbst an sich em- pfinden, und immer stärker, je häufiger sie ihn verfolgen; als sie ihn glücklich verscheucht haben, hat er sie alle in die kreise seiner kunst verstrickt. Komische erfindung ist vor allem der ganze roman von der hahnrei- schaft des Euripides, und es läſst sich die zeit dieser komödie noch ziemlich fixiren. es liegt auf der hand, daſs Aristophanes ganz anders reden würde, wenn er in den Thesmophoriazusen (411) etwas von den ehellichen erfahrungen des dichters gewuſst hätte. in den Fröschen aber spielt er darauf an (1048). der komiker, welcher jene fabel aufbrachte (sicher nicht Aristophanes selbst), hat auf reellen glauben natürlich keinen anspruch gemacht: die angegriffene frau hatte, wenn sie noch lebte, die silberne hochzeit lange hinter sich. sehr witzig war die erfindung nicht und namentlich sticht sie übel ab von den Thesmophoriazusen, die doch vorbildlich gewesen sind. denn herausgesponnen ist die fabel aus der tatsache, daſs Euripides gern probleme des weiblichen liebes- lebems behandelt und von der weiblichen treue recht häufig geringschätzig redet. immerhin ist mehr witz darin, als wenn später feine nasen zu erzählen wissen, der weiberhaſs wäre nur theoretisch gewesen, oder auch

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Einleitung in die attische Tragödie (Euripides Herakles erklärt, Bd. 1). Berlin, 1889, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_tragoedie_1889/29>, abgerufen am 16.04.2024.